Der NDR deckt auf: Dieselkunden haben 2022 mehr für Kraftstoff gezahlt als nötig. Ein anstehendes Embargo lässt die Preise steigen, da aktuell überall noch russischer Diesel verkauft wird.
Recherchen zeigen, wie ein einflussreicher Preisinformationsdienst der Dieselbranche offenbar zu Millionengewinnen verhalf – auf Kosten der Verbraucher. Zwar hat die EU schon vor Monaten beschlossen, den Handel mit russischem Diesel zu beenden, allerdings greift das Embargo erst im nächsten Jahr. Beim Diesel-Preis an der Tankstelle ist das Embargo dagegen offenbar schon jetzt angekommen. Ein Grund ist nach NDR-Recherchen die Preisinformationsagentur Platts (S&P Global Commodity Insights) mit Sitz in London. Diese hat maßgeblichen Einfluss auf die Preisfindung beim Diesel. Autofahrer tanken so an der Tankstelle nach wie vor Diesel russischen Ursprungs, obwohl das anstehende Embargo schon eingepreist wurde.
Platts rechnete russischen Diesel schon im Sommer dieses Jahres aus dem Preismodell für Nordwesteuropa heraus. Dies verknappte das Angebot – allerdings nur virtuell, denn der russische Diesel war tatsächlich noch im Markt vorhanden und ist dies bis heute. Durch diese Praxis befeuerte Platts offenbar zusätzlich den starken Anstieg des Dieselpreises, wie NDR-Recherchen nahelegen.
Agenturen wie Platts sammeln jeden Tag Informationen bei Dieselhändlern ein und ermitteln so einen Tagespreis pro Tonne. Sie bilden daraus einen Index für eine bestimmte Region. Dieser Index ist eine wichtige Orientierung für den Markt. Der Handel mit Diesel läuft häufig über Jahresverträge. Beispielsweise sichert sich eine Tankstellenkette eine bestimmte Menge Diesel für das nächste Jahr bei einer Raffinerie oder einem Großhändler. Zur Preisfindung einigen sich Käufer und Verkäufer auf den von einer unabhängigen Preisfindungsagentur täglich neu bestimmten Preis. In Deutschland ist das oft ein Index von Platts.
Der NDR berichtet, dass die Veränderung im Dieselpreisindex von Platts, also das Herausrechnen des russischen Diesels, viele Marktteilnehmer überrascht habe. Die plötzliche Veränderung der Berechnungsgrundlage des Index mitten im Jahr, also mitten in der Laufzeit der Lieferverträge, sei ungewöhnlich. Platts habe auf NDR-Anfrage die Veränderung des Diesel-Index zum 1. Juni bestätigt. Der Wunsch danach sei von Marktteilnehmern an Platts herangetragen worden. Die Änderung des Index sei auch publik gemacht worden. Außerdem habe man eine neue Preisinformation angeboten, bei der russischer Diesel weiterhin in die Bewertung eingeflossen sei. Wie viele Händler diese neue Information tatsächlich nutzen, sei allerdings unklar.
Um die Problematik aus Branchensicht zu bewerten, ist zunächst relevant, welchen Anteil die Treibstoffkosten aktuell an den gesamten Betriebskosten haben. In einem Mehrwagenunternehmen ohne selbstfahrende Unternehmer beläuft sich dieser Kostenanteil nach gängigen Kalkulationen derzeit wohl auf ungefähr zwölf Prozent. Ein Preissprung von 20 Cent pro Liter würde je nach Monatsumsatz zwischen 60 und 100 Euro pro Fahrzeug kosten. Damit erreicht die Problematik in der Taxi- und Mietwagenbranche wohl bei weitem nicht die Relevanz, die bei Spediteuren mit erheblich höheren Treibstoffkostenanteilen anfallen. Aber ein Unternehmen mit beispielsweise zwanzig dieselbetriebenen Fahrzeugen hätte so allein im letzten halben Jahr immerhin Geld im fünfstelligen Bereich ungerechtfertigt durch den Auspuff gejagt.
Natürlich hat der Anstieg des Dieselpreises in diesem Jahr viele Ursachen, und nur ein Teil der Preissteigerungen lässt sich dabei auf den veränderten Index zurückführen. Doch aufgrund der großen Mengen Diesel, die in Deutschland täglich verbraucht werden, führen auch kleine Preissteigerungen zu spürbaren Konsequenzen. Nach NDR-Recherchen haben diese Preissteigerungen in Nordwesteuropa zu mehreren hundert Millionen Euro an zusätzlichen Gewinnen für die Dieselbranche geführt. Das Kartellamt wollte sich auf Nachfrage nach NDR-Angaben zu den Recherchen bisher nicht äußern. Es teilte lediglich mit, es schaue sich Preisinformationsagenturen im Zuge einer laufenden Untersuchung an. Wann diese abgeschlossen sei, sei noch offen. rw
Beitragsfoto: Axel Rühle