Noch viel zu wenige kennen Notsignale wie das blinkende Dachzeichen. Doch auch Taxifahrer können Ansprechpartner für Menschen in Not sein und sollten bestimmte Zeichen zu deuten wissen, zum Beispiel den Daumen in der Faust.
Menschen in Bedrohungssituationen haben häufig das Problem, andere nur schwer auf ihre Notlage aufmerksam machen zu können. Das gilt typischerweise häufig für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen und mehr oder weniger zu Hause eingesperrt sind, aber auch für Menschen, die in den verschiedensten Situationen an gewaltbereite Personen geraten sind und sich nun nicht mehr einfach entziehen können (was nicht immer gleich den Extremfall einer Entführung bedeuten muss).
Auch viele, die am Taxisteuer arbeiten, wissen aus Erfahrung, dass es ein fließender Übergang ist vom beginnenden, leicht mulmigen Gefühl, das die nicht völlig ungefährlich wirkenden Fahrgäste bei einem hervorrufen können, bis zur aufkommenden Panik und dem einzigen Wunsch, das Auto möglichst unbeschadet zu verlassen, ob mit oder ohne Geld und Autoschlüssel, um sich einfach nur noch außer Lebensgefahr zu bringen.
Im Vorteil ist man, wenn man auch bei Bedrohung den Knopf für den stillen Alarm findet, der optimalerweise rote LEDs im Dachzeichen zum Blinken bringt, und es einem gelingt, diesen unbemerkt zu betätigen. Noch größer ist der Vorteil, wenn Passanten das wahrnehmen und begreifen und die Polizei verständigen.
Letzteres sollte eigentlich kein Vorteil sein, sondern eine Selbstverständlichkeit, doch genau hier liegt das Problem: Es gibt noch zu wenige bekannte, allgemeingültige Hilfesignale für Situationen, in denen man nicht mündlich – in welcher Sprache auch immer – direkt um Hilfe bitten, rufen oder schreien kann. Es gibt verschiedene Ansätze, wozu auch das rot blinkende Dachzeichen auf dem Taxi gehört.
Wie aber können sich Menschen in anderen Situationen bemerkbar machen, wenn Angst und Scham einen lähmen? Eine durch häusliche Gewalt verletzte Person, die sich in einer Notaufnahme behandeln lassen muss (und vielleicht mit dem Taxi dorthin fährt), hat es mitunter schwer, wenn sie vom Täter begleitet wird, der dem medizinischen (oder fahrenden) Personal womöglich seine ganz eigene Version zur Entstehung der Verletzungen seines vermeintlichen Schützlings erzählt. Für solche Situationen haben einige Krankenhäuser Plakate ausgehängt, mit denen betroffene Personen leicht verständlich instruiert werden, wie sie sich unauffällig bemerkbar machen können – etwa, indem sie beim Personal nach „Erika“ fragen wie auf dem abgebildeten Plakat aus einem Krankenhaus in Südtirol.
Vielerorts verbreitet ist als Hilferufscode auch „Luisa“, nach der man fragen soll, um auf eine Notsituation aufmerksam zu machen. Den Vornamen, der so viel wie „weise Kämpferin“ bedeutet, hat die Beratungsstelle Frauen-Notruf Münster 2016 ausgewählt, um Frauen bei sexueller Belästigung zu helfen, also bereits dann, wenn die akute Notsituation noch nicht eingetreten ist. Mit der Frage „Ist Luisa hier?“ sollen Betroffene sich optimalerweise an das Personal von Gastronomiebetrieben wenden können, um Hilfe zu erhalten, bevor Schlimmeres passiert. Sie bekommen dann Unterstützung, je nach Situation beispielsweise durch Zugang zu einem separaten Raum, Herbeirufen der Polizei oder Begleitung zu einem Taxi. Das Motto „Luisa ist hier!“ hat im deutschsprachigen Raum bereits größere Verbreitung gefunden.
Allerdings waren die Initiatorinnen wohl so angetan vom Erfolg ihrer Idee samt Handlungsleitfaden (oder wollten einfach nicht, dass jemand beim Übernehmen die Inhalte verfälscht), dass sie das Motto beim Deutschen Patent- und Markenamt als Marke eintragen ließen und prompt einer Bremer Initiative, die das Motto „Ist Luisa da?“ für ein eigenes Projekt verwendete, eine Unterlassungserklärung abverlangte. Seitdem ist in Bremen und Bremerhaven nicht nur Luisa da, sondern man kann auch fragen: „Kennst du Mika?“ Ähnliche Initiativen an verschiedenen Orten verwenden wiederum andere Code-Namen wie beispielsweise Uli oder Lotta.
Was aber tun, wenn die Situation auch jeden noch so gut getarnten mündlichen Hilferuf verbietet, etwa weil die gefährlichen Täter aufpassen oder die potentiellen Retter außer Hörweite sind, beispielsweise hinter einer Autoscheibe?
Dann muss per Handzeichen auf die Situation aufmerksam gemacht werden. Hierfür hat sich eine Geste durchgesetzt, deren weltweite Bekanntheit wächst: Die Handfläche zeigt zum potentiellen Retter, der Daumen wird eingeklappt und anschließend von den anderen Fingern wie in einer Faust umschlossen. Das zeigt ein kurzer Fernsehbericht, in dem auch von einem Fall berichtet wird, in dem die Geste Erfolg hatte.
Auf diese Weise konnte in den USA ein mit einem Auto entführtes Mädchen befreit werden, weil ein anderer Autofahrer das Handzeichen sah, glücklicherweise richtig interpretierte und die Polizei verständigte. Auch aus Deutschland sind bereits Fälle bekannt, etwa von einer 14-Jährigen, die durch die gleiche Geste wahrscheinlich einer Vergewaltigung auf einem Spielplatz entging.
Das Handzeichen wurde von der kanadischen Frauenrechtsbewegung „Signal for Help“ in der Zeit der Corona-Lockdowns erfunden und war für Frauen gedacht, die Hilfe wegen häuslicher Gewalt brauchen, die ja durch die Ausgehsperren erheblich zunahm. Die Geste verbreitete sich auch deshalb schnell, da sie auch in Videokonferenzen, die während der Lockdowns einen Boom erlebten, anwendbar ist. Wendet jemand das Handzeichen an, so heißt es nicht immer, dass sofort die Polizei benachrichtigt werden muss. Falls möglich, sollte die betroffene Person zunächst in sicherer Umgebung angesprochen werden, um gemeinsam über weitere Schritte zu entscheiden, wie die kanadischen Initiatoren auf ihrer Webseite erklären.
Ebenfalls während der Corona-Krise initiierte ein Frauen-Netzwerk in Deutschland die Verwendung des Codewortes „Maske 19“ als Hilferuf insbesondere für Opfer häuslicher Gewalt, um etwa in Apotheken, Arztpraxen und Kliniken unterschwellig nach Hilfe fragen können, wenn es ihnen nicht möglich ist, von zu Hause aus einen Notruf abzusetzen.
Auch Großveranstaltungen, bei denen mit emotional aufgeheizter Stimmung zu rechnen ist, sind typische Situationen für Gewalt. So gibt es in etlichen Fußballstadien seit einiger Zeit Schutzkonzepte mit Codewörtern wie beispielsweise „Fuchsbau“ in Freiburg im Breisgau, „Panama“ in Dortmund und Wolfsburg oder „Lotte“ in Berlin. In Leverkusen wurde sogar auf die bewährte „Luisa“ zurückgegriffen, in Bremen auf besagte „Mika“.
Martina Plackmann von der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes erklärt zum Thema stumme oder verdeckte Hilferufe: „Solche Entwicklungen sind positiv zu bewerten“, wobei sie anmerkt, dass die Codes davon leben, bekannt zu sein und auch erkannt zu werden. Unabhängig davon, auf welche Weise auf eine Notsituation aufmerksam gemacht werde, sei schnelle Hilfe wichtig. „Im besten Fall ruft man die Polizei“. Auch das ist nicht in jeder Situation möglich, ohne die Täter aufmerksam zu machen und somit möglicherweise eine Eskalation voranzutreiben. Im Zweifelsfall gelte: „Hilf, aber bring dich nicht in Gefahr!“ Werde man Zeuge einer Situation, in der es sicherer erscheint, nicht sofort einzugreifen, etwa weil die Täter aggressiv auftreten, sollte man auf räumliche Distanz zu den Tätern achten und lieber Kontakt zum Opfer aufnehmen, rät Plackmann. Unter dem Strich seien Sensibilität und Zivilcourage in der Gesellschaft zentral für Menschen in Not, aber: „Das beste Zeichen oder der bekannteste Code nutzt nichts, wenn nicht auch geholfen wird.“
Fazit: Ob man auf Luisa, Mika, Lotta, Lotte, Erika oder Uli angesprochen wird, ob man etwas von Fuchsbau, Panama oder Maske 19 zu hören bekommt, einen Daumen in einer Faust oder eine rot blinkende Fackel sieht: Auch am Taxisteuer sollte man ständig sensibel genug sein, um mehr oder weniger deutliche Hilferufe wahrzunehmen, ohne in Aktionismus zu verfallen. Eine kleine Abwägung kann für eine Person in Not die entscheidende Wendung bringen und möglicherweise Leben retten. Man sollte die Situation auch nicht erschweren, indem man der hilfesuchenden und eventuell verunsicherten oder gar traumatisierten Person unnötige Fragen stellt oder Aufsehen erregt. Besser zehnmal umsonst Hilfe organisiert und sich möglicherweise blamiert, als einmal zu wenig genau hingesehen und damit eine abwendbare persönliche Katastrophe für einen Menschen in Not nicht verhindert zu haben. ar
Beitragsfoto: Axel Rühle
Ich muss gestehen, dass ich noch niemals von diesen Codezeichen und Wörtern gehört habe. Es erinnert mich aber sofort an EINE gemeinsame bundesweite Taxi-App, die auch daran krankt, dass es zu wenig Bekanntheit, u. a. wegen der verschiedenen Brandings hat. Solche Präventionsinfos sind sehr wichtig.
Leider ist der Stille Alarm im Taxi nicht gesetzlich vorgeschrieben und wird darum,und aus Kostengründen ,nicht mehr eingerichtet. Zumindest wurde mir das von 2 Fachleuten (in Köthen und Leipzig) erzählt in .In Anbetracht zunehmer der Gewalt finde ich das voll daneben.