In der Thüringer Landeshauptstadt agieren die Krankenkassen gegenüber dem Taxigewerbe sehr unterschiedlich: Während die AOK hier positiv heraussticht, fühlt man sich vom VDEK nicht ernstgenommen.
Diese Meldung ist am 2.5.2023 aktualisiert worden. Siehe unten.
Ab kommendem Wochenende droht in Erfurt eine schwierige Situation für Menschen, die auf das Taxi als Zubringer zu medizinischen Behandlungen angewiesen sind: Wenn die thüringische Landesvertretung des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) keinen annehmbaren Vertrag mit dem Taxigewerbe der 213.000-Einwohner-Stadt abschließt, müssen Patienten den Fahrpreis möglicherweise auslegen und später versuchen, das Geld von den Krankenkassen zurückzufordern.
Das ist nicht allen Betroffenen möglich, wie Michaela John von der Erfurter taxizentrale „Das City Taxi AG“ vorrechnet: Wer aufgrund einer schweren Krebserkrankung eine Strahlenbehandlung verordnet bekommt und körperlich zu schwach ist, um täglich mit dem Linienverkehr zur Arztpraxis zu fahren, muss bei einer Strecke von beispielsweise knapp sechs Kilometern jeweils 25 Euro vorstrecken, hin und zurück 50 Euro am Tag, bei fünf Behandlungen in einer Woche also 250 Euro pro Woche, mal Anzahl der Wochen, die die Behandlung dauert. Bei sechswöchiger Behandlung sind das 1.500 Euro, die ein Mensch, der aufgrund eines Krebsleidens schon länger nicht mehr arbeiten kann, kaum privat aufbringen kann, auch wenn er sie später erstattet bekommt.
Am Freitag laufen die bestehenden Verträge zwischen dem Erfurter Taxigewerbe und den Krankenkassen aus. Vertragspartner auf Seiten des Erfurter Taxigewerbes wollen eine Anpassung der Pauschale von bisher 18,80 Euro um gut 20 Prozent auf 22,90 Euro erreichen. Der Mindestlohn ist im selben Zeitraum um 40 Prozent gestiegen. Auch Betriebskosten aller Art, besonders die Kraftstoffpreise, sind bekanntlich enorm gewachsen.
Im Unterschied zu anderen Bundesländern ist in Thüringen nicht die AOK das Problem. Mit ihr ist das Taxigewerbe sich einig geworden. Sie übernimmt auch die höheren Fahrpreise, die an den seit Dezember 2022 geltenden Taxitarif angelehnt sind – der im Bundsvergleich hoch ist: Grundpreis 5,50 Euro, Kilometerpreis 3,70 Euro und ab dem fünften Kilometer 2,60 Euro (und nachts, feiertags und mit mehr als vier Personen nochmals deutlich höher).
Das Problem in Erfurt ist der Verband der Ersatzkassen e. V. (VDEK), der hier nicht nur seine sechs Mitglieder Barmer Ersatzkasse, DAK-Gesundheit, Hanseatische Krankenkasse (HEK), Handelskrankenkasse (HKK), Kaufmännische Krankenkasse (KKH) und Techniker Krankenkasse vertritt, sondern außerdem BKK Landesverband Mitte, IKK classic, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Knappschaft und Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung.
Auch der VDEK argumentiert, sich an der geltenden Tarifordnung der kreisfreien Stadt zu orientieren. Komme es dennoch zum 1.4. nicht zu einer Einigung, müssten Patienten aber nicht auf die Taxifahrten verzichten, da diese in der Regel planbar seien. Allenfalls bei spontan notwendig werdenden Fahrten sei gegebenenfalls ein vorheriges Telefonat mit der Krankenkasse nötig. Die „Erfurter Allgemeine“ zitiert Robert Schöning, VDEK-Referatsleiter Ambulante Versorgung: Die Kassen seien darauf gut vorbereitet und würden rasch Auskunft geben.
Aus Michaela Johns Sicht klingt das Verhalten des VDEK deutlich weniger kooperativ. Man habe frühzeitig auf die Preiserhöhungen hingewiesen. Im Januar kam ein Angebot, das man nicht habe akzeptieren können. Man habe dann am 20. Februar persönlich verhandelt, wobei der VDEK sich in einer starken Position gewähnt und ein noch schlechteres Angebot unterbreitet hätte. „Die schienen uns gar nicht ernstzunehmen.“ Trotz schwieriger Verhandlungsposition seien die Erfurter Taxiunternehmer aber nicht eingeknickt. Johns Bruder Daniel Schwuchow: „Dass der Konflikt letztlich auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird, tut mir im Herzen weh, aber wir müssen kostendeckend arbeiten. Bereichern wollen wir uns nicht.“
Zwischenzeitlich hatten sich Michaela John und Daniel Schwuchow hilfesuchend unter anderem an die Patientenbeauftragten von Bund und Land gewandt. Diese hätten dem Gewerbe gerne geholfen, mussten aber mangels Weisungsbefugnis auf die begrenzte Möglichkeit hinweisen, allenfalls mit freundlichen Bitten auf die Krankenkassenvertretung einzuwirken.
Was Verhandlungen wie die mit den Krankenkassen in Thüringen verkompliziert, ist die Siedlungsstruktur des Bundeslandes: Es gibt überwiegend ländlich geprägte Gebiete und wenige Ballungsräume. Thüringen hat nur zwei Großstädte: Erfurt mit 213.000 Einwohnern und Jena mit 111.000. Nur zwei weitere Städte, Gera und Weimar, haben mehr als 50.000 Einwohner. Die Krankenfahrten in Thüringen haben deshalb im Bundesvergleich längere Fahrstrecken.
In Erfurt dagegen ist das Taxigewerbe durch das besonders weit verzweigte Straßenbahnnetz benachteiligt, das jeden Stadtteil erschließt und laut John „jeden kleinen Winkel der Stadt abdeckt“. Das Taxigewerbe werde deshalb von den Bürgern weniger gebraucht als andernorts, wodurch sich auch der teure Tarif erklärt, und sei folglich bei den Krankenfahrten besonders auf die Vergütung kurzer Strecken bis fünf Kilometer angewiesen. Das sei in den bisherigen Verträgen auch sinnvoll geregelt, doch in den neuen Angeboten wolle der VDEK nur noch die ersten vier Kilometer nach Taxitarif vergüten und den fünften nicht mehr. Dieser fünfte Kilometer hat sich dadurch in letzter Zeit zum Hauptstreitpunkt zwischen dem Taxigewerbe und den Krankenkassen entwickelt.
Michaela John ist über den Verhandlungsstil des VDEK verärgert: Man sei seit Oktober 2022 ein Vierteljahr lang hingehalten worden, um dann ein verklausuliertes und von Nicht-Juristen schwer zu erfassendes Angebot zu erhalten – mit der Bitte, doch schnellstmöglich an bestimmten Stellen zu unterschreiben und es postwendend zurückzuschicken, als sei die Vereinbarung eine kurze Formalie. „Es ist ein starkes Stück, wie man mit einem Leistungserbringer wie dem Taxigewerbe umgeht.“
Die Taxigenossenschaft Erfurt e. G. sowie Das City Taxi AG, die Vermittlungszentrale von John und Schwuchow, sind nun gespannt, ob es im letzten Moment noch zu einer Einigung kommt – oder ob eine chaotische Situation eintritt, die viele Krankenversicherte überfordern dürfte. ar
Aktualisierung vom 2.5.2023:
Am 30. März haben die Krankenkassen einen neuen Vertragsentwurf übermittelt. Dazu sagt Michaela John, dieser entspreche „weitestgehend unseren Vorstellungen“. Folglich stimmten alle Teilnehmer zum 31.3. zu. Seit dem 1.4. findet er Anwendung.
Michaela John und Daniel Schwuchow haben ein Unterstützungsangebot für andere Unternehmer und Fahrer ausgesprochen: „Sollten Kollegen Hilfestellung bei derartigen Vorgehensweisen suchen, stehen wir gern zur Verfügung.“ Kontakt: Das City Taxi AG, Bebelstr. 15, 99086 Erfurt, Tel.: 0361-55 55-30, Fax: -38, Mail: [email protected]
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