Die Stölting Service Group soll für die Kassenärztliche Vereinigung Berlin über 42.000 Mietwagenfahrten ohne Konzessionen durchgeführt haben. Wie konnte sie vorher mit eigenen Fahrzeugen wirtschaftlich arbeiten?
Im Konflikt zwischen der Firma Stölting aus Gelsenkirchen, deren neue Elektro-Mietwagen derzeit ungenutzt in der Tiefgarage der KV Berlin stehen, und dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) sieht es offenbar nicht gut aus für den Fahrdienst, der mit der KV einen Vertrag über die Beförderung der Kassenärzte zu den Patienten und zurück hat.
Wie berichtet, werden die Kassenärzte derzeit nicht mit den Mietwagen im KV-Outfit, sondern mit Taxis zu den Hausbesuchen gefahren, da das LABO dem Fahrdienst keine Konzessionen für die neuen Fahrzeuge erteilt. Für den Fahrdienst ist das eine kostspielige Situation, da sie zur Erfüllung ihres Vertrages mit der KV nun die Taxifahrten bezahlen muss, statt eigene Fahrzeuge und Fahrer einzusetzen. Nach einem Bericht der Berliner Zeitung sind so bereits Kosten von über 210.000 Euro aufgelaufen.
Nachdem die Berliner Zeitung nun auch vom LABO Auskunft erhalten hat, widersprechen sich die Aussagen beider Parteien erheblich. Stölting betont stets, man leiste seit rund 25 Jahren für die Kassenärztliche Vereinigung in Berlin beanstandungslos, zuverlässig und für die Patienten erfolgreich den Fahrdienst. Das LABO verweigere die Erteilung bzw. Verlängerung der Konzessionen ohne erkennbaren Grund und stelle sich bei Versuchen zur Kontaktaufnahme stur. Daher habe man Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Konzessionen eingelegt.
Vom LABO aber hat die Berliner Zeitung eine andere Sichtweise erfahren, aus der zahlreiche Gründe hervorgehen. „Die Verletzung der Vorschriften zur Personenbeförderung sowie die unterlassene Beibringung antragsrelevanter Unterlagen hätten dazu geführt, dass die Zuverlässigkeit des Unternehmens beziehungsweise der zur Führung der Geschäfte bestellten Personen als nicht gegeben anzusehen war“, bezieht die Zeitung sich auf die Behörde. Die Rede ist von fehlenden Kontoauszügen zur Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit, Führungszeugnissen und Auskünften aus dem Gewerbezentralregister für zwei der Geschäftsführer. Das LABO warte auch auf die Unbedenklichkeitsbescheinigungen des Finanzamtes für alle Geschäftsführer und der Berufsgenossenschaft Verkehr und die Unbedenklichkeitsbescheinigung über die Krankenkassenbeiträge des angestellten Fahrpersonals. Ebenso würden erforderliche Aufzeichnungen über die Beförderungsaufträge, die die Firma hätte beibringen müssen, fehlen. „Inzwischen seien diese ersatzweise im Rahmen des Ordnungswidrigkeiten-Verfahrens bei der KV selbst angefordert und geliefert worden, teilt das LABO mit.“
Die Folge bringt die Berliner Zeitung deutlich auf den Punkt: Das LABO habe „die Erneuerung der Genehmigung für die bisherige Transportfirma“ abgelehnt, weil deren Fahrzeuge „angeblich illegal unterwegs“ waren, und das mindestens für fünfeinhalb Monate, nachdem die Konzessionen für alle 23 Fahrzeuge abgelaufen seien. „Dies sei bei diversen Fahrzeugkontrollen durch die Polizei festgestellt worden. Die Ermittlungen im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren hätten ergeben, dass vom 13. November 2022 bis 3. Mai 2023 wahrscheinlich über 42.000 illegale Fahrten durchgeführt worden seien.“ Das Dürfte teuer werden.
Wie es mit den neuen, ungenutzten Mietwagen weitergeht, ist unklar. Vor dem Gebäude der KV in Westend stehen seit Längerem mehrmals täglich die Taxis Schlange. Wie aus Taxifahrerkreisen zu hören ist, bemühen die Disponenten der KV sich um Stammfahrer für ihre Touren. Nach unbestätigten Angeben werden von der KV an die Fahrer PDA-Geräte ausgegeben, die aber mangels SIM-Karten über die Handys der Fahrer mit mobilem Internet-Zugang, sogenannten Hotspots, zur Datenübertragung befähigt werden müssen.
Die Firma Stölting selbst scheint inzwischen nicht mehr fest damit zu rechnen, ihre Konzessionen in absehbarer Zeit zurück zu erhalten. Seit „der bisher bekannte fachkundige Mitarbeiter“, so die Berliner Zeitung, „wohl bereits am 20. April 2022 aus dem Unternehmen ausgeschieden“ sei, fehle laut LABO eine weitere „der wesentlichen Genehmigungsvoraussetzungen“. Die Berliner Taxivereinigung e. V. (BTV) erhielt kürzlich eine telefonische Anfrage: Man wolle kurzfristig einen Betrieb mit sechs Fahrzeugen samt Fahrern zur Beförderung von „Notärzten“ kaufen. Allerdings ist nicht ganz klar, ob tatsächlich bewusst auf das Taxigewerbe gesetzt wird, da dem Interessenten zunächst der Unterschied zwischen Taxi und Mietwagen habe erklärt werden müssen.
Die derzeitige Situation muss für Stölting unlukrativ sein, wie sowohl von der Firma selbst als auch von der Presse beklagt wird. Da Taxis aber den Kunden nur Geld kosten, solange er sie nutzt, ergibt sich daraus die Frage, wie der Fahrdienst die Beförderung der Kassenärzte vorher mit seinen eigenen Fahrzeugen wirtschaftlich abwickeln konnte. Im Unterschied zu Taxis kosten die eigenen Mietwagen permanent Geld, da sie in den Zeitfenstern, in denen sie nicht von Ärzten beansprucht werden, keine anderweitigen Aufträge ausführen, die Umsatz einbringen würden. Zum Aufrechterhalten eines Fahrdienstes, der Tag und Nacht ein Mindestkontingent an Mietwagen mit Fahrern in Bereitschaft halten muss, hat man also Kosten für jedes Fahrzeug und Personalkosten, die den Fahrern mindestens den Mindestlohn ermöglichen.
Nach Berechnungen des Vorsitzenden der Berliner Taxivereinigung, Richard Leipold, entstehen bei Zahlung des derzeitigen Mindestlohns von 12,00 Euro dem Arbeitgeber Personalkosten von etwa 18 Euro pro Stunde. Unter einem durchschnittlichen Stundenumsatz von 30 Euro netto sei dies angesichts aller weiteren Kosten kaum zu erwirtschaften. Würde der Mindestlohn auf 14 Euro steigen, seien es sogar rund 25 Euro Personalkosten pro Stunde, die einen Umsatz von rund 35 Euro netto als Untergrenze verlangten, wenn der Unternehmer unter dem Strich ein Plus machen möchte.
Um die sich daraus ergebenden Kosten zu decken und einen legitimen Gewinn für den oder die Erbringer der Fahrten zu erwirtschaften, müssen diese von der KV entsprechend honoriert werden. Die Tatsache, dass das frühere langjährige Unternehmen, das die Fahrten für die KV Berlin durchführte, Insolvenz anmelden musste, und dass der jetzige Betreiber seinen Grundpflichten offenbar nicht nachkommt, lässt zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder herrscht völlige Misswirtschaft (was bei einem bundesweit agierenden Unternehmen wie der Stölting Service Group GmbH wenig wahrscheinlich ist), oder die KV vergütet die Leistung nicht ausreichend.
Letzteres würde einmal mehr belegen, dass individuelle Personenbeförderung unterhalb des Taxitarifs nicht wirtschaftlich möglich ist. Nicht ohne Grund wird der behördlich festgelegte Taxitarif von der Genehmigungsbehörde auf Basis einer fundierten Kostenrechnung erstellt. Schon dieser lässt kaum Spielraum für einen üppigen Unternehmerlohn, geschweige denn für Luft nach oben bei den Fahrerlöhnen. Auch die in Berlin für Stölting tätigen Fahrer sollen laut Berliner Zeitung den Mindestlohn bezogen und „nach eigenen Angaben wesentlich niedrigere Nachtzuschläge als andernorts“ erhalten haben.
Die Konsequenz aus dem Desaster muss also sein: Die Kassenärztliche Vereinigung muss die Leistung künftig angemessen bezahlen, und wenn dies legal und unter Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln erfolgt, dürfte das Taxigewerbe der am besten geeignete Dienstleister sein. Das Taxigewerbe muss seinen Fuhrpark nicht ausschließlich für diese Fahrten anschaffen und unterhalten, sondern kann auf einen bereits bestehenden Bestand zurückgreifen – was ebenso für die Disposition gilt, indem die Fahraufträge gebündelt an die Zentrale Taxi Berlin gegeben werden. Dann könnte man tatsächlich uneingeschränkt von Daseinsvorsorge sprechen. ar
Beitragsbild: Ein Arzt steigt aus einem Berliner Taxi. Foto: Ben Waldner