Ein Taxifahrer überfährt einen brutalen Randalierer gleich mehrfach, wird dadurch vom Opfer zum Täter. So geschehen dieses Wochenende in Berlin. Besonders in der Hauptstadt ist die Gewalt zwischen Taxifahrern und Fahrgästen nahezu ungehemmt. Eine Ursachenforschung.
Tatort Berlin Kreuzberg, nachts um 5 Uhr: Ein Mann, von Alkohol und wahrscheinlich auch Drogen völlig enthemmt, randaliert. Er war an einem Club vom Türsteher nicht reingelassen worden. Seine unbändige Wut richtet sich nun voll gegen ein zufällig bereitstehendes Taxi. Der Mann tritt und stößt wiederholt gegen das Taxi. Der Kollege fährt den Randalierer mit geringer Geschwindigkeit an, um ihn wegzudrücken. So beschreibt es die Polizei unmittelbar nach der Tat. Der Randalierer stürzt, fällt auf den Kopf, rappelt sich wieder auf, wütet weiter. Der Taxifahrer soll nun mehrfach den Randalierer angefahren haben, einmal sogar mit einem Reifen über seine Hüfte gerollt sein. Der Randalierer musste mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen und Verletzungen an der Hüfte in eine Klinik gebracht werden. Der Taxifahrer wurde festgenommen, das Taxi zur Spurensicherung beschlagnahmt.
Jeder, der nachts Taxi fährt, kann erahnen, welche Angst der Taxifahrer gehabt haben muss, als der Randalierer so willkürlich und enthemmt auf sein Fahrzeug losgegangen ist. Ob und warum er deshalb gleich mehrmals den Täter angefahren hat und es damit zum Opfer machte, während er, das Opfer, plötzlich zum Täter wurde, werden Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Richter bewerten müssen. Vorverurteilungen sind zu diesem Zeitpunkt ebenso fehl am Platz wie Versuche, den Fahrer für sein Verhalten in Schutz zu nehmen.
Worüber man sich aber sehr wohl Gedanken machen muss: Warum schon wieder Berlin? Übergriffe auf Taxifahrer und Streit mit Fahrgästen passieren überall. In der Hauptstadt ist es aber meistens noch gewalttätiger, noch ungehemmter. Da wird ein Kollege überfallen und mit über 30 Messerstichen verletzt und werden Politiker türkischstämmiger Abstammung von türkischen Taxifahrern aufs Gröbste beleidigt
Berlin ist die Stadt, in der laut einem Gutachten fast 80% aller Taxis unplausible Umsätze fahren. In der laut einem Bericht des „Tagespiegel“ von diesem Wochenende das Mindestlohngesetz von den Taxiunternehmern systematisch umgangen wird (dass man damit allerdings Arbeitsplätze rettet, wird gerne vergessen). Keine Woche vergeht, in der Medien nicht mehrfach über negative Taxi-Vorfälle in Berlin berichten. Die eigentlich renommierte Tageszeitung „Die Welt“ erlaubt sogar, dass einer ihrer Journalisten alle Berliner Taxifahrer pauschal als „Arschlöcher“ bezeichnen darf.
Zweifellos ist in dieser Stadt der Respekt zwischen Fahrgast und Taxifahrer am Tiefpunkt. Es wirkt, als sei es mittlerweile ganz normal, dass Fahrgäste die Kollegen anpöbeln und sie verbal und körperlich angreifen. Auf der anderen Seite tragen viele Kollegen mit ihrer schlechten Qualität dazu bei, dass Fahrgäste die Achtung vor den Berliner Taxifahrern verlieren.
Dieser Teufelskreislauf mag ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sein, trotzdem muss er ganz schnell durchbrochen werden. Das ist eine große Aufgabe – nicht nur für die Berliner Taxiverbände und Zentralen. Dieser Verantwortung müssen sich auch alle Berliner Taxiunternehmer und Taxifahrer stellen. Die Besitzer mehrerer Konzessionen mit angestellten Fahrern müssen endlich auf ihre Fahrer mehr Einfluss nehmen. Ihnen klarmachen, dass jedes Fehlverhalten sofort über negative Mundpropaganda oder (soziale) Medien weitergegeben wird. Sie über Rechte und Pflichten eines Taxifahrers aufklären. Den Mut aufbringen, Fahrer nach einem Fehlverhalten zu bestrafen und die Vorsorgepflicht für das eigene Personal erfüllen, indem man sie über Möglichkeiten der De-Eskalierung regelmäßig informiert oder sie wenigstens zur Teilnahme an den Qualitätskursen der Berliner Taxizentrale verpflichtet.
Es reicht nicht, den Fahrern den Schlüssel in die Hand zu geben und ihm alles Gute bis zur nächsten wöchentlichen Abrechnung zu wünschen.
Aber auch Berlins gute und erfahrene Taxifahrer und die selbst fahrenden Einzelunternehmer können ihren Teil dazu beitragen, den Teufelskreislauf zu durchbrechen. Sie bekommen das Fehlverhalten ihrer Kollegen am Halteplatz mit. Darüber nur den Kopf zu schütteln, reicht nicht. Auszusteigen und den Anti-Kollegen verbal darauf hinzuweisen, dass sein Verhalten von den anderen Kollegen nicht gewünscht ist, wäre ein kleiner Schritt. Ihm einfach mal ruhig und sachlich zu sagen, dass er jetzt besser den Standplatz verlassen soll, da man ihn sonst – beispielsweise wegen Fahrtverweigerung einer kurzen Tour – bei der Aufsichtsbehörde anzeigen müsse. Dass er erst einmal sein dreckiges Taxi durch die Wachanlage fahren soll, bevor er sich wieder irgendwo einreiht und er vorher seine Jogginghose gegen eine vernünftige Jeans austauschen soll.
Als ich vor mittlerweile 24 Jahren meine ersten Taxischichten fuhr, haben die erfahrenen Kollegen kein Blatt vor den Mund genommen, um mich auf (Anfänger-) Fehler aufmerksam zu machen. Nicht immer freundlich, aber nie boshaft und vor allen Dingen respekteinflösend. Heute haben wir eine Kultur der Ignoranz und des Wegsehens. Viele Kollegen haben resigniert.
Es wird Zeit, dass Berliner Taxiunternehmer und Taxifahrer aus dieser Resignation erwachen.jh
Foto: Freitagskommentar
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Lieber Herr Hartmann, wir kennen uns ja. „Leider“, muss ich im Moment sagen.
Denn, dass Sie soweit gehen, Illegalität und Gesetzesbruch schönzureden – Zitat: „dass man damit allerdings Arbeitsplätze rettet, wird gerne vergessen“ – hätte ich nun wirklich nicht erwartet.
Ich hoffe mal, das war nur ein Verschreiber.
Schönen Gruß!
Herr Schmidt, ich wähle meine Worte immer mit Bedacht aus und so war es auch diesmal.
mfg Jürgen Hartmann