Heute haben wir ein besonderes Adventskalender-Türchen, eines mit doppeltem Boden, denn es enthält den zweiten der drei Taxi-Welthits, die bereits von unendlich vielen Bands gecovert worden sind, und das in etlichen Versionen.
Am heutigen Donnerstag feiert die französische Sängerin und Schauspielerin Vanessa Paradis ihren 50. Geburtstag – der perfekte Anlass, das Lied „Joe le Taxi“ von 1987 ausführlicher unter die Lupe zu nehmen. Es ist heute das vielleicht weltweit bekannteste und eingängigste Taxi-Lied und könnte auf Dauer dem „Big Yellow Taxi“ den Rang als am häufigsten neu interpretiertes Taxi-Lied ablaufen. Das französische Pop-Lied ist zu einer kleinen Legende geworden. Es war das Lied, mit dem Vanessa Paradis groß herauskam, ihr erster Nummer-Eins-Hit und der Durchbruch in ihrer internationalen Karriere.
Geschrieben hatte das Lied der Musiker Franck Langolff, ein Freund ihres Onkels, mit seinem Kollegen Étienne Roda-Gil zusammen. Das Original weist einige Besonderheiten auf. Da ist zum einen der kompositorische Trick, dass keine Textzeile von der Melodie her wie ein Satz-Ende klingt, sondern immer nach einer Fortsetzung verlangt, so dass ein gewisser Drive entsteht. Das zweite ist die Interpretin: Allgemein versuchen Menschen häufig, jünger zu wirken, als sie sind. Das betrifft meist das Aussehen. Im Fall von Vanessa Paradis scheint es eher die Stimme zu betreffen, denn bei „Joe le Taxi“ klingt sie wesentlich jünger, als sie zur Zeit der Aufnahme war, und das empfinden nicht alle als Vorteil. Häufig lässt das Alter eines Menschen sich schwer anhand der Stimme schätzen, aber als Vanessa es einsang, war sie gerade einmal 13 Jahre alt. Das Video wurde im Jahr darauf gedreht.
Interessant ist der Inhalt des Liedes bzw. die verschiedenen Interpretationen (in diesem Fall nicht musikalisch, sondern wörtlich gemeint). Nach weit verbreiteter Interpretation handelt der Text von einem portugiesischen Taxifahrer namens Joe bzw. José, der wegen der Estado Novo (Diktatur von António Salazar) nach Frankreich geflohen ist und nun in Paris arbeitet. Der Liedtext beschreibt, dass Joe den Rum liebt und nie ganz nüchtern fährt. In seinem Taxi dröhnt stets die Musik, es ist sein „gelbes Saxofon“, mit dem er bis zum Amazonas fahren würde. Es kennt alle Straßen, Bars, dunklen Ecken der Stadt und die Brücken über die glänzende Seine auswendig. Joes Leben bewegt sich zwischen Musik – von Rumba über alten Rock bis hin zu Mambo – und dem Zeitdruck seines Berufs, zwischen gutem Rum und Stau.
Nach einer anderen, feministischen Interpretation ist der Text von der Taxifahrerin Maria José Leao dos Santos inspiriert, die aus mehreren Gründen nach Frankreich geflüchtet war, unter anderem, weil sie im autoritären Portugal der damaligen Zeit ihre Liebe zu Frauen verstecken musste. Um einer Frauenrolle zu entkommen, soll sie – in einem typischen Männerberuf – mit ihrem Taxi, einem weißen Opel Ascona, für den Pariser Nachtclub Privé häufig Gäste kutschiert haben, überwiegend lesbische Frauen.
Herzlichen Glückwunsch, Frau Paradis! Sie klingen noch gar nicht wie 50.
Wie erwähnt haben bereits viele Bands und Musiker, vor allem Musikerinnen, „Joe le Taxi“ gecovert bzw. nachgesungen, wobei die meisten Sängerinnen versuchen, mehr nach Mädchen zu klingen als nach Frau. Die Interpretationen sind allerdings recht unterschiedlich. Hier eine Auswahl …
In Frankreich selbst erschien noch im selben Jahr 1987 ein Remix von Barbara Brodi, der ein wenig nach Italo-Rock mit französischem Gesang klingt, und 2006 ein Remix von Jade im House-Stil, beide mit Vanessas Original-Stimme. Rhythmisch interessant ist auch ein Remix von DJ Jarb von 2001. Priscilla Betti kopierte das Lied 2012 bei einem Fernsehauftritt mit toller Tanztruppe aber ansonsten wenig Einfallsreichtum. Auch Romane Gillets Version auf dem Sampler „Chanteuses des années 80“ von 2019 klingt dem Original recht ähnlich. Einen weiteren, digital-poplastigeren Remix des Originals gab es 2020. Eine außergewöhnliche Version, die fast nur aus Klavier und Gesang besteht, ist die von Tiphanie Doucet von 2022.
Auch aus anderen Ländern gibt es zahlreiche Remixes und Coverversionen. Vermutlich aus Polen stammt ein für Goa-Partys geeigneter Remix von Taito. Eine noch technolastiger aufbereitete Version erschien 2002 von Auria Pozzi aus Italien. In einer dänischen Fernsehshow spielte der finnische Liedermacher Teemu Brunila mit Begleitband 2009 eine charmante Live-Version mit Gitarre und Akkordeon ein. Eine wieder mehr poporientierte Version von 2021 kommt aus Polen von Juli Chan. Völlig analog ist eine Pariser Live-Version der nordirischen Band The Divine Comedy um Frontmann Neil Hannon von 2008. Nicht eindeutig zu lokalisieren ist die Herkunft einer wieder sehr digital erzeugten Version mit Video von einer Sängerin namens Catalina, das 2010 online gestellt wurde.
Auch außerhalb Europas fand das Lied etliche Interpreten. Wieder wesentlich näher am Original und mit etwas weniger mädchenhaft klingender Stimme ist die israelische Aufnahme von Honey Colonna von 2016. Im Jahr 2009 machte die kanadische Cover-Band The Lost Fingers eine jazzige Version mit Latino-Pop-Elementen und männlicher Gesangsstimme. Ebenfalls aus Kanada ist ein Fernsehauftritt von Natasha St-Pier von 2010. Eine Reggae-ähnliche Version von 1997, der man ihre karibische Herkunft deutlich anhört, kommt aus Trinidad und Tobago von Sharlene Boodram. Eine auf portugiesisch gesungene, recht eingängige Version gibt es von der brasilianischen Sängerin Angélica.
Gleich drei Versionen finden sich aus Japan: Eine etwas abwechslungsarme Techno-Version von Hanayo aus dem Jahr 2003, eine Version von Jun Togawa, die wie schnell mal dahingesungen im Elektronik-Probestudio klingt, und eine anders klingende, aber ebenfalls extrem elektronische Techno-Version von Immi aus dem Jahr 2009. Eine wiederum gekonnte Tanzeinlage gab es vor einigen Jahren im vietnamesischen Fernsehen von Ngọc Lan. In Hong Kong wurde bereits ein Jahr nach dem Original eine Cover-Version von Priscilla Chan in kantonesischer Sprache dargeboten.
Zwei Interpretationen nicht ganz eindeutiger Herkunft sind eine verträumt-elektronische Version von Joanna von 2016 sowie eine amüsante Live-Version aus Drum & Bass mit Gitarre von 2020 mit Diskussion zwischen den Musikern Jok’Air, C. Cole und Waxx.
Noch einmal zurück nach Europa: Last but not least kommen auch aus dem deutschsprachigen Raum einige Versionen. Einen österreichischen Remix von 2020 gibt es von Smonstah. Eine wiederum sehr technisch klingende Variante hat das Kölner „Remixer“-Duo Lissat & Voltaxx 2014 wiederum mit der Japanerin Immi veröffentlicht. Ebenso technisch aber auch originell ist ein Mix des Kölner DJs Butch alias Bülent Gürler von 2020. Die frühere Berliner Band Stereo Total, bestehend aus der 2021 verstorbenen Françoise Cactus und ihrem Lebensgefährten mit dem ebenso selbstironischen Künstlernamen Brezel Göring, brachte 1999 eine minimalistische Synthiepop-Version mit männlichem Gesang heraus.
Die einzige bekannte deutschsprachige Interpretation des Hits stammt von der vielseitigen Sängerin Anja Krenz, heißt „Hallo Taxi“ und ist musikalisch wie gesanglich äußerst nah am Original. Entsprechend klingt auch hier die Gesangsstimme relativ mädchenhaft, wie bei den meisten Interpretationen.
Ein erfrischendes Gegenbeispiel haben wir uns als krönenden Abschluss aufgehoben. Es ist die Interpretation der wenig bekannten Louna, wobei nicht klar ist, ob das der Name einer Band ist, womöglich aus der Slowakei, oder ob die jugendliche Sängerin Louna Blaineau Französin ist und sich einfach ein preisgünstiges Tonstudio mit erschwinglichen Studiomusikern gesucht und in Bratislava gefunden hat. Solche Fakten gehen häufig nicht aus den online verfügbaren Angaben hervor. Jedenfalls stellt ihre Interpretation von „Joe le Taxi“ von 2020 mit ihrer ausdrucksstarken Frauenstimme gesanglich viele andere Versionen in den Schatten. ar
Beitragsbild: Screenshot aus dem Video der Originalversion von „Joe le Taxi“ von 1987
Alle Taxi-Songs des Taxi-Times-Adventskalenders finden Sie hier.