Der estnische Mobilitätsvermittler „Bolt“ expandiert weiter, hat jetzt seinen Fahrdienst auch in München und Salzburg gestartet. Die Medien berichten darüber erschreckend unkritisch und vernachlässigen damit ihre Aufklärungspflicht gegenüber ihren Lesern.
Ein Kommentar von Taxi-Times-Herausgeber Jürgen Hartmann
Es ist wie immer, wenn ein neuer Anbieter in den Markt eintritt. Eine große PR-Maschinerie kündigt den Newcomer an, gelockt wird mit Dumpingpreisen und die Presse feiert, dass es eine weitere billige Alternative für „Taxifahrten“ gibt.
So läuft es derzeit auch wieder mit dem Start von Bolt als Fahrtenvermittler in München und Salzburg. „Die Preise für die Fahrten sollen günstig ausfallen.“ Und: „Die ersten zehn Fahrten kriegen die Kunden zum halben Preis“, schreibt beispielsweise die Münchner Abendzeitung. Und schickt wie zur Beschwichtigung gleich mal ein Zitat von Laurent Koerge hinterher: „“Die Fahrer bezahlen wir natürlich normal.“
Informationen zur Fahrerbezahlung finden sich im Beitrag dann aber keine. Da könnte man jetzt sagen, den Leser einer Abendzeitung interessiert das nicht, da er als Kunde nur am günstigen Fahrpreis interessiert ist und es ihm egal ist, wie hoch die Bezahlung des Fahrers ist.
Es sollte den Kunden allerdings interessieren, denn das unternehmerische Risiko für diese Billigfahrten trägt nicht etwa Bolt, sondern der selbständige Unternehmer, der sich der Plattform anschließt. Genauso wie Uber oder auch Free Now umgeht Bolt damit die lästige soziale Verpflichtung, Mindestlohn, Lohnfortzahlung oder Urlaub zu bezahlen. Diese gesellschaftspolitische Verantwortung wird auf die angeschlossenen Unternehmen und deren Angestellte übertragen.
Aus Sicht von Bolt & Co ist das Ziel klar: Ein möglichst großes Stück vom Kuchen der gewerblichen Personenbeförderung bekommen. Je günstiger man also Fahrten anbietet, desto besser lassen sich Kunden anlocken. Also schreibt der Plattformanbieter die (Dumping-)Preise vor, zu denen der selbständige Unternehmer und dessen Personal dann fahren muss und kassiert von diesem Preis eine Vermittlerprovision, die bei entsprechender Marktmacht dann auch mal auf bis zu 30 Prozent hochgeschraubt wird.
Für Bolt & Co gilt das Prinzip „Masse schlägt Klasse“. Wenn man mit einem um 50 Prozent reduzierten Fahrpreis die dreifache Menge an Fahrten vermitteln kann, ist die Rendite höher.
Die Zeche zahlt der angeschlossene Unternehmer, denn bei ihm stößt das Masse-Prinzip an seine natürlichen Grenzen. Ein einfaches Rechenbeispiel kann das belegen: Eine Innenstadtfahrt kostet bei Bolt beispielsweise 5 Euro (man will ja noch günstiger als Uber sein). Sie dauert inklusive Abholzeit und unter Berücksichtigung des Verkehrs zwanzig Minuten. Selbst wenn der angeschlossene Unternehmer ohne Pause mit Aufträgen „gefüttert“ wird, kann er pro Stunde maximal 15 Euro einfahren, abzgl. zwanzig Prozent Vermittlungsprovision bleiben davon 12 Euro brutto. Davon muss er seinen Unternehmerlohn finanzieren (oder seinem Fahrer gesetzlichen Mindestlohn bezahlen) und die Betriebskosten seines Fahrzeugs decken.
Die Schlussfolgerung liegt klar auf der Hand: Jede Billig-Fahrt ist ein wirtschaftliches Minusgeschäft und der Unternehmer wird gezwungen, entweder sich oder seinen Fahrer auszubeuten oder aber an geltenden Gesetzen vorbei zu agieren. Somit muss also jedem Fahrgast klar sein, der sich über günstige Fahrpriese bei Bolt, Uber und Free Now freut: Mit jeder Fahrt wird ein System unterstützt, das auf die Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse und auf Rechtsbruch ausgelegt ist.
Wie bereits oben erwähnt: Genau dies sollte den Kunden (beispielsweise den Leser der „Abendzeitung) interessieren. Folglich wäre es die ethische und gesellschaftspolitische Verantwortung jeder Tageszeitung und jedes Nachrichtenportals, den Leser immer wieder darüber aufzuklären und sich nicht damit zu begnügen, die fertige PR-Mitteilung des Plattformanbieters ungeprüft zu übernehmen. jh
Beitragsfoto: Taxi Times
Ich denke, in der Beispiel – Rechnung ist eine falsche Grundlage.
Der Unternehmer erhält für die 3 Fahrten pro Stunde nicht 15,00 €, sondern 30,00 €.
Der Rabatt wird doch wohl von Bolt oder einem Dritten erbracht werden.
Danke für Ihren Leserkommentar, Herr Kehren. Die Beispielrechnung ist richtig, denn sie bezog sich auf die generellen Dumpingpreise, nicht auf kurzfristige Lockvogelangebote.
Außer bei Uber wird man generell nicht mit Fahrten gefüttert, durchschnittlich sind es dann etwas zwischen 15-25€ „Netto“(nach Abzug der Provision) die Stunde die ein Fahrer maximal einnehmen kann, besondere Tage wie Weihnachten, Karneval etc. ausgeschlossen.
Rechnet man den normalen Mindestlohn raus ist es ein Minusgeschäft, Lockengebote wie Boni für Fahrer und Unternehmer sind seit Corona fast gar nicht mehr vorhanden, daher auch kaum eine Reduzierung der 25-30% Provision, vergessen sie nicht die MwSt, die noch vom Unternehmer abgeführt werden muss.
Statt illegales Geschäftsmodell könnte die Taxivereinigung schon längst gegen die Preise klagen und Herausgabe der Daten an die Finanzämter fordern, dann wäre auch klar, dass die Einnahmen nicht die Kosten decken, aber dem Staat gefallen die 19% MwSt Gegenüber der 7% von Taxis und es ist alles schön dokumentiert und digital, sodass man weniger Einnahmen nicht suggerieren kann.
Alles in allem interessiert es am Ende keinen, nur der Kunde freut sich einen Chauffeur samt Fahrzeug bestellen zu können, der billiger ist als öffentliche Verkehrsmittel, meist auch ohne Trinkgeld.
Selbst wenn man von 30,00 € ausgeht hiervon 20 % abzieht kommt man auf 24,00 € Brutto abzüglich beinhaltete MWST von 30,00 € fällig ( Rabatt darf hier nicht berücksichtigt werden) MW 19 % = 4,79 € Taxi = 1,97 € = kommen wir auf MW 19,21 € Taxi 22,03 € abzüglich Fahrermindestlohn z.Z. 9,82 € + 30 % = 12,81 € = MW = 6,40 € Taxi 9,22 € abzüglich Fahrzeugkosten, Betriebskosten …………so wird man sicher Millionär………aber nur Kilometermillionär. Aber wie war das…. als Unternehmerfahrer koste ich ja nix, noch nicht mal den Mindestlohn ……………