In Taxi- und Mietwagenbetrieben mit 20 und mehr Beschäftigten muss gemäß Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) viermal im Jahr ein Arbeitssicherheitsausschuss (ASA) tagen. Wie sinnvoll ist das?
Mehrwagenbetriebe aus der Taxi- und Mietwagenbranche haben schnell mal zwanzig oder mehr Beschäftigte, und dies bedeutet tatsächlich, dass in diesen Betrieben ohne Wenn und Aber in der Regel viermal pro Jahr hochoffiziell ein Arbeitssicherheitsausschuss (ASA) tagen muss. Aber macht das wirklich Sinn?
Man stelle sich vor, als Mehrwagenbetrieb aus der Taxi- und Mietwagenbranche bekommt man eines Tages unerwartet Besuch von seiner Berufsgenossenschaft (BG Verkehr). Diese möchte einfach mal schauen, wie es um das Thema Arbeitssicherheit im Betrieb bestellt ist. Kein Problem, denkt man. Man zeigt seinen Betrieb und sucht parallel die Gefährdungsanalysen hervor, die die extern beauftragte Fachkraft für Arbeitssicherheit immer so schön erstellt und pflegt. Es wird geprüft, ob der betriebliche Sicherheitsbeauftragte ordentlich geschult wird und man über Ersthelfer verfügt. Gecheckt wird auch, ob die notwendigen Gefährdungshinweise überall dort aushängen, wo potentiell Gefahren drohen oder mit Gefahrstoffen hantiert wird, und ob auch die verpflichtende Elektroprüfung für alle Geräte ordentlich durchgeführt wurde. Wahrscheinlich wird es dabei den einen oder anderen Hinweis geben, was noch besser gemacht werden könnte, und vielleicht entdeckt man mit dem prüfenden BG-Mitarbeiter ja sogar tatsächlich noch eine gravierende Lücke im betrieblichen Sicherheitskonzept, die es zu schließen gilt.
So weit, so gut. Dann aber kommt eine Frage, die einen aus allen Wolken fallen lässt: „Sie haben doch mehr als zwanzig Arbeitsplätze, können Sie mir auch die Protokolle der verpflichtenden vierteljährlichen Arbeitsschutzausschusssitzungen (ASA) vorlegen?“ Die Erklärung folgt auf dem Fuße: „Als Vertretung der Geschäftsleitung müssen Sie sich viermal im Jahr mit ihrem innerbetrieblichen Sicherheitsbeauftragten, ihrer Fachkraft für Arbeitssicherheit und ihrem Betriebsarzt (beide extern oft gemeinsam über SVG oder ASD beauftragt) zusammensetzen und die betriebliche Arbeitssicherheit besprechen. Gibt es bei Ihnen einen Betriebsrat, muss auch der mit minimal zwei Mitgliedern teilnehmen.“ – „Aha, und was soll da beim ASA besprochen werden“, fragt man kopfschüttelnd.
Die Aufgaben des ASA lauten gemäß Paragraf 11 des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG):
- Analyse des Unfallgeschehens im Betrieb
- Beratung über Maßnahmen und Einrichtungen, um Unfall- und Gesundheitsgefahren zu begegnen
- Erfahrungsaustausch zu umgesetzten Maßnahmen
- Koordinierung der Arbeitssicherheitsaufgaben
- Erarbeitung eines Arbeitsschutz- oder Aktionsprogramms
- Beratung sicherheitstechnischer Aspekte bei der Einführung neuer Arbeitsverfahren oder neuer Arbeitsstoffe
Aha, und wenn es keine Unfälle, keine Maßnahmen, keine Aufgaben, kein Programm und auch keine neuen Arbeitsverfahren oder Arbeitsstoffe in den vergangenen drei Monaten gab, wir sind doch nur ein kleines Taxiunternehmen und keine Fabrik? Egal, ASA muss sein, it´s the law (es ist gesetzlich so geregelt). Aha? Wir haben aber nur ein kleines Büro mit einigen wenigen Mitarbeitern, in dem die größte Gefahr darin besteht, sich am heißen Kaffee zu verbrühen, denn nach dem letzten Besuch des Betriebsarztes haben wir neue gesunde Bürostühle und neue Lampen gekauft und alle Stolperfallen entfernt. Und die Taxi- und Mietwagenfahrer im Betrieb müssen die herstellerseitig vorgegebene Gesundheits- und Sicherheitsausstattung ihrer Fahrzeugen nutzen, denn die Hersteller interessieren sich sicherlich nicht dafür, ob unser ASA gemäß ASiG ihnen neue tolle Vorschläge macht, was da noch optimiert werden könnte. Auch egal, der ASA muss sein, it´s the law.
Die Idee, man könne sich doch vielleicht darauf einigen, dass es sich bei einem Taxi-Mehrwagenbetrieb um ein Unternehmen mit mehreren kleinen Betriebsstätten handele, da doch jedes Fahrzeug seine eigene Betriebsstätte sei und man somit gar nicht über einen Betrieb mit mehr als zwanzig Mitarbeiterenden diskutiere, stößt ebenfalls auf taube Ohren. Der Betriebsbegriff sei zwar nicht im ASiG definiert, er entspreche aber Paragraf 4 Betriebsverfassungsgesetzes. Danach sind Betriebsteile nicht eigenständig, wenn der Arbeitgeber über den Einsatz der Beschäftigten bestimmt und arbeitstechnische Weisungen erteilt. Keine Chance also, it´s the law.
O.k., die Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein hohes Gut, und es ist auch gut so, wenn der Staat seine Unternehmen dazu anhält, diesem hohen Gut einen entsprechenden Raum in ihren Betrieben einzuräumen. Denn geht ein Arbeitgeber lax mit diesem Thema um, wird es letztendlich wahrscheinlich ein Arbeitnehmer sein, der die Zeche dafür zahlt. Dies geht aber natürlich zu weit, wenn der Staat beispielsweise beim Betreten einer Fähre während der Arbeitszeit von Arbeitnehmern verlangte, dass diese eine Schwimmweste zu tragen hätten. Auch, wenn auf einer Fähre immer das Risiko besteht, dass man über Bord fallen könnte: Eine solche Vorgabe wäre überzogen.
Sicherheit und somit natürlich auch Arbeitssicherheit ist daher also immer eine Frage der Risikoabwägung: Wo muss ich Arbeitnehmer schützen und wo darf ein mögliches Restrisiko bestehen bleiben? Gleichzeitig ist gerade Arbeitssicherheit natürlich auch eine Frage der Weisungsbefugnis, denn durch den Interessenskonflikt, wo der Arbeitgeber in der Regel darüber bestimmt, welches Risiko der Arbeitnehmer einzugehen hat, liegt es nahe, dass hier wenn nötig stets eine dritte unabhängige, also staatliche Stelle das Risikolevel festlegen sollte. Diese wiederum kann natürlich nicht jede Risikobewertung im Detail durchführen, daher bedarf es hier einer Hilfskonstruktion, mit der sich das erwünschte Ziel aller Voraussicht nach trotzdem sinnvoll erreichen lässt.
Diese Hilfskonstruktion besteht in diesem Fall aus drei Elementen, nämlich der Installation beratender Kompetenzen für das Unternehmern – also betriebsintern des Sicherheitsbeauftragten und extern der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Betriebsarzt –, der gesetzlichen Festlegung von Minimalansprüchen an den realisierten Arbeitsschutzlevel im Betrieb durch Gesetze und der Installation eines Kontrollorgans, welches – zumindest sporadisch – darauf schaut, ob die vorgeschriebenen Maßnahmen auch umgesetzt werden. Dieses Kontrollorgan muss natürlich auch Bußgelder verhängen dürfen, um in seiner Funktion nötigenfalls auch ernstgenommen zu werden. So weit, so gut, aber eine Anpassung an die einzelnen Gewerke oder Dienstleistungen und an die Größe der Betriebe erfolgt nicht; alle unterliegen den gleichen Regelungen. Und hier krankt das Konstrukt.
So kommt es, wie es – zumindest in Deutschland – so oft kommen muss: Es wurde im Laufe der Zeit ein in Teilen absolut sinnfreies Bürokratiemonster erschaffen, welches mit der Realität vieler Betriebe nicht mehr viel zu tun hat. Und vergessen wurde auch ein regelmäßiges Fresh-Up der verordneten Maßnahmen. Sowohl die Gilde der Betriebsmediziner als auch die der betrieblichen Sicherheitsfachkräfte kann mit dieser Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nun natürlich gut leben, und auch die Berufsgenossenschaften als installiertes Kontrollorgan fühlen sich in ihrer übergeordneten Kontrollfunktion gebauchpinselt und bestätigt und werden die gesetzlichen Vorgaben daher mehr oder weniger buchstabengetreu anwenden. Den Arbeitnehmern ist es meist wurscht, nur der Arbeitgeber bleibt kopfschüttelnd zurück, hat er doch wieder mal eine kostenpflichtige Auflage übergebügelt bekommen, die er auf Deubel komm raus bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag umsetzen muss. Sinn oder Unsinn der Maßnahme werden wohl die nächsten 100 Jahre nie wieder geprüft werden – von wem auch, it’s the law. rw
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Hallo Herr Witte,
geben ihnen in weiten Teilen recht und doch nicht. Die Unternehmen sind selbst oft die Verursacher, des Bürokratismus, denn die reflexartige Antwort auf Verbesserungsvorschläge ist: ‚Wo steht das, das wir das machen müssen?‘ Folge: es wird über kurz oder lang schriftlich geregelt. Und dann ‚dürfen‘ es ALLE machen!
Zweitens: Die BGen sind keine Kontrollorgane! Die BGen sind Versicherungen mit technischem Bereich. Es wird die Einhaltung der Vertragsbedingungen kontrolliert, auf die sich im Falle des Falles berufen wird. Und wenn sich eine ‚Fluchtmöglichkeit‘ (im Namen der versicherten Betriebe) ergibt, wird diese natürlich genutzt, und der Unternehmer (persönlich) in die Verantwortung (möglicher Regress) genommen.
Drittens: Die Aufsicht ist föderal geregelt und in jedem Bundesland, nimmt diese eine andere Behörde war. Diese kann ihnen auch bei Bedarf den Betrieb stilllegen.
Viertens: Die Systematik krankt in DE seit Jahrzehnten durchaus, insbesondere wenn man ins EU-Ausland blickt. Andere Länder überholen uns Links und Rechts, was qualifizierte Fachkräfte für Arbeitssicherheit (FASI/SIFA) genauso lange bemängeln. Aber selbst die Verbände ignorieren dies geflissentlich, es ist ja so schön bequem und einträglich – zumindest solange bis es disruptiv (analog VW, Merzedes, BMW, Audit, etc.) wird.
Fazit: Ihre Kritik ist nachvollziehbar, aber fachlich bestenfalls nur in Teilen korrekt. Genauso ist die Expertise vieler FASI/SIFA nicht auf der Höhe der Zeit (Sorray Kollegen!). Somit kommen oft drei höchstens mittelmäßig qualifzierte Beteiligte (Unternehmen, Fachkraft für Arbeitssicherheit (FASI/SIFA) und BG/Aufsicht) zusammen, was leider in der Summe meist nur ein Ergebnis zw. 30%-45% entstehen läßt.
Viele Grüße von einer Fachkraft die dies jede Woche erduldet.