Das Taxi-Gewerbe muss nach zwei Jahren Corona und rasant gestiegenen Kraftstoffpreisen selbst mächtig kämpfen. Aber Solidarität war stets ein Kennzeichen der Branche – und ist es angesichts des Krieges in der Ukraine wieder. Hilfsgüter und Spenden werden gesammelt und an die polnisch-ukrainische Grenze transportiert, auf dem Rückweg werden Menschen in Sicherheit gebracht.
Die Rede soll hier von einer Fahrt sein, die ganz spontan entstand. Wir sprachen in Berlin über mögliche Hilfsaktionen. „Was kann das Taxi am besten? Wir können Menschen befördern!“, sagte Leszek Nadolski, Chef der Berliner Taxiinnung. Mehrere Wagen fahren in Berlin ohnehin derzeit mit großen blau-gelben Aufklebern auf den Türen. Solidarität mit der Ukraine, steht da drauf. Auch auf dem Wagen von Rolf Feja. „Wir müssen etwas machen“, sind wir uns einig. Und von der Idee bis zum Start vergehen tatsächlich nur wenige Tage. Jürgen Hartmann von der Taxi Times sagt spontan: „Wir übernehmen die Spritkosten“ – und schon rollen wir los. Unser Ziel heißt Przemysl.
Der Sonne entgegen
Samstagmorgen um 7 Uhr starten wir, auf dem Parkplatz von Taxi Berlin gibt es noch ein Erinnerungsfoto. Dann rollen wir aus der Stadt. Es ist ruhig in Berlin, nur wenige Autos sind so früh auf der Straße. Auch die Autobahnen A13/A15 zur polnischen Grenze sind weitgehend leer. Nach 330 Kilometern unser erster Tankstopp – Lipiany. Angenehmer Nebeneffekt: Der Liter Diesel kostet etwa einen Euro weniger als in Berlin. „Was wird uns wohl erwarten?“, grübeln wir die ganze Zeit. Dank der Corona-Trennwand im Vito sind Gespräche aus der Fahrerkabine in den Fahrgastraum kaum möglich. Ist das nun ein Vorteil oder ein Nachteil? Wollen die vielleicht traumatisierten Menschen auf ihrem Weg in den Westen lieber ihre Ruhe oder wollen sie reden? Wir wissen es (noch) nicht. Unterdessen „fressen“ wir Kilometer und passieren Wroclaw, Opole und Krakow. Wir müssen uns noch eine Übernachtung besorgen. Und sind einigermaßen überrascht. Betten, die nicht in riesigen Schlafsälen einer Jugendherberge stehen, sind nicht gerade günstig. Online suchen wir weiter und werden etwas entfernt von unserem Ziel Przemysl fündig. Am Abend erreichen wir das Ziel, zwei Bier als Schlaftrunk – der Sonntag wird kein leichter Tag
Bahnhof Przemysl – das Tor zur Sicherheit
Przemysl, ganz im Osten von Polen, gehörte bis zum ersten Weltkrieg zur Habsburger-Monarchie. Und dem Bahnhof sieht man den k. und k.-Baustil deutlich an. Liebevoll restauriert ist er seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 zum Fluchtpunkt vieler Ukrainer geworden. Aus Sicherheitsgründen ist der Bahnhofsvorplatz für den normalen Autoverkehr gesperrt. Unser Vito darf unter den strengen Augen der Sicherheitshüter trotzdem hier parken. Wir bahnen uns den Weg durch die Menschenmenge im Gebäude – Mädchen und Frauen jeden Alters, dazwischen Kinder und Halbwüchsige. Und viele Menschen in gelben Westen, die freiwilligen Helfer. Die Organisation scheint wie am Schnürchen zu laufen. Polizei patrouilliert. Einige Räume sind für uns nicht zugänglich, Ruheräume beispielsweise oder improvisierte Arztpraxen. Doch da wollen wir ja auch gar nicht hin. Wir melden uns am ersten Info-Punkt, bieten unsere Hilfe an: „Wir haben fünf oder sechs Plätze nach Berlin!“ Im ersten Moment ist dafür kein Bedarf, doch das wird sich in Kürze ändern.
Registrierung zur Sicherheit
Wir haben auch davon gehört, dass Kriminelle aus der Not der Flüchtlinge ihr Kapital schlagen wollen. Deshalb müssen sich alle Helfer auch entsprechend registrieren lassen, um größtmögliche Sicherheit zu bieten. Unsere Registrierung ist ein bisschen improvisiert, sie findet eigentlich auf dem Gelände eines etwas entfernten Supermarktes statt. Klar, dort können auch Busse und Lkw´s parken – auf dem kleinen Bahnhofsvorplatz ist das eher schwierig. Für die polnischen Organisatoren kein Problem: Unsere Daten werden quasi en passant aufgenommen, zusammen mit der Polizei kümmert sich ein rühriger junger Mann in gelber Weste um uns. „Kann man ungefähr absehen, wann die Züge kommen?“, wollen wir wissen. „Theoretisch gibt es natürlich einen Fahrplan“, erfahren wir. „Aber auch die Flüchtlingszüge werden immer wieder beschossen – dann ist jeder Fahrplan hinfällig!“ Und so geht es im Bahnhof zu wie im Taubenschlag. Innerhalb von Minuten bilden sich an den Fahrkartenschaltern lange Schlangen, dann kehrt kurze Zeit später wieder Ruhe ein. Flüchtlinge brauchen für die Weiterreise in den Westen zwar Zugtickets, die sind aber kostenlos.
Unsere Fahrgäste kommen
Maciej, der Freiwillige, der unseren Vito mit Fahrgästen füllt, winkt ganz aufgeregt: „Fahrt Ihr auch nach Wroclaw?“ – „Taxi ist Dienstleister, klar fahren wir auch nach Wroclaw!“, entgegen wir. Und schon wird Katja, Anfang 30, mit ihrem zweijährigen Sohn Maxim, mit uns fahren. Sie stammt aus Poltawa, einer Stadt in der Zentralukraine mit rund 300.000 Einwohnern, und will bei einer früheren Schulfreundin unterkommen. Sekunden später stehen auch die anderen Fahrgäste fest: Nina, eine Rentnerin aus Odessa, will zu ihrem Sohn nach Warstein, dazu Inna mit ihrem 13jährigen Sohn Aljona, deren Heimat Kiew ist und die nun Köln zum Ziel haben. Wir fahren den Vito direkt vor die Tür zum Bahnhofseingang. Während wir das wenige Gepäck verstauen, spricht uns ein weiterer Freiwilliger in perfektem Deutsch an. „Wo sind denn Eure Armbänder von der Registrierung?“ Hilfesuchend drehen wir uns zu Maciej um, der alles richtig stellt. „Durch die improvisierte Registrierung haben wir keine Bänder für sie gehabt“. Die Frage ist damit geklärt, und wir sind ein weiteres Mal begeistert, wie die Abläufe organisiert sind und funktionieren. Denn neben der Sicherheit kümmern sich die polnischen Helfer auch um medizinische Versorgung, Verpflegung und Organisatorisches. Beispielsweise gibt es kostenlose SIM-Karten für die Menschen aus der Ukraine, damit sie mit ihren Familien in Kontakt bleiben können.
Inna und Aljona sind wieder weg
Wir wollen starten und lassen uns überzeugen, dass Maxim und der Kindersitz keine Freunde werden. Der kleine Mann ist offenbar von der bisherigen Reise schon so mitgenommen, dass er seine Mutter auch unbedingt körperlich spüren will. Neben ihr zu sitzen – auch nur der Gedanke daran ist für ihn schrecklich, der Versuch einer Bekanntschaft mit dem Sitz endet immer wieder mit dicken Tränen. Rolf gibt schließlich nach und Maxim darf auf dem Schoss seiner Mutter sitzen bleiben. In der Zwischenzeit sind Inna und ihr Sohn Aljona wieder verschwunden. „Sie wollten nur kurz noch etwas essen“, erfahren wir und warten ein paar Minuten. Neben uns vor dem Bahnhofseingang steht unterdessen ein freundlicher älterer Herr aus Tirol. Abgeordnete aus der Ukraine und aus Österreich haben die Evakuierung von Behinderten auf den Weg gebracht. Er wird seine Fahrgäste zum Wilden Kaiser in der Alpenrepublik bringen. Und auch sein nächster Transport steht schon fest – drei Busse mit kinderreichen Müttern werden ebenfalls aus dem Kriegsgebiet evakuiert, Mitte der Woche soll es soweit sein. Inna und Aljona tauchen in der Menschenmenge wieder auf – und wir rollen los Richtung Westen.
Mehrere Tage bis zum Ziel
Als wir unsere Fahrgäste aufgenommen haben, haben sie schon etwa 48 Stunden Flucht hinter sich. Im Bahnhof von Lviv haben sie die erste Nacht verbracht, ehe sie in Przemysl ankamen, sind weitere 24 Stunden vergangen. Und immer die Angst um die Lieben daheim. Alle fünf haben auf den ersten Kilometern im Vito nun die Augen geschlossen – ob sie wirklich schlafen können, wissen wir nicht. Nach zweieinhalb Stunden die erste Rast in der Nähe von Krakow. Frau Feja hat alles perfekt vorbereitet: Wir haben selbstgebackenen Kuchen an Bord, 5-Minuten-Terrinen, Süßigkeiten und Getränke. Nur heißes Wasser müssen wir uns in der Raststätte besorgen. Und auch hier spüren wir die Herzlichkeit, mit der ein ganzes Land den Flüchtlingen hilft. „Wir haben draußen fünf Flüchtlinge im Auto – könnt Ihr uns die große Thermoskanne mit heißem Wasser vollmachen?“ – „Klar. Kein Thema“, sagt ein Mittvierziger hinterm Tresen, dessen Namensschild ihn als Tomasz ausweist. In der Frühlingssonne machen wir dann ein improvisiertes Mittagspicknick – und ernten viele dankbare Blicke. Maxim bekommt eine neue Windel und wir kämpfen unterdessen mit dem Navi. Die Freundin von Katja wohnt in der Kastanienstraße in Wroclaw. Davon gibt es leider mehrere, welche wir es wohl sein? Nein, es ist ein Vorort von Wroclaw – damit sehen wir klarer. Katja ist überglücklich, dass wir sie in rund drei Stunden bei ihrer Schulfreundin absetzen werden. Aber der Stress der Flucht und die Angst stehen ihr trotzdem ins Gesicht geschrieben.
Die Fahrt gegen die Uhr
Wir wissen Katja und den kleinen Sohn jetzt in Sicherheit, hoffentlich werden sie in den nächsten Tagen die nötige Ruhe finden. Wir verpassen unterdessen eine Autobahnauffahrt in Wroclaw und lernen unfreiwillig noch etwas von der schlesischen Metropole kennen. Ab jetzt fahren wir gegen die Uhr. Denn an diesem Sonntagabend geht um 21.20 Uhr der letzte Zug nach Köln vom Berliner Hauptbahnhof. Eine 50 Kilometer lange Autobahnbaustelle, bis direkt zur deutschen Grenze, lässt uns den Kampf leider verlieren. Als wir am Hauptbahnhof ankommen, zeigt die Uhr genau 21.20 Uhr. Rentnerin Nina nimmt es gelassen: „Dann verbringen wir eben noch eine Nacht auf einem Bahnhof, aber wir sind in Sicherheit!“ Sie hat eben noch mit ihrem Mann in Odessa telefoniert. „Da wird schon wieder geschossen – es ist unklar, ob vom Meer her oder vom Land. Aber wenn der Krieg vorbei ist, müsst Ihr uns in Odessa besuchen. Es ist eine wunderbare Stadt“, schwärmt sie. Wir geleiten die drei zum Welcome Center, deutsche Helfer kümmern sich nun um sie und organisieren die Weiterreise. Rolf sieht müde aus, aber seine Augen glänzen: „Das ist für mich Taxi. Wir machen derzeit wirklich schwere Zeiten durch, aber wir bleiben immer solidarisch.“ Und wir freuen uns gemeinsam über das Erreichte. Wenn wir jetzt nicht gemeinsam zeigen, welche Kraft ein freies und solidarisches Europa hat – wann dann?
Fünf Leute, mag mancher lächeln oder lästern. Aber es sind fünf traumatisierte Schicksale, denen wir geholfen haben. Das Taxigewerbe macht, was es am besten kann – befördern. Fünf Menschen sind jetzt in Sicherheit, es waren rund 2000 Kilometer für die Freiheit! mt
Beitragsfoto: Der Bahnhof in Przemyslist ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge aus der Ukraine. Foto: Matthias Tüxen
Insgesamtes BRAVO !
Auch an Jürgen Hartmann bzgl. Spritbeteiligung !
Bruno