Es war einmal eine kleine App und wenn sie nicht gestorben ist, dann ist sie immer klein geblieben und konnte sich den Schatz, nach dem sie strebte, einfach nicht einverleiben. So könnte die Geschichte zu Ende gehen, wenn das Taxigewerbe flächendeckend erkennt, über welchen Schatz es verfügt und ihn verteidigt. Allerdings ist das Risiko groß, dass die Geschichte anders enden wird…
Im letzten Jahr war es Moxi, aktuell geistert Qrago durch das Gewerbe. Uber will sich auch in kleineren Städten etablieren und Bolt startete eine Initiative zur Vermittlung von Krankenfahrten. Taxi Deutschland wies vor kurzem vehement auf die Gefahren hin, die es im neuen taxinahen Free-Now-Engagement erkennt (Taxi Times berichtete). Immer wieder aufs Neue starten verschiedene App-Anbieter Aktionen und wollen die Gesundheitsbranche und das Taxigewerbe dabei unterstützen, die individuellen Krankenfahrten zu vermitteln. Was steckt hinter diesem Engagement?
Eine Vermittlungs-App allein ist – egal wie gut sie programmiert ist – unnütz, denn sie benötigt gleichzeitig sowohl Dienstleister als auch Kunden, bevor sie zu einer Marktmacht werden kann und ihre Vermittlungsdienstleistung meistbietend verkaufen kann. Ihr großes Problem ist somit der Start, denn sie benötigt leistungsstarke Abnehmer für ihre Aufträge, wenn sie Aufträge akquirieren will, und sie benötigt attraktive Aufträge, wenn sie leistungsstarke Abnehmer akquirieren will. Allein das Dilemma dieses Henne-Ei-Prinzips hat bisher verhindert, dass schon jetzt bundesweit Krankenfahrten, aber auch andere Aufträge flächendeckend von solchen Apps vermittelt werden.
Nur das Taxigewerbe verfügt über beides, es verfügt sowohl über die Kundenbindung vor Ort als auch über die Kapazitäten, deren Aufträge abzuwickeln. Das Taxigewerbe verfügt also über einen Schatz, und diesen Schatz wollen ihm die verschiedenen Apps gerne abjagen. Das Problem dabei ist, dass dieser Schatz für das Taxigewerbe für immer verloren sein wird, wenn es ihn erst mal aus den Händen gegeben hat. Ist diese Hürde überwunden und gibt es erstmal den einen Vermittler, der über ausreichend Aufträge vor Ort verfügt, müssen sich die örtlichen Fahrgastbeförderer – ob Taxi oder Mietwagen, ist dabei egal – ihre Aufträge, die vorher direkt bei ihnen ankamen, über die App vermitteln lassen, ob sie wollen oder nicht. Die örtliche Zentrale oder Genossenschaft ist dann natürlich arbeitslos, denn eine App wird in der Regel auch selbst eine Vermittlung anbieten.
In der vordigitalen Zeit hätte man über eine gute Leistung und gute Werbung vor Ort das Auftragsvolumen wahrscheinlich immer wieder zurückgewinnen können. Heutzutage aber wird eine App, die vielleicht sogar bundesweit funktioniert, sich den gewonnenen Kundenstamm nie wieder abjagen lassen, denn selbst wenn sie selber nicht mehr leistungsfähig oder interessiert ist, lässt sich dieser Kundenstamm ja gut verkaufen. Und in dieser digitalen Zeit wird sich immer jemand finden, ob national oder international, ob innovatives Startup oder profitorientierte Heuschrecke, der diesen Datenschatz gern kaufen möchte.
Ein Krankenhaus oder eine Reha-Einrichtung wird sich schnell von der Nutzung einer App überzeugen lassen, wenn sich darüber die anstehenden Fahrgastbeförderungen abwickeln lassen. Ein Engagement zugunsten regionaler oder anderweitig besonders netter Anbieter lässt sich dabei von diesen Protagonisten kaum erwarten. Zunächst wird allein der Preis entscheiden und langfristig dann, welche App die alles beherrschende Rolle am Markt gewonnen hat. Nur solange keine App über ausreichend Kapazität und Kunden verfügt hat, das Taxigewerbe noch eine Chance, sich mögliche Blutsauger der Zukunft vom Hals zu halten.
Fakt ist aber auch, dass die Digitalisierung nach einer App zur Auftragsvermittlung verlangt. Es ist einfach zu praktisch, zu bequem, wenn Kunden einfach nur einen digitalen Button drücken müssen, um ihr Taxi zu bekommen. Und gleichzeitig werden Kunden auch versuchen, die App, die in Hamburg funktioniert, auch in München zu nutzen oder aber in Kleinkleckersdorf. Daher ist es sowohl eine Illusion, dass die einzelnen Taxler selbst eine App für ihre Unternehmen programmieren, die tatsächlich auch langfristig die Gefahr einer Bundes-App bannt, als auch, dass verschiedene Städte oder Verbände verschiedene Apps etablieren können.
Einzig hilfreich kann hier aus Kundenperspektive langfristig nur die eine App für alle sein, die dann lokal gegenüber den Dienstleistern gern noch individuell ausgestaltet sein darf. Und daher bedarf es hier zum Überleben der Solidarität der gesamten Branche untereinander, also einer von allen getragenen Lösung.
Einzellösungen, die verschiedene Verbände oder Vermittler als „die“ einzig Wahre propagieren, bleiben immer dann angreifbar, wenn sie nicht überall, in jeder Stadt, an jedem Ort der Republik nutzbar sind. In diesem Sinn muss sich die Branche nicht nur entscheiden, wem sie hier vertrauen möchte, sie muss diese Softwarepartner parallel zur Kooperation zwingen, damit die flächendeckende Lösung gelingen kann.
Mögliche Partner sind hier taxi.eu/cab4me/taxi.de von fms/gefos/Seibt&Straub sowie Talex, die gemeinsam wohl weit mehr als neunzig Prozent der Republik abdecken könnten. Ein anderer Kandidat wäre Free Now, wobei Taxi Deutschland ja jüngst erst seine großen Bedenken gegen diesen Partner ja fundiert öffentlich gemacht hatte. (Taxi Times berichtete). Talex startete aktuell parallel ein Angebot, welches genau die Nische der Kooperation mit lokalen Gesundheitszentren auf App-Basis etablieren könnte und hebt dabei mit seinem Schlusssatz im Newsletter genau auf die hier geschilderte Problematik ab: „Anfragen können bequem gestellt, bearbeitet, angenommen, oder aber via Chat mit den Mandanten abgestimmt werden. Und das Wichtigste, Ihr bindet Eure Kunden!“
Wer übrigens nicht daran glauben mag, dass die Gefahr der Ausbeutung durch eine „kleine“ App wirklich so dramatisch ist wie sie hier beschrieben wird, der mag vielleicht seine eigene Umgehensweise mit der Mutter alles Apps, mit Amazon prüfen. Amazon hat alles, ist seriös und sicher für seine Kunden und daher herausragend attraktiv für diese. Will man also als Händler etwas verkaufen, wird man über kurz oder lang nicht daran vorbeikommen, Amazon als Vermittler zu nutzen. Damit aber steht man im internationalen Wettbewerb, wo die Kunden, also auch man selbst, wohl stets das günstigste von mehreren vermeintlich gleichen Produkten erwerben, völlig egal, ob bestimmte Händler regionaler sind, die schönere Verpackung oder das nettere Backoffice bieten. Und damit hat man zu zahlen, was Amazon als Provision verlangt, verhandelt wird da schon lange nicht mehr.
Für Kunden geht also oft kein Weg an der Nutzung der Amazon-App vorbei – ja, auch Amazon ist eigentlich nur eine kleine App, die selber nichts hat und nichts kann – obwohl sich Amazon gegenüber seinen Partnern (Mitarbeitern, Händlern, Gesellschaft) offen raubtierkapitalistisch aufführt und sicherlich nichts neben dem eigenen Wohlergehen wirklich gelten lässt. Daher sollte das bundesdeutsche Taxigewerbe unbedingt versuchen, selbst Herr der zukünftig beherrschenden App zu bleiben, damit es selbst von der Nutzung seines Schatzes profitieren kann. rw
Beitragsfoto: Remmer Witte
Nur wenn der Kunde deutschlandweit am besten weltweit über ein und die selbe App ein taxi bestellen kann haben wir noch eine Chance
Danke an Remmer Witte für den sehr, sehr langen Text !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Sehr wichtiger und guter Beitrag!