Wer in den letzten Jahren mit dem Auto in den USA unterwegs war, wird dort die Schilder mit dem Piktogramm „Don’t block the box“ bemerkt haben. Diese drohen Kreuzungsblockierern teilweise mit empfindlichen Strafen. Wie ist das in Deutschland?
Schilder in den USA fordern zum Freihalten der Kreuzung auf, und, welch Wunder, die Kreuzungen bleiben frei. Eine Kopiervorlage für Deutschland? Wer täglich in Deutschlands Städten unterwegs ist, kennt die Situation: Die Ampel ist grün und alle Autofahrer rollen fröhlich auf die Kreuzung, ohne darauf zu achten, ob ihnen auch der Raum zur Verfügung steht, um sie wieder zu verlassen. Staut sich aber der Verkehr auf der weiterführenden Verbindung, dann kommen die Verkehrsteilnehmer auf der Kreuzung zum Stehen. Springt nun die Ampel um und der Querverkehr ist dran, dann geht sofort nichts mehr – bis auf ein Hupkonzert.
Besonders ärgerlich ist dies auch, wenn einmündender Rechts- oder Linksabbiegeverkehr mit kurzen Grünphasen aus Seitenstraßen so immer wieder aufs Neue die Chance verpasst, sich in den Verkehrsstrom einzufädeln. Da verliert dann fast jeder Profi die Contenance und jeder Amateur hinterm Steuer schnell die Nerven. Besonders gefährlich wird es, wenn auch Fußgänger und Radfahrer die Kreuzung während ihrer Grünphase passieren wollen, denn nun ruckeln sich verängstigte Kreuzungsblocker langsam vor, um den hinter ihnen wild hupenden Fahrzeugen Raum zu bieten, und übersehen schnell, dass der Raum vor ihnen inzwischen auch auf Null geschrumpft ist.
Verstärkt wird das Problem seit einigen Jahren, weil es leider immer normaler wird, dass autofahrende Verkehrsteilnehmer ihr Fahrzeug für einen Amischlitten der 60er Jahre halten und zwischen sich und dem vor ihnen fahrenden Fahrzeug mehrere Meter Platz lassen. Fühlt sich sicher an, verstopft die Kreuzungen aber noch schneller, weil so aus „Stop and go“ so schnell stop-go-stop-go-stop-go wird, wenn sie nur langsam und allzu vorsichtig die riesigen Zwischenräume in Minischüben verkleinern.
Helfen würde, wenn das Wort „Vorsicht“ regelmäßig in seinem Ursprung wahrgenommen würde, denn es bedeutet im eigentlichen Wortsinn ja, dass man sich „aufmerksam vorausschauend“ verhält. Wer aber „vorsichtig“ in diesem Wortsinn fährt, wird vorher erkennen, dass es hinter der Kreuzung dicht ist – und an der Haltelinie warten. Und wer auch „rücksichtsvoll“ unterwegs ist, wird im Rückspiegel bemerken, dass eine Kreuzungsblockade droht und die verbleibenden Räume vor sich entsprechend von Anfang an verdichten und so den Ruckelverkehr vermeiden.
Natürlich gibt es Profis und Amateure im Verkehr und beide haben das volle Recht zur Verkehrsteilnahme. Und genauso natürlich gibt es neben fehlender Vor- oder Rücksicht im eigentlichen Wortsinn auch den Alltagsegoismus und die Alltagslethargie, die die Menschen immer wieder trotz besseren Wissens in die Kreuzung rutschen lassen, obwohl sie sie nicht wieder verlassen können, die anderen machen es ja auch.
Hier aber setzt die US-amerikanische Idee an, die Verkehrsteilnehmer direkt vor der Kreuzung darauf hinweist, dass eine Kreuzungsblockade ein Verkehrsverstoß ist, der diesen teuer zu stehen kommen kann. Und es wirkt, denn allein durch diesen Hinweis kann sich niemand mehr hinter vermeintlich anderen Schuldigen verstecken, man selbst ist ganz allein schuld. Ohne Kreuzungsblocker aber läuft der gesamte Rushhour-Verkehr entspannter, denn niemand fühlt sich mehr zu Unrecht ausgebremst. Unterstützt wird dies sicherlich auch noch dadurch, dass auf US-Straßen die rechte und die linke Spur auch auf Autobahnen gleichberechtigt sind, auch hier fällt also jede Rechthaberei von vornherein weg.
Und im Land der Dichter und Denker? „Communication is key – Kommunikation ist der Schlüssel“, soll zwar auch im Straßenverkehr gelten, aber bis auf die wirklichen Berufsfahrer, die hier auffällig wenig auffallen, sieht man Autofahrer aller Couleur in der Kreuzung stehen, und alle sind sie nur hilflose Opfer, vorausschauendes Mitdenken vielfach Fehlanzeige. Ist das denn nicht verboten? Geregelt ist das korrekte Verhalten in der Straßenverkehrsordnung (StVO). Demnach darf ein Autofahrer trotz Vorfahrt oder grüner Ampel in die Kreuzung oder Einmündung nicht sofort einfahren, wenn er dort erkennbar wegen des stockenden Verkehrs warten muss. Wer dagegen verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und riskiert ein Bußgeld in Höhe von 20 Euro. Und, Hand aufs Herz, ist einem der Lesenden irgendjemand bekannt, der dieses Bußgeld schon mal entrichten musste?
Was aber passiert eigentlich, wenn die Beteiligten die Nerven verlieren und es zum Unfall kommt? Dann stellt sich zusätzlich die Frage: Wer ist bevorrechtigt? Der so genannte Kreuzungsräumer oder der querende Verkehr, wer haftet also im Schadenfall? Kommt es zwischen dem Kreuzungsräumer und einem querenden Verkehrsteilnehmer letztlich ja mangels Verständigung zu einem Unfall, haftet in der Regel tatsächlich der querende Verkehrsteilnehmer alleinig oder überwiegend für die an den Fahrzeugen unfallbedingt entstandenen Schäden.
Eine Mithaftung des Kreuzungsräumers kommt nur dann in Betracht, wenn keine Kommunikation zwischen dem Kreuzungsräumer und dem querenden Verkehrsteilnehmer stattgefunden hat. Denn dann hat er sich nicht wie ein sog. Idealfahrer verhalten. Ein Idealfahrer hätte seine Fahrt nämlich erst fortgesetzt, wenn er beispielsweise durch eine Verständigung mit dem querenden Verkehr sichergestellt hätte, dass der querende Verkehr nicht anfährt.
Das Landgericht Essen hatte eine solche Konstellation zu entscheiden. In dem dort verhandelten Fall wollte ein LKW-Fahrer auf einer Kreuzung nach links abbiegen. Da in der Zielstraße jedoch ein Müllfahrzeug stand und den Weg versperrte, blieb er auf der Kreuzung stehen. Der im Querverkehr fahrende Unfallgegner hat die Kreuzung trotz des Kreuzungsräumers bei Grünlicht passiert und ist dabei mit diesem kollidiert. Das Gericht Essen hat am 24. November 2022 entschieden (Az.: 16 O 116/21), dass in solchen Fällen dem Kreuzungsräumer zunächst als Nachzügler grundsätzlich Vorrang gebührt, um die unfallträchtige Situation der verstopften Kreuzung zu entzerren. Der Querverkehr habe damit trotz seines Grünlichts grundsätzlich keinen Vorrang, womit das Gericht einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1976 folgte.
Allerdings dürfe der Kreuzungsräumer nicht blindlings darauf vertrauen, dass er von dem querenden Verkehr vorgelassen wird. Um seiner eigenen Sorgfaltspflicht nachzukommen, müsse er vielmehr vor Fortsetzung seiner Fahrt den einsetzenden Querverkehr beobachten. Dabei ist es zur Vermeidung eines Unfalls unerlässlich, dass sich die Beteiligten miteinander verständigen. Da in dem vom Landgericht Essen entschiedenen Fall eine solche Verständigung zwischen den Beteiligten nicht stattgefunden hatte, hat das Gericht eine Haftungsverteilung von 30:70 zugunsten des Kreuzungsräumers angenommen. Solange man als Kreuzungsräumer also stumpf stehenbleibt, bis ein sicheres Weiterfahren wieder möglich ist, besteht kein Haftungsrisiko im Schadenfall.
Anmerkung der Redaktion: Im Fußball darf der Verteidiger in der Box nicht stumpf blocken und der Stürmer darf den Verteidiger zumindest elegant umkurven, wenn es ihm gelingt, er muss dazu vorher nicht mit ihm kommunizieren. Wird er dann gefoult, bekommt er den Elfmeter und nicht der Blocker. Vielleicht sollte das Recht sich hier einmal eine Rechtsberatung in den deutschen Fankurven abholen, um Ursache und Wirkung so neu sortieren zu können. Aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben. rw
Beitragsfoto: Remmer Witte