Gibt es in einigen Jahren noch Taxis oder wird der Taximarkt durch die vielen Apps bunter und vielfältiger? Werden Apps die neuen Taxizentralen? Wie lassen sie sich mit den gesetzlichen Regelungen in Einklang bringen? Nicht einmal ein gut informierter Professor wie James Cooper weiß die Antworten auf alle Fragen zu diesem Thema.
Das Zeitalter der sogenannten „Apps“ entwickelt sich rapide. „In fünf bis zehn Jahren gibt es keine Taxis mehr“, so verlautet es immer mehr aus den Kreisen von Marktbeobachtern, IT-Experten, Programmierern von Taxi-Apps und all jenen, die sich damit beschäftigen, welche Berufe sich langfristig einfach ins Nichts auflösen könnten. Mit den technischen Möglichkeiten und den Angriffen der Apps ist die Funkvermittlung bald nur noch eine Funktion der Vergangenheit – ähnlich wie der Beruf einer Telefonistin. Aber gilt das auch für Taxis und deren Fahrer?
Taxi times: Was ist ein Taxi, Herr Cooper?
James Cooper: „Eine Taxibranche kann zukünftig ganz anders aussehen – es hängt davon ab, wie Menschen diesen Markt nutzen wollen. Abhängig davon, wie man ‚das Taxi‘ definieren wird, kann alles auf einen viel größeren Taximarkt hinauslaufen – oder, sollte ich besser sagen: einen ‚individuellen Mobilitätsmarkt‘? Ebenso ist es möglich, dass der ‚neue Taximarkt‘ künftig eine Kombination aus vielen zusätzlichen Fahrzeugen neben den herkömmlichen ‚Droschken‘ darstellt.
Vielleicht wird auch ‚das Taxi‘ nur noch für Randgruppen da sein – zum Beispiel für in ihrer Bewegung eingeschränkte Personen. Natürlich wird es auch in Städten wie New York und London weiterhin Taxis im klassischen Gelegenheitsverkehr geben, doch nur noch in einem entscheidend geringeren Ausmaß. Der Mobilitätsmarkt wird eine größere Vielfalt aufweisen, weil neue Gruppen wie etwa Car2Go darin mitmischen. Sterben wird das Taxi als solches sicherlich nicht.“
Ihrer Meinung nach der Begriff „Taxi“ eher irreführend?
„Teilweise schon. Verschiedene Wettbewerber werden den Taxi- und Mobilitätsmarkt bedienen und sich dort ausbreiten. Andere Bereiche werden sich auf einem solchen Markt einfach nicht mehr halten können.“
Warum erwarten Sie so einen radikalen Wandel?
„Der Zugriff auf den Taxi-Service verändert sich. ‚Apps‘ – je nach Typ – sind nun drei bis fünf Jahre alt. Abhängig von der Dynamik der verschiedenen Märkte dürfen wir mehr Stabilität und in etwa fünf Jahren eine Gleichgewichts-Situation erwarten.“
Apps gelten als technische Revolution.
„Lassen Sie mich in Erinnerung rufen, dass dies nicht die historisch erste Technik-Revolution ist, mit der das Taxigewerbe fertig werden musste. Die explosive Entwicklung des Internets vor 10 bis 15 Jahren und insbesondere der erstmalige Einsatz des Telefons vor 30 bis 40 Jahren hat die Branche entscheidend verändert.
Oder nehmen wir die Motorisierung des Taxis: Hätte sich der Markt dem technischen Fortschritt verwehrt, würden wir heute nur schnellere Pferde einsetzen. Ich sage es noch einmal: Es ist immer der Markt, der etwas bewegt.“
Woher kam die aktuelle Veränderung? Ging es um die “San Francisco / Silicon Valley / IT-Mentalität”, die alles unbedingt anders und besser als jeder Mitbewerber machen will?
„Es schien, als würde sich ‚Uber‘ mit seinen wirtschaftsliberalen Denkstrukturen eines sich selbst regulierenden Marktes um die traditionellen Strukturen nicht kümmern. Oder haben sich Taxi Magic und Hailo zu sehr um den klassischen Taximarkt gekümmert? Uber stört den Markt – das Unternehmen verändert dessen Struktur grundlegend, indem es neuen Bedarf für neue Produkte entstehen lässt.
Genau das führt zu einem völlig neuen Kräfteverhältnis in der Branche.“
Wird der Markt damit größer oder fallen Teile einfach weg?
„Es ist zu früh für eine definitive Antwort. Lassen Sie mich das am Beispiel des Taximarkts in Seattle vergleichen, den ich bereits einer näheren Betrachtung unterzogen habe.
Lyft, eine ähnliche Applikation wie UberX bzw, POP, unterstellte, dass der Markt noch nicht ausgereift sei. Dieser konkrete Bereich konnte expandieren, die Taxibranche als solche nicht. Seit 2012 ist die Zahl der Limousinen (‚Uber‘ mitgerechnet) stark angewachsen und führt bereits 40 Prozent aller Taxifahrten aus.
Für Taxis bleiben nur noch Fahrten an den Knotenpunkten und in der Innenstadt übrig. Wie wird das Kräfteverhältnis des neuen Marktes aussehen? Es ist zu früh für eine fundierte Voraussage. Wie kann man Marktanteil gewinnen? Jeder hat heute ein Smartphone – und Apps in Mengen.“
Die Sicht der Regulierungsbehörden spielt auch eine Rolle. Welchen Sinn haben gesetzliche Regeln eigentlich noch? Sollte man nicht den Markt sich selbst überlassen?
„Nehmen Sie zum Beispiel London. Die erforderliche Ortskenntnis dort ist eine hohe Einstiegshürde – auch wenn das keiner so offen sagt. Es setzt aber auch einen hohen Standard. Ist Ortskenntnis heutzutage überhaupt noch notwendig oder statten wir jedes Fahrzeug mit einem Navigationssystem aus? Wenn wir uns dafür entscheiden, dass Taxis und ihre Fahrer gewisse Kriterien erfüllen müssen, brauchen wir Tests sowie zuverlässige und geprüfte Fahrer.
Dann ist die strenge Ortskenntnis auch notwendig. Doch wo ist hier eine Linie zu ziehen? Stellen oder schränken Sie die Ortskenntnis als Einstiegskriterium ein und Sie bekommen ein völlig anders orientiertes Taxigewerbe.“
Es macht den Eindruck, als ob Branche und Regulierer nicht mehr weiter wissen. Wie geht es weiter?
„Ich möchte das mit dem Buch ‚Über das Sterben‘ von Kübler-Ross vergleichen: Jeder verhält sich nach dem gleichen Muster. Man verleugnet etwas, dann folgt die Wut, worauf man versucht, über seine Situation zu verhandeln. Die nächsten Schritte sind dann: Depression, Akzeptanz und Tod. In welcher Phase befindet sich nun eine betroffene Stadt oder Region?
Das hängt davon ab, welchen Einfluss die Apps schon haben. Großbritannien verleugnet seine Situation völlig. Dem Engländer kann man zurufen ‚Ein Schnellzug kommt und überfährt Dich‘ – aber niemand würde hinhören oder überhaupt reagieren. Den Deutschen treibt die Wut, so denke ich. Die USA führt Regulierungsmodelle ein, um die Apps kontrollieren zu können.
Als nächster Schritt folgt das Verhandeln. In vielen Regionen haben die unterschiedlichen Apps – vornehmlich Uber und Lyft – bereits eine Marktmacht erreicht, die sie in eine Verhandlungsposition mit den Regierungsbehörden und dem Taxigewerbe bringt.“
Sicherlich gibt es Unterschiede zwischen dem Markt in USA und dem in Europa.
„Ja, obwohl ‚Uber‘ vor kurzem einen internationalen Feldzug startete, liegt Europa sicherlich noch weit hinter der USA. Genau hier können kontinentale, nationale oder regionale App-Anbieter wie E- cab, taxi.eu und Cabonline noch Marktlücken besetzen. Doch diese Lücken schließen sich erschreckend schnell.“
Cooper vergleicht die beschriebenen Entwicklungen mit Starbucks und Costa, einem Kaffeeanbieter aus Großbritannien. Er meint, Costa habe mehr Niederlassungen als Starbucks und verkaufe mehr Kaffee.
„Starbucks ist allerdings an allen wesentlichen Verkehrsknotenpunkten vertreten und kann auf herausragende Umsatzzahlen verweisen. So entsteht ein Kräftegleichgewicht. Hier wie auch im Zusammenhang mit der Expansion von ‚Uber‘ gibt es einen demographischen Hintergrund: Das Unternehmen weist eine besondere Attraktivität für bestimmte Zielgruppen auf, in dem es beispielsweise nur Kreditkarten akzeptiert.
Nicht jeder hat allerdings eine Kreditkarte. Genau hiermit gewinnen allgemeine ‚white-label- Apps‘ ihren Markt – Kreditkarten sind bei ihnen nicht erforderlich. ‚Uber‘ wird sich nicht mit jedem seiner Produkte in jedem Marktbereich behaupten können. Insbesondere nicht, was Minderheiten (nämlich etwa in ihrer Mobilität eingeschränkte Kunden) betrifft.
Auch Behinderte müssen in einem bestimmten Markt mit dem Taxi fahren können und diese über Apps bestellen können.“
Sie verweisen immer wieder darauf, dass Regulierungsbehörden permanent neu betrachten müssen, warum sie was regulieren.
„Ja. Die Transportbranche wird seit 400 Jahren reguliert. Brauchen wir das überhaupt? Wenn ja – wie viel, inwiefern und wie? Sicherlich soll nicht jedes Detail einer gesetzlichen Regelung unterworfen sein müssen. Aber vielleicht sollte definiert werden, dass jedes Fahrzeug oder zumindest eine gesicherte Anzahl an Fahrzeugen für Rollstuhlfahrer nutzbar ist. Doch es gibt genug Lobbyisten der Taxibranche, die davon weniger begeistert sind.
Genau deshalb meine ich, dass man die Detailgenauigkeit von Richtlinien überdenken sollte. Wo Regulatoren über den Umgang mit Apps keine klaren Botschaften formulieren können, ist eine effektive Reaktion problematisch. Apps können sich auch dort kräftig entwickeln, wo es der Taxibranche noch an Qualität mangelt. Das heißt nicht, dass die Taxis nicht genug leisten, sondern meistens geht es um die Kundenerwartung. Diese steigt sofort als Antwort auf die Einführung neuer und verbesserter Taxiangebote.
Dinge werden oft nicht so wahrgenommen, wie sie wirklich sind. Sei pro-activ, verringere die Wirkung der Apps, und kümmere dich um den Marktrückgang. Es ist schwierig, Apps zu kontern, wenn diese die Oberhand gewinnen.
Mein Rat: Der beste Weg, sich zu behaupten, ist es, hohe Qualität anzubieten. Doch gerade in den USA, wo sich der Markt aus selbständigen Fahrern zusammensetzt, lässt sich dieser Rat nicht immer befolgen. Eine Taxifahrt muss einfach perfekt auf einen Kunden wirken – von Beginn bis Ende. Uber kann die Qualität von dem Moment an bereits kontrollieren, wenn die App betätigt wird. Nur wer Uber übertrifft, kann auf dem Markt bestehen bleiben. Durch das Marktverhalten von Uber sind bestimmte Richtlinien uneffektiv geworden, gerade, wenn sie nicht durchgesetzt werden.
Man muss den Markt davor schützen, sich nur von wirtschaftlichen Gegebenheiten lenken zu lassen. Auch abgelegene Bereiche müssen angefahren werden, und das Bedienen eines jeden Kunden muss gewährleistet sein. Die Regulierungen für den Taximarkt dürfen keine Utopie fordern, doch wirtschaftliche Nachhaltigkeit: Entscheidungen von heute müssen Vorteile für morgen nach sich ziehen können.“
In Kalifornia gab die Public Utilities Commission (PUC) (= Amt für öffentliche Versorgungsunternehmen) dem App-Markt volle Bewegungsfreiheit. Apps können Taxis, Mietwagen, Limousinen oder eine Mitfahrgelegenheit anbieten. Ist das der richtige Weg für die Zukunft?
„Es ist ein Unterschied, sich auf Kalifornien oder auf eine optimal regulierte Stadt wie San Francisco konzentrieren zu wollen. Die grundsätzliche Frage aber bleibt für jede Regulierungsbehörde: Welchen Sinn erfüllen Richtlinien? Wir blicken auf Jahrhunderte der Regulierung zurück – Richtlinien wurden oft nur sehr selten aktualisiert. Wo es Veränderungen gab, wurden sie oft retro-aktiv vorgenommen – und genau das wird gegenwärtig nicht funktionieren können. Es muss Richtlinien geben können.
Nur welche? Preise? Zahlen? Sicherheitsbestimmungen? Genau diese Fragen müssen geklärt werden!“
Um bei der Taxibranche zu bleiben: Die Funktion der Funkvermittler mag unnötig werden. Aber bleibt es bei diesem Opfer?
„Es ist wahrscheinlicher, dass die Taxizentralen einem bedeutenden Wandel erliegen werden. Manchmal geht es bei diesen Unternehmen in der Hauptsache um eine Investition in Taxikonzessionen – hiermit erfüllen sie eine andere Funktion. Aber als einfaches Kommunikationsmittel werden sie einem elementaren Wechsel unterzogen werden – weil eine hohe Anzahl telefonischer Vorbestellungen in nur wenigen Jahren wegfallen wird. Hier werden Apps genutzt werden können. Die Firma „Uber“ bezeichnet sich nicht als Transport-, sondern als Technikunternehmen.
Dies ist auch die Art und Weise der Firma Yellow Cabs – in manchen Städten fungiert sie als reines Planungs-, aber nicht als Transportunternehmen. Das Unternehmen hat die Aufgabe, regelmäßig einzuschätzen, welchen Stellenwert die eigene Marke auf dem Markt behält. Aber letztendlich sind Hailo, Taxi, Magic, Uber und Lyft die Taxizentralen der Zukunft.“