Bärbel Naumann ist kaum bekannt, denn es gibt nur wenig Musik von ihr auf Tonträgern, und doch ist sie eine bemerkenswerte Musikerin, die den DDR-Zensoren Kopfzerbrechen bereitete.
Hinter dem heutigen Türchen wartet eine rare musikalische Perle aus der DDR, wo einerseits westdeutsche und erst recht amerikanische Musik- und Texteinflüsse in der Ulbricht-Ära radikal unterdrückt wurden und auch unter Honecker einigermaßen verpönt waren, andererseits nur wirklich fähige Musiker die Möglichkeit für Plattenaufnahmen und offizielle Auftritte bekamen.
Dadurch gab es praktisch eine Garantie, dass weder im Fernsehen noch auf Schallplatten aus der DDR Dilettanten zu hören waren – anders als in Westdeutschland, wo besonders zu Zeiten der „Neuen deutschen Welle“ so ziemlich jeder einen Plattenvertrag bekam, der wusste, wie man eine Gitarre hält. Aber auch sonst wurde (und wird) in der Bundesrepublik bei hoher Wichtigkeit der Aussage im Zweifel auch mal auf musikalisches Können verzichtet.
In der DDR war es aufgrund der Zensur eine Herausforderung für viele nicht systemkonforme Musiker, ihre Systemkritik so subtil oder versteckt in der Musik zu platzieren, dass sie dem Schießhundblick der Bonzen entgingen. Das war für Bärbel Naumann aber nicht das Problem, denn sie provozierte die Zensoren nicht durch politische Grenzannäherung, sondern durch Frechheit und Laszivität.
Begonnen hatte Bärbel Naumann beim Rundfunk-Kinderchor Leipzig und einer Schallplattenaufnahme mit einem Solo. Später studierte sie wie die meisten bekannten DDR-Musiker ein Musikfach, in ihrem Fall Gesang, machte ihr Diplom in Tanz- und Unterhaltungsmusik und erlangte größere Beliebtheit im Fernsehen.
Anders als Inka Bause, mit der sie häufig verglichen wird, wurde sie trotz professioneller Gesangsfähigkeiten kein Star mit Schallplattenproduktionen. Letztendlich könnte Ihr Scheitern daran liegen, dass sie in keine Schublade passte und aus jeder Richtung aus einem anderen Grund argwöhnisch beäugt wurde. Vom Aussehen und vom Habitus her ging sie in Richtung Punk, die Musik war zeitgemäßer, anspruchsvoll produzierter Spät-Achtziger-Synthiepop, der westdeutschen oder amerikanischen Produktionen in nichts nachstand, aber der Gesang und Text entsprachen – zumindest auf den ersten Blick – einem oberflächlichen 08/15-Schlager:
„Ich hätte es wissen müssen bei einem Mann wie dir, ich hätte es ahnen müssen, was ich da provozier‘. Ich wollte bloß mal mit dir reden, kam nur vorbei, ganz unbewusst, doch plötzlich bist du wie verwandelt, in deinen Augen brennt die Lust.
Refrain: Du, ruf mir bitte ein Taxi, es wird allerhöchste Zeit, ruf mir bitte ein Taxi, sonst geh’n wir vielleicht zu weit.
Ich hätte es sehen soll’n: Du suchst das Risiko, ich hab‘ es nicht glauben wollen, nun brennt es lichterloh. Was ich gleich sage, mein ich ehrlich, weil ich mich nicht vor dir verstell‘: Nun wird es mir hier zu gefährlich, du, das geht mir viel zu schnell.“
Den vermeintlich braven, Keuschheit propagierenden Text verkehrte sie dann allerdings bei der Fernsehaufzeichnung provokant ins Gegenteil, indem sie beim Singen des letzten Refrains das Ende jeder Zeile in ein leidenschaftliches Seufzen bis Stöhnen übergehen ließ (frei nach dem Motto: „Nimm sofort deine Finger … aah, ist das schön!“).
Dieser Teil soll bei der Ausstrahlung 1988 abgeschnitten worden sein. Im Internet ist die vollständige Fassung zu finden, die geistesgegenwärtige Menschen gefunden, gerettet und restauriert haben, so dass wir es komplett sehen können.
Hoffen wir, dass der risikosuchende Verwandelte, dem die Lust in den Augen brannte, seiner Angebeteten dann am nächsten Morgen doch noch ein Taxi gerufen hat. Viel Spaß beim Hören! ar
Beitragsfoto: Screenshot aus dem YouTube-Video
Alle Taxi-Songs des Taxi-Times-Adventskalenders finden Sie hier.