Heute führt unsere Advents-Rundreise uns an die Adria, wo eine Rockgruppe mit sehr speziellem Humor bekannten Hits neue Texte verpasst.
Man kann sie als italienisches Pendant zu „Weird Al“ Yankovich oder ähnlichen Comedians betrachten: The Pischellis (Aussprache: „Piiskelliis“) aus dem Südosten Italiens. Ihre Parodien wirken vordergründig wie Blödeltexte, haben aber bei genauerem Hinhören einen feinen Humor. Ihnen sind schon Hits wie „Some might say“ von Oasis oder „Take me home, Country Roads“ von John Denver zum Opfer gefallen.
Man stelle sich vor, ein episches deutschsprachiges Lied mit höchst dramatischem Inhalt bekommt einen neuen Text, bei dem Alltagsbanalitäten und gelangweiltes Gemotze aus dem Taxi-Funkverkehr in den höchst dramatischen musikalischen Kontext gesetzt werden, und das ganze auch noch auf sächsisch, schwäbisch, bayerisch, hessisch, berlinerisch oder kölsch.
So in etwa ist es bei dem Lied „Radio Taxi“, auf deutsch Funktaxi. Der Hit mit dem hochdramatischen Inhalt, den die Pischellis sich hierfür 2017 vorgeknöpft haben, ist „Space Oddity“ (auf deutsch Weltraum-Kuriosität) von David Bowie aus dem Jahr 1969, in dem ein Raumfahrer namens Major Tom alleine in den Weltraum fliegt und nach einiger Zeit den Kontakt zur Bodenstation verliert, so dass klar ist, dass er einsam im Weltall sterben wird. Der dramatische Höhepunkt ist die zweimal wortgleich wiederholte Frage „Können Sie mich hören, Major Tom?“ kurz vor dem tragischen Ende des Liedes.
Im Text der Pischellis kommen einige Dinge vor, deren Erklärung das Verstehen des Textes erleichtert: Da ist zum einen der Begriff „Trullo“, ein winziges Steinhaus mit kreisrundem Grundriss und kegelförmigem Dach, in dem es aufgrund der speziellen Bauweise im Winter nicht sehr kalt und im Sommer nicht sehr heiß wird, und das es fast nur in einer einzigen Gegend auf der Welt gibt, nämlich in Apulien, der Region in Italien, deren südöstlichster Teil den Absatz des Stiefels bildet.
Das zweite sind die kryptisch klingenden Bezeichnungen für Taxen bzw. Fahrer. Was bei uns zum Beispiel „Taxi 583“ heißt, kann in Italien „Como 20“ oder „Urbino 3“ heißen, denn dort steht vor der Nummer in der Regel noch eine Art Spitzname.
Die Pischellis haben die Textzeilen von „Space Oddity“ also durch typische, völlig banale und undramatische Äußerungen ersetzt, wie sie beim Sprachfunk im Taxigewerbe Gang und Gäbe sind, und so in ihrem süditalienischen Dialekt zusammengereimt, dass sie ebenso gut in die musikalische Abfolge passen: Zentrale an Como 20, Zentrale an Como 20, warten Sie in der Viale Quattro Venti auf Ihre Fahrgäste? Como 20, hören Sie mich, bitte melden! Wenn Sie den Auftrag nicht ausführen, schicken wir statt Ihnen Urbino 3 zur Abholadresse. Como 20, die Fahrgäste warten, wo sind Sie? Wenn Sie nicht bald da sind, beschweren die sich. – Como 20 an Zentrale, was machen Sie denn für einen Stress? Ich habe doch nur einen Kaffee getrunken. – Zentrale an Como 20, machen Sie jetzt den Auftrag oder sollen wir Urbino 3 schicken? – Dass Sie immer so einen Stress machen müssen … ich bin schon fast zurück im Trullo. Aber schicken Sie nicht Urbino 3, diesen Blödmann! – Zentrale, jetzt bin ich in der Viale Quattro Venti, aber hier ist überhaupt kein Café. Habe ich doch geahnt, dass hier niemand ist. Und dass Sie immer so einen Stress machen müssen … Der dramatische Höhepunkt ist schließlich erreicht, als die Zentrale Como 20 fragt, ob er sie noch hört, und die Frage in äußerster Dramatik zweimal wortgleich wiederholt. Am Ende stirbt Como 20 natürlich nicht, sondern beschwert sich nochmals gelangweilt darüber, wie unentspannt die Mitarbeiter der Funkgenossenschaft sind, weil sie immer so einen Stress machen müssen.
Noch eine Hintergrundinformation: In Italien gibt es ähnlich wie in Deutschland verschiedene Dialekte, und mancher Bewohner einer bestimmten Region blickt hochnäsig auf seine Landsleute aus anderen Regionen. Was bei uns meist noch halbwegs im humorvollen Rahmen bleibt, etwa in Form von flapsigen Witzen über „die“ Ostfriesen, „die“ Bayern oder „die“ Sachsen, die sich wiederum mit selbstbewusstem Humor gegen die haltlosen Klischees behaupten, beinhaltet in Italien häufig einen größeren Schuss Verachtung, da die Norditaliener sich tendentiell als kultivierte Mitteleuropäer betrachten – und ihre Landsleute aus dem Süden als ungehobelte, südländische Bauerntrampel. Zudem sind die sprachlichen Unterschiede innerhalb des Landes größer als in Deutschland, wie eine deutsch-italienische Sprachwissenschaftlerin gegenüber Taxi Times unverklausuliert erläutert: „Während ein Hamburger bei einem Urbayern noch einen Teil versteht und sich ein Bisschen was zusammenreimen kann, versteht jemand aus der Lombardei oder dem Veneto einen Ursizilianer nur sehr schwer, und ein Südtiroler würde wahrscheinlich nur noch ‚stazione’ verstehen.“ Insofern gibt der Dialekt dem Lied noch ein kleines I-Tüpfelchen durch die unausgesprochene Aussage: „Wir sprechen unser breites Apulisch, weil es uns Spaß macht und obwohl wir auch anders könnten – uns doch egal, ob ihr was versteht.“
Übrigens: Auch, wenn man kein Italienisch bzw. Apulisch versteht, sind die auf YouTube zu findenden Lieder der Pischellis sehr melodiös und die Videos witzig. ar
Beitragsbild: Screenshot des Standbildes von „Radio Taxi“