„Für ein besseres Miteinander im Straßenverkehr“ – die Initiative „Mehr Achtung“ will Probleme über die soziale Intelligenz der Teilnehmer angehen statt über deren Geldbeutel. Hinter der neuen Kampagne stehen auch in vollem Umfang der Bundesverband BVTM und der Dachverband TMV.
Das Taxi hat schon immer eine Vorbildfunktion im Straßenverkehr – die nicht selten nach hinten losgeht, wenn schwarze Schafe im Gewerbe sich ganz und gar nicht vorbildhaft verhalten. Der Bundesverband Taxi und Mietwagen e. V. (BVTM) und der Taxi- und Mietwagenverband Deutschland e. V. (TMV) machen mit bei der Aktion des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), die den Trend der verrohenden Sitten auf den Straßen bremsen und im besten Fall umkehren möchten. Die Initiative wurde kurz und prägnant „Mehr Achtung“ genannt, im Logo, das aus einem roten Dreieck wie bei Verkehrsschildern und dem Schriftzug besteht, steht es in postmoderner Schreibweise „#mehrAchtung“. Es ist das Erkennungsmerkmal der bundesweiten Initiative.
Der BVTM begleitet die Initiative bereits „seit der Stunde null“, wie er es selbst formuliert. Geschäftsführer Michael Oppermann: „Das Besondere an der Kampagne ist, dass sie von einer breiten Allianz an Partnern aus dem Mobilitätsgewerbe unterstützt wird.“ Hintergrund sei die „Vision Zero“ der Bundesregierung, also der Idealwert von null Toten im Straßenverkehr. „Wir nehmen die Taxi- und Mietwagenbranche bei diesem Vorhaben zum wiederholten Mal mit, denn es hat absolute Priorität“, verweist Oppermann auf die „Dooring-Kampagne“ des DVR, bei der der Bundesverband insbesondere die Sensibilisierung für die Gefahren beim Ausstieg für andere Verkehrsteilnehmer öffentlichkeitswirksam verbreitet hat. „Aus diesem Grund sind wir seit Februar 2023 Teil der Arbeitsgruppe der Kampagne #mehrAchtung.“ Interessierte Taxifahrer und -unternehmer, die beispielsweise ihre Fahrzeuge bekleben lassen möchten oder an Kopfstützen mit dem #mehrAchtung-Logo Interesse haben, können sich an den BVTM wenden.
Vom TMV heißt es: „Wir, der Taxi- und Mietwagenverband (TMV) kämpfen für die Rechte der 32.000 Unternehmen mit 100.000 Fahrzeugen und 250.000 Fahrern und verstehen uns als starke Stimme unserer Taxi- und Mietwagen-Branche. Dabei vertreten wir neben dem urbanen Raum auch den viel zu lange vernachlässigten ländlichen Raum. Genau deswegen sind wir von der Kampagne #mehrAchtung begeistert. Wir brauchen in Deutschland eine wirkmächtige Allianz für mehr Aufmerksamkeit im Straßenverkehr und ein besseres Verkehrsklima. #mehrAchtung heißt, Mobilität immer vom Menschen aus zu sehen!“
Übersichtlich und eingängig ist auch der Internetauftritt der Initiative aufgebaut, für die die Domain www.mehrachtung.de eingerichtet worden ist. Ohne Einleitungsgerede heißt es auf der Startseite groß und augenfällig: „Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit.“ Untertitel:“ Für ein besseres Miteinander im Straßenverkehr.“ Und weiter: „Bringen wir #mehrAchtung auf die Straße.“ Damit ist klar ausgedrückt, worum es geht. Mit dem ersten Klick erfährt der Nutzer, „Warum es auf den Straßen #mehrAchtung braucht“. Unter der großen Überschrift „Zusammen für ein besseres Verkehrsklima“ heißt es, die Initiative erkläre, wie mehr Rücksicht und Aufmerksamkeit den Straßenverkehr sicherer machen „und warum alle Verkehrsteilnehmenden ihren Teil beitragen können“.
Dazu wird erläutert, dass die Zahl von über zwei Millionen Unfällen im Jahr auf deutschen Straßen neben einer Vielzahl von Sachschäden auch rund 300.000 Personenschäden mit sich bringen, also verletzte oder getötete Menschen. „Allein im Jahr 2022 sind 2.776 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr ums Leben gekommen.“ Hier setze man an, für einen respektvollen Umgang im Straßenverkehr zu sensibilisieren, „denn oft ist es das eigene Verhalten und die innere Einstellung, die darüber entscheiden, wie sicher wir unterwegs sind – ganz gleich ob zu Fuß, mit dem Rad, auf dem E-Scooter oder im Auto.“
Damit es kein anonymer Appell ist, kann sogleich eine zweiminütige Videosequenz angeklickt werden, in der Minister Wissing persönlich das Projekt vorstellt und das „Verkehrssicherheits-Programm 2021 bis 2030“ der Bundesregierung skizziert. Noch kürzer und nicht weniger bündig ist das Statement des DVR-Präsidenten Manfred Wirsch, der von einem „neuen Kapitel der erfolgreichen Kampagne ‚Runter vom Gas’“ spricht. Er nimmt neben dem Begriff Achtung auch das große Wort „Kulturwandel“ in den Mund. Ein solcher sei im Straßenverkehr bisher leider „noch nicht so angekommen, wie wir uns das wünschen. Neben Achtung im Sinne von Vorsicht in Gefahrensituationen meinen wir damit auch das respektvolle und wertschätzende Verhalten“ allen anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber, egal, ob diese zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Auto unterwegs seien. „Respekt, Rücksicht und Achtsamkeit sind eine Voraussetzung für unser gemeinsames Ziel einer ‚Vision zero’: Keiner kommt um, alle kommen an.“
Auf welcher Grundlage arbeitet die Initiative? Dem Projekt liegen Studien, Expertenerkenntnisse und Umfragen zugrunde. „Menschen fahren so, wie sie sich fühlen,“, wird ein Verkehrspsychologe auf der Website zitiert. Wer gestresst, wütend oder traurig am Straßenverkehr teilnimmt, verhalte sich aggressiv und fahre unter Umständen zu schnell. Bei einer Studie führten über 50 Prozent der Befragten stressige Verkehrssituationen neben Stau und schlechtem Wetter auf das absichtlich oder unabsichtlich rücksichtslose Verhalten anderer zurück – eine Erkenntnis, die die meisten, die viel unterwegs sind, bestätigen dürften. Zudem ist ein klarer Trend hin zu egoistischem Verhalten zu sehen. Immer häufiger werden strenge Verkehrsregeln von selbstgefälligen oder geltungsbedürftigen Verkehrsteilnehmern im Auto, auf dem Fahrrad oder zu Fuß nur noch wie Empfehlungen gehandhabt.
Auf der anderen Seite habe die Erhebung ermittelt, „dass Achtsamkeit selbstverstärkend wirken kann. Wer achtsam unterwegs ist, nimmt den Straßenverkehr positiver wahr und motiviert andere Verkehrsteilnehmende dazu, sich rücksichtsvoller zu verhalten.“
Auch interessante Zahlen haben sich im Zuge der Erhebungen ergeben. So sei das Auto im Bundesdurchschnitt nach wie vor das beliebteste Verkehrsmittel. Laut dem Deutschem Mobilitätspanel, einer Erhebung im Auftrag des BMDV, machte der motorisierte Individualverkehr (MIV) im Jahr 2021 einen Anteil von 52 Prozent am sogenannten Modal Split des Personenverkehrs in Deutschland aus. Der Modal Split drückt die Anteile der Verkehrsmittel am gesamten Verkehrsaufkommen und damit an allen zurückgelegten Wegen aus. MIV zählen neben dem Pkw auch Mopeds, Mofas und Motorräder sowie Nutzfahrzeuge wie Lkw oder Busse außerhalb des Linienverkehrs. Knapp jede vierte Strecke wurde im Alltag zu Fuß bewältigt. Darauf folgen der Radverkehr mit einem Anteil von 14 Prozent und schließlich der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) mit 9 Prozent.
Im urbanen Raum ist die Verteilung allerdings eine andere als auf dem Land. In Großstädten werden heutzutage mehr Wege zu Fuß zurückgelegt (34 Prozent) als mit dem Auto (31 Prozent). Auf Platz drei ist das Fahrrad (18 Prozent). Erst an vierter Stelle kommt in Großstädten der ÖPNV (16 Prozent). Steigenden Anteil verzeichnen auch Leihfahrzeuge mit zwei Rädern (mit und ohne Motor) sowie mit vier Rädern. „Im Jahr 2022 wurden über 30.000 Carsharing-Fahrzeuge in Deutschland gezählt. E-Scooter sind im deutschen Straßenverkehr seit 2019 zugelassen. Im selben Jahr waren bereits mehr als 50.000 elektrisch angetriebene Tretroller in deutschen Großstädten unterwegs.“
Wie sollen die Veränderungen vonstatten gehen? Es wird hauptsächlich an die Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer appelliert, und das zu Beginn unter anderem mit Plakaten. „Um gefährliche und belastende Situationen möglichst zu vermeiden, gilt es, sich aufmerksam und vorausschauend durch den nicht immer übersichtlichen Verkehrsdschungel zu bewegen. Und wenn es doch einmal brenzlig wird: Aufmerksam sein, Einfühlungsvermögen zeigen und sich nicht aus der Ruhe bringen lassen – das macht die Straßen für alle sicherer.“
Zaubern können die Initiatoren nicht, aber mit Appellen an das eigene Bewusstsein soll eine Verhaltensänderung trainiert werden. Eine Yogalehrerin erläutert, wie sie Achtsamkeits- und Entspannungsübungen mit in den Straßenverkehr nimmt: „Es mag nicht in jeder Situation realistisch sein, aber ich versuche trotzdem, wann immer ich kann, rechtzeitig loszufahren, damit ich nicht unter Stress gerate. […] Wenn die Voraussetzungen stimmen, ist eine Fahrt mit dem Auto, der U-Bahn oder dem Fahrrad tatsächlich ein Moment, aus dem ich Kraft schöpfe. […] Deshalb gebe ich mir, bevor ich losfahre, einen Moment der Besinnung. Dann ist die Wahrscheinlichkeit viel geringer, dass mich irgendwelche Befindlichkeiten plötzlich im Straßenverkehr übermannen.“ Ein anderer Psychologe: „Oft reagieren wir im Straßenverkehr impulsgesteuert. Immer gleich laut zu hupen, wenn es nicht so läuft, wie wir es wollen, wird schnell zur Gewohnheit. Es erfordert Übung und Geduld solche eingefahrenen Verhaltensmuster zu verändern, aber es ist möglich.“
Neben dem Bundesverband und dem Dachverband des Taxigewerbes hat die Initiative zahlreiche weitere hochrangige Partner: Auto Club Europa (ACE), ADAC Stiftung, Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Mehr Sicherheit für Kinder, DEKRA, Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), Deutscher Schwerhörigenbund (DSB), Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB), Deutscher Städtetag, Sozialverband Deutschland (SoVD), TÜV-Verband, Unfallkassen/Berufsgenossenschaften sowie zahlreiche Landesverkehrsministerien und Landespolizeien, weitere Verbände und viele mehr, laut Wissing insgesamt 51 Partner. ar
Beitragsbild: von der Startseite der Initiative #mehrAchtung