Vor einem halben Jahr schien es, dass Daimler, BMW und Volkswagen die neuen Herrscher über scheinbar bessere Mobilitätsformen werden würden. Doch die Vorzeichen haben sich drastisch gewandelt.
Am 22. Februar knallten bei Daimler und BMW die Sektkorken. Man hatte soeben die Fusion der Mobilitätsdienstleistungen bekannt gegeben. Mit den fünf Joint Ventures Reach Now, Charge Now, Free Now, Park Now und Share Now wollte man einen „weltweit führenden Gamechanger schaffen“, wie es der damalige BMW-Vorstand Harald Krüger formulierte. Also jemanden, der das Spiel um die künftigen Mobilität neu aufzieht – mit eigenen Regeln.
Der Bereich „Free Now“ war hier als wichtige Säule eingeplant, jener Teil, der individuelle Personenbeförderung (noch) mit Chauffeur bedienen sollte – quasi als Datensammler und Wegbereiter für das künftige autonome Fahren. Das Feld schien bestellt, die Spielwiese war präpariert und auch die Regeln waren kurz davor, an das Geschäftsmodell der neuen Mitspieler angepasst zu werden, denn Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hatte knapp zwei Wochen vorher in einem Eckpunktepapier zur Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) die Aufhebung der Rückkehrpflicht sowie den Wegfall des Verbots der Einzelplatzvermietung für Mietwagen in Aussicht gestellt.
Alles schien zu passen – nicht nur für Daimler und BMW, sondern auch für Volkswagen und die Deutsche Bahn, denn deren Produkte „Moia“ und „CleverShuttle“ würden dann ihre Ride-Pooling-Dienste ganz offiziell als Mietwagenverkehre durchführen können – mit vielen Rechten und kaum noch Pflichten.
Inzwischen ist bei den Top-Managern der Automobilkonzerne Ernüchterung eingekehrt und es rollen erste Köpfe. Ole Harms wurde Anfang September von Robert Hinrichs als Moia-Chef abgelöst. Hinrichs hatte bis vor rund zwei Jahren noch als Geschäftsführer des damaligen Daimler-Mobilitätsprojekts Moovel fungiert, dessen weitere Entwicklung wurde vom Konzern dann aber jemand anderem anvertraut (Jörg Lamparter). Und Daniela Gert tom Markotten, die als neue Chefin des BMW/Daimler-Joint-Ventures agierte, hat vor zwei Wochen gekündigt.
Letzte Woche nun hat der neue BMW-Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse gegenüber dem Handelsblatt den Ausstieg aus dem Joint-Venture angedeutet, getrieben von der Einsicht, dass man im Bereich der „Personenbeförderung mit Fahrer“ keine positiven Ergebnisse erwirtschaften könne und man sich künftig doch lieber auf die Kernkompetenz als Autohersteller konzentrieren wolle. Für den Mobilitätsdienstleister und die noch im Februar so feierlich präsentierten fünf Sparten suche man nun Investoren – also Käufer.
Was ist nur in den letzten sieben Monaten passiert, dass aus den selbsternannten Gamechangern nun plötzlich solche Mindchanger geworden sind? Sie wollten das Spiel verändern, jetzt haben sie ihre Meinung geändert.
Aus Sicht der Taxibranche kann man attestieren, dass sich die Automobilkonzerne ziemlich verzockt haben – allen voran Daimler und dessen Moovel-Sparte. Denn gerade die hatten mit mytaxi das beste Pferd im Stall in das Joint-Venture eingebracht.
Dann aber haben sie aus der Edel-Stute einen ziemlich lahmen Gaul gemacht, indem sie die mytaxi-App zu einer Free-Now-App umwandelten und seitdem krampfhaft versuchen, dem bisherigen Taxikunden den Umstieg auf den günstigeren Mietwagen schmackhaft zu machen.
Die Strategie war dabei auf mehrere Säulen verteilt: Erstens konnte man vom Start weg auf eine bestehende (mytaxi)-Kundschaft zurückgreifen. Zweitens war man sich sicher, dass die meisten bisherigen Taxipartner den Wandel zum Mietwagen mitgehen würden oder zumindest als Taxi-Partner die Mietwagenüberläufe abarbeiten würden. Und drittens wollte man die historisch gewachsene Nähe zum Bundesverkehrsministerium nutzten, damit von dort die zu erwartende Novelle des PBefG die Regeln zugunsten von Daimler, Volkswagen und Deutscher Bahn ausgestaltet werden würde. Dass davon auch der US-Fahrtenvermittler Uber profitieren könnte, nahm man billigend in Kauf. Uber würde man mit entsprechenden Dumpingschlachten schon zurückdrängen, so das Kalkül.
Heute muss man zur Kenntnis nehmen: Alle drei Säulen stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Schon die Sache mit der PBefG-Novelle entwickelte sich politisch ganz anders als vorgestellt. Man hatte sicherlich nicht damit gerechnet, dass ein regional zersplittertes und kleinteiliges Taxigewerbe einen dermaßen lauten und politisch erfolgreichen Protestfeldzug auf die Beine stellen würde. Die Branche organisierte einen Taxiaktionstag, bei dem über 10.000 Taxifahrer auf der Straße demonstrierten (gefolgt von zahlreichen regionalen Demonstrationen und Mahnwachen). Zusätzlich begab man sich auf „Scheuerwehr-Tour“, um die Landespolitiker in allen sechzehn Bundesländern von der Beibehaltung der Rückkehrpflicht zu überzeugen.
Dazu kam, dass Uber als geduldeter Profiteur der neuen Regelung seine eigentlich zugedachte Funktion als Ablenkungsmanöver und Prellbock nicht erfüllen konnte. Stattdessen wurden die Schwächen des Uber-Systems (Verkehrsverdichtung und permanenter Rechtsbruch) zur Steilvorlage für die Taxibranche und deren politischer Argumentation.
Am Schluss zeigte die massive Lobbyarbeit der Automobilkonzerne nur noch bei der FDP Wirkung. Die steht nach wie vor wie ein Fels hinter den Industrie-Interessen, was bei der Zukunftsveranstaltung des Bundesverbands Taxi in der Person der FDP-Bundestagsabgeordneten Daniela Kluckert allzu deutlich wurde. „Deutsche Unternehmen müssen die Möglichkeit bekommen, neue Firmen zu gründen, und deshalb muss die Rückkehrpflicht fallen“, sagte Kluckert im Rahmen einer Diskussionsrunde zur PBefG-Novelle. Das ist so ziemlich derselbe Sprachduktus, den auch der Daimler-Konzern in Person von Free-Now-Manager Alexander Mönch verwendet. Der hatte letzte Woche über die Deutsche Presseagentur vor einer Verwässerung der geplanten PBefG-Reform gewarnt: „Es wäre ein fatales Zeichen der deutschen Politik, die Reform kleinzuhalten und damit Innovationen zu verhindern“.
Dass man mittlerweile nur noch die FDP als Fürsprecher im Bundestag und den Landesparlamenten hat und diese mit dieser Meinung politisch ziemlich isoliert dasteht, ist sicherlich auch das Ergebnis der unermüdlichen Aufklärungskampagne des Bundesverbands Taxi und Mietwagen und aller Helfer und passt sicher nicht ins Kalkül von Daimler & Co.
Selbst der CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer, der bisher allen Taxiprotesten hartnäckig die Stirn geboten hat, hat sich inzwischen damit abgefunden, dass seine Eckpunkte keine Mehrheit finden würden, weshalb die von ihm gegründete Findungskommission die Abschaffung der Rückkehrpflicht in der Sitzung am 13. September zu den Akten gelegt hat und nun verzweifelt nach Kompromissen sucht.
Fazit: Die (nachträgliche) politische Legitimierung eines auf Rechtsbruch ausgelegten Geschäftsmodells durch Anpassung des PBefG ist aktuell in weite Ferne gerückt.
Als ähnlich desaströs erweist sich die zweite Säule der Daimler-Strategie. Man versuchte, den Taxiunternehmern als bisherige mytaxi-Partner einzureden, dass die Rückkehrpflicht sowieso fallen werde und dass deshalb die Verkehrsart „Taxi“ keine Zukunft mehr haben würde. Gleichzeitig erzählte man das Märchen, dass man nach wie vor die „Taxi-DNA“ in sich trage. Diesen Widerspruch entlarvte selbst der eingefleischteste mytaxi-Partner.
Alexander Mönch von Free Now wollte mit solchen Aussagen den Rattenfänger von Hameln spielen. Gefolgt sind ihm nur wenige Taxipartner, was nun wiederum auch noch die dritte Strategiesäule zum Einstürzen bringt. Mit hohem Werbeaufwand hatte Free Now in Hamburg, Berlin, München und Köln seinen neuen Mietwagendienst publik gemacht. Doch wenn die Kunden auf den günstigen Mietwagen zurückgreifen wollen, stehen kaum Fahrzeuge zur Verfügung – und auch die Weitergabe der Fahrten an die Taxiflotte klappt nicht. Zu viele haben mittlerweile die Zusammenarbeit beendet. Ein Beitrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg deckt die Versorgungsmängel der Free-Now-App schonungslos auf.
Bei all diesen Vorzeichen hat BMW-Chef Zipse schon seine Konsequenzen gezogen. Bleibt abzuwarten, wann Daimler-Vorstand Ola Källenius ähnliches verkündet. Für den Kunden mag dies auf den ersten Blick bedauerlich sein, bekommt er kurzfristig doch keine individuelle Personenbeförderung zum Dumpingpreis. Mittel- und langfristig wird der Verbraucher jedoch froh sein, jederzeit für jede (noch so kurze) Fahrtstrecke überall und zu einem bezahlbaren Preis befördert zu werden – ganz im Sinne des Taxislogans „Verlässlich ist modern“. Und Pooling-Fahrten sowie ergänzende „On-Demand-Linienverkehre“ kann ebenfalls das Taxi anbieten. Somit sollten sich auch Volkswagen von Moia und die Deutsche Bahn von CleverShuttle lösen und sich ebenfalls auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. jh
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die wilde Kapitalisten müssen ihre Vorhaben Gewinnmaximierung aufgeben. Nach dem Motto Leben und Leben lassen,ohne Mittelschicht keine Gewinne.
Es gibt doch noch gute Nachrichren
Ein klasse Artikel! Brillant geschrieben und informativ. Mit Freude gelesen und der Dank an an diejenigen, die sich für unser Gewerbe eingesetzt haben, kommt nicht zu kurz. Mein besonderer Dank und Respekt geht an Michael Müller!
Super Artikel! Danke dafür!
Hallo Leute,
Stimmt es dass die Taxikonzessionen in München sowie in Berlin und Hamburg freigegeben wird?
Hallo Kemal,
in Berlin und Hamburg sind die Taxikonzessionen schon immer freigegeben, ebenso in wenigen kleineren Städten wie z.B. Lübeck oder Oldenburg. In München sind sie wie in fast allen anderen Städten unter Berufung auf den Paragraph 13,4 des PBefG limitiert: https://www.gesetze-im-internet.de/pbefg/__13.html
Uns ist auch nichts bekannt, dass dort die Konzessionen freigegeben werden sollen. Eher im Gegenteil: Die Stadt München hat ein Gutachten zur Überprüfung des Taximarkts nach §13,4 PBefG in Auftrag gegeben. Ein klares Zeichen, dass es keine Aufhebung der KOnzessionsbeschränkungen für Taxis geben wird. Wir haben darüber auch berichtet: https://taxi-times.com/muenchen-bekommt-abermals-ein-taxi-gutachten/
Die Entwicklung ist sehr positiv – der Bundesverband des Taxigewerbes hat mit seinen spürbaren und gut durchorganisierten Protesten eine breite Wirkung erzielt. Leider ist davon in München aktuell nichts zu spüren – Mietwagen von UBER und FREE NOW fahren 24 Stunden nonstop durch München und bedienen per Direktansprache und unerlaubtes Bereitstellen sich an der Wies‘n und im Innenstadtbereich. Das KVR MÜNCHEN und die zuständigen Landratsämter wie Freising – Erding – Landsberg / Lech und München Land schauen diesem illegalen und kriminellen Treiben kommentarlos zu. Wild – West Mentalität beherrscht zur Zeit München und ein Ende ist nicht abzusehen. Die Staat verweigert sich für Ordnung und Recht zu sorgen. Das Münchner Taxigewerbe steht aber nicht still und wird sich diese Kriminellen und illegalen Methoden NICHT weiter gefallen lassen !!!
Klasse Artikel. Danke an die Redaktion der Taxi Times.
Warum stellt sich das Taxigewerbe keinem Wettbewerb?
Eure überteuerten Preise sind lächerlich.
Es kommt so, wie es kommen musste. Die deutschen Konzerne haben mit den falschen Versprechen die Politik unterwandert. Dass diese Dienste nur mit Dumping und/oder Illegalität zurecht kommen können, habe wir bei der Klage gegen MOIA in Hamburg immer wieder betont. Dass Ridesharing eine Illusion ist, erkennt in Hamburg jeder, der gesunde Augen hat. Bei diesem angekündigten Untergang der Illusionen erlaube ich mir die Schadenfreude zu empfinden. Ivica KrijanHamburg