Im südlichen Hessen beginnt die Deutsche-Bahn-Tochter im Mai den Pilotbetrieb mit „automatisiert“ fahrenden Shuttles. Der Bund schießt vier Millionen zu.
Auf seiner Internetseite verwendet der Fahrdienst mit der Eigenschreibweise „CleverShuttle“ große Worte: Von „Weltpremiere“, „Revolution im öffentlichen Nahverkehr“ und einer „völlig neuen Art der Mobilität“ ist die Rede. Gemeint ist ein Pilotprojekt in Darmstadt und im Kreis Offenbach. Dort testen demnächst die Deutsche Bahn, der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und die lokalen Partner HEAG mobilo und Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach (kvgOF) „automatisiert“ fahrende „Shuttles“, die später ohne Fahrer mit normaler Geschwindigkeit im Straßenverkehr unterwegs sein sollen. Der Fahrdienst Clever Shuttle der GHT Mobility GmbH in Berlin, eines DB-Tochterunternehmens, betreibt die autonomen Fahrzeuge. Die „Test- und Implementierungsphase“ soll zwei Jahre dauern. Laut Clever Shuttle ist „ein solches Angebot“ im Rahmen des ÖPNV „bisher weltweit einzigartig.“
Ermöglicht wird das Projekt vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Einen entsprechenden Förderbescheid über vier Millionen Euro hat Minister Dr. Volker Wissing an die Projektpartner übergeben. Der FDP-Politiker wird mit Aussagen zitiert, die zunächst ebenso gut eine Einbindung des Taxis in den ländlichen Linienverkehr begründen könnten: „Gerade auf dem Land stößt die Forderung nach mehr ÖPNV-Angebot bei gleichzeitig niedriger Nachfrage oft an ihre wirtschaftlichen Grenzen. Hinzu kommt, dass bis zum Jahr 2030 in Deutschland rund 87.000 Busfahrerinnen und Busfahrer fehlen werden. Diese Kombination stellt uns vor ein großes Problem, denn wir brauchen den ÖPNV dringend, um unsere Klimaziele zu erreichen.“
Genau dafür seien nun „selbstfahrende E-Shuttles, die auf Bedarf gerufen werden können“, für den ländlichen Raum „ein echter Gamechanger“, so Wissing. „Und das Beste: Das ist keine Science-Fiction, sondern bereits ab kommendem Jahr Teil des regulären ÖPNV-Angebots in unserem Land.”
Auch die Projektpartner werden mit stolzen Aussagen zitiert. So spricht Evelyn Palla, Vorstand Regionalverkehr der Deutschen Bahn AG, von einem „neuen Kapitel im Nahverkehr“ und einer „Riesenchance, um die Mobilitätswende auch im ländlichen Raum voranzubringen“ – ebenfalls eine Aussage, bei der es um eine ÖPNV-Einbindung des Taxis gehen könnte, wäre nicht explizit von autonom fahrenden Fahrzeugen die Rede. „Zusammen mit unseren Tochterunternehmen CleverShuttle und ioki machen wir den öffentlichen Nahverkehr so bequem und flexibel wie das eigene Auto.“ RMV-Geschäftsführer Prof. Knut Ringat bezeichnet „On-Demand im RMV“ als Erfolgsgeschichte und „ideale Ergänzung zu Bus und Bahn“, auch weil Fahrzeuge ohne Fahrer „noch flexibler einsetzbar“ seien, „was vor allem dem ländlichen Raum zugutekommt.“
Das erste autonome Fahrzeug soll in Darmstadt eingesetzt werden. In den Folgemonaten kommen weitere sechs Fahrzeuge hinzu, außerdem acht im nordöstlich angrenzenden Landkreis Offenbach. Zunächst sitzen speziell ausgebildete Fahrer in den Autos, später auch „Testkunden“. Danach sollen die Fahrzeuge in die bereits bestehenden On-Demand-Angebote in Darmstadt („HeinerLiner“) und im Kreis Offenbach („kvgOF Hopper“) integriert und so zu einem Teil des öffentlichen Verkehrsangebots werden.
Clever Shuttle hatte in den letzten Jahren eher dadurch Schlagzeilen gemacht, aufgrund seiner desaströsen Defizite sein Verkehrsangebot in einer Stadt nach der anderen einzustellen, zuletzt im Januar 2022 in Leipzig und Düsseldorf, zwei Jahre zuvor in Stuttgart. Seitdem konzentriert man sich auf On-Demand-Dienste und zeichnet hier sogleich das Bild eines Erfolgsweges: „Die DB und der RMV arbeiten bereits seit 2020 beim deutschlandweit größten On-Demand-Netzwerk zusammen. Unter dem Dach des RMV gibt es das Angebot in insgesamt neun Städten und Landkreisen. Im Rahmen des Projektes werden zum Ende des Jahres mehr als 100 On-Demand-Fahrzeuge im Einsatz sein, die mehr als 3.000 virtuelle Haltestellen bedienen. Aufgrund seiner Größe und der Verfügbarkeit fast rund um die Uhr ist das On-Demand-Angebot eine eigene Säule im Verkehrskonzept der Region.“ Auf den zugehörigen Informations-Internetseiten des RMV und im Werbevideo taucht der Name Clever Shuttle allerdings nicht auf.
Michael Oppermann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Taxi und Mietwagen e. V. (BVTM), sieht die Millionen aus dem Hause Wissing für die revolutionäre Weltpremiere nicht optimal angelegt: „Für vier Millionen Euro fahren künftig 15 Autos mit Fahrer aber ohne Fahrgäste durch die Gegend. Keine Frage, die Technologie ist spannend, aber ob das wirklich der versprochene ‚Gamechanger’ wird, bleibt abzuwarten.“ ar
Beitragsfoto: Clever Shuttle