Es kursiert eine Menge Halbwissen um das Thema Nötigung, aber kann der Vorwurf der Nötigung im Straßenverkehr tatsächlich die Existenz von Berufskraftfahrern bedrohen? Die Antwort lautet leider: Ja!
Der Tatbestand der Nötigung stammt aus dem Strafrecht. Die juristische Verfolgung unterliegt daher komplett anderen Bedingungen als sonstige Verkehrsdelikte. Wer also beruflich häufig im Straßenverkehr unterwegs ist, sollte sich daher auch vor dem möglichen Vorwurf einer Nötigung mit dieser Fallkonstellation auseinandersetzen, denn steht der Vorwurf erst einmal im Raum, ist es wichtig, mit Bedacht zu handeln.
Klassischer Fall einer Nötigung im Straßenverkehr ist eine Auseinandersetzung um die Vorfahrt auf der Überholspur einer Autobahn. Sowohl diejenigen, der gerne am Vordermann oder -frau vorbei möchten, sind gefährdet, wenn sie dabei kurzfristig die Contenance verlieren, als auch diejenigen, die dem Hintermann oder auch -frau noch kurz zeigen wollen, dass auch sie Rechte haben. Der Witz dabei: Beide haben Unrecht, denn niemand hat auf der Überholspur Vorfahrt und niemand darf ohne Grund das Rechtsfahrgebot missachten.
Sollte sich nun einer der beiden Betroffenen genötigt gefühlt haben, gibt es das Recht, diese Nötigung zur Anzeige zu bringen. Eine Nötigung ist im Strafgesetzbuch unter Paragraph 240 StGB normiert: Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird danach mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Auch der Versuch ist strafbar. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
Auf den Straßenverkehr übertragen bedeutet dies: Zwingt jemand andere Verkehrsteilnehmer dazu, etwas zu tun, was diese ohne strafbare Handlung nicht getan hätten, beispielsweise einen Spurwechsel in einer Fahrzeugkolonne, indem konsequent distanzlos gedrängelt und somit gefährdet wird, dann sind schon alle Bedingungen der Nötigung erfüllt. Missachtet man im Gegenzug das Rechtsfahrgebot nicht deswegen, weil man unaufmerksam oder ängstlich ist, sondern weil man andere ärgern will, gilt dies genauso. Nötigung ist also Alltag auf deutschen Straßen und wird lediglich selten angezeigt.
Wird einem Gericht eine solche Tat als Anzeige vorgelegt und das Gericht sieht den Vorgang als erwiesen an, hat es gar keine andere Möglichkeit, als diese Nötigung nach Ermessen zu bestrafen, beispielsweise mit einer Geldstrafe. Verkehrsrechtlich hat eine erwiesene Nötigung dann zusätzlich 3 Punkte in Flensburg zur Folge. Auf diesem Wege erreicht dann die Information der erwiesenen Nötigung zwangsläufig auch die Führerscheinbehörde, welche bei berechtigten Zweifeln an der charakterlichen Eignung von Führerscheininhabern berechtigt bzw. sogar verpflichtet ist, die Fahrerlaubnis in der Folge einzuziehen, um die anderen Verkehrsteilnehmer zu schützen. Der Führerschein ist also nicht eine Zeitlang abzugeben, die Fahrerlaubnis ist so tatsächlich komplett ungültig, natürlich inklusive Fahrgastbeförderungsschein. Nach einem Entzug der Fahrerlaubnis ist es aber äußerst schwer, diese wiederzuerlangen. Eine bestandene MPU (medizinisch-psychologische Untersuchung) ist hier Minimalvoraussetzung.
Ist ein solches Verfahren aber erst einmal ins Rollen geraten, gibt es kaum eine Möglichkeit, es noch zu stoppen, und allein ein vertrauensvoller Augenaufschlag hilft vor Gericht wenig. Denn wer eine solche Tat zur Anzeige bringt, hat in der Regel keine persönlichen Vorteile zu erwarten, und daher gehen die Gerichte gemeinhin davon aus, dass jemand, der sich für nichts und wieder nichts die Mühe macht eine Nötigung anzuzeigen, in der Regel auch tatsächlich ein Nötigungsopfer gewesen sein könnte. Gegendarstellungen werden dann schnell als Schutzbehauptungen wahrgenommen. Gibt es möglicherweise noch Vorstrafen oder auch andere nachweisliche Verkehrsdelikte, die den Angezeigten eine gelegentliche gewisse Rücksichtslosigkeit im Verkehr nahebringen, ist es schwer, sich aus diesem Sumpf wieder zu befreien.
Im klassischen Rechtsverständnis haben wir im Übrigen gelernt, dass aus der Situation Aussage gegen Aussage bei einem Rechtsstreit meist eine Nullnummer wird. Diese Annahme geht jedoch bei dem Vorwurf einer Nötigung fehl, denn die Freiheit der Gerichte bei der Beweiswürdigung ist im Strafrecht erheblich weiter gefasst als beispielsweise bei einem Geschwindigkeitsdelikt. Insofern kann das Gericht auch bei einer unklaren Beweislage nach Anhörung der Beteiligten durchaus eine Entscheidung zu Lasten des Beklagten fällen.
Ein landläufig formulierter Tipp gegenüber Betroffenen legt den Beklagten nach Erhalt der Anzeige nahe, eine Gegenanzeige zu Protokoll zu bringen. Allerdings liegen den Betroffenen meist gar keine hinreichenden Informationen vor, wen sie denn überhaupt anzeigen wollen, und außerdem wird ein Gericht diese Aktion meistenteils auch lediglich als Reaktion, also wiederum als Schutzbehauptung, werten.
Eine berechtigte Chance hat schon eher der- oder diejenige, der gar nicht erst als verantwortlicher Fahrzeuglenker ermittelt werden kann, denn das Gericht kann ja nur gegen Menschen, nicht aber gegen ein Fahrzeug ermitteln. Allerdings ist die Staatsanwaltschaft je nach Schwere des Vorwurfs im Zweifel dann auch durchaus mal bereit, diese fehlenden Fakten anhand von Hausdurchsuchungen in Heim oder Betrieb zu erheben in der Hoffnung, Fahrtenbücher oder andere Beweise zu finden.
Selbst wenn die Staatsanwaltschaft moderat bleibt, wird sich solch eine Nummer kaum ohne qualifizierte anwaltliche Beratung durchhalten lassen, zumal man als Beschuldigte*r vor dem Verfahren nicht einmal Akteneinsicht in die vorliegenden Beweise erhalten wird.
Setzt man sich also erst einmal damit auseinander, wie schnell bei diesem Thema aus einer Mücke ein Elefant werden kann, wird klar, dass keine Meinungsverschiedenheit im Verkehrsgeschehen diese Konsequenzen rechtfertigen kann.
Das Wort Verkehr beinhaltet per Se ein Miteinander, denn man will ja gemäß den „Verkehrsregeln miteinander verkehren“, „gegeneinander verkehren“ ergibt dagegen einfach kein Sinn. Also muss gerade für Profis Entspannung die oberste Devise hinter dem Steuer sein: einfach noch etwas mehr Platz lassen für die Fehler die Amateure. Denn es ist tatsächlich so, dass es die wenigsten Verkehrsteilnehmer auf sich nehmen, andere anzuzeigen. Und im Umkehrschluss ist dann vielleicht auch durchaus etwas dran, wenn tatsächlich mal solche Anzeigen eingehen, und die Gerichte haben Recht, wenn sie daher in solchen Fällen entsprechend konsequent handeln. rw
Beitragsfoto: Remmer Witte