Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) war Anfang 2023 angetreten, um das Arbeitsleben noch etwas mehr zu digitalisieren. Im Ergebnis aber ist gerade für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) oft eher das Gegenteil dabei herausgekommen – zumindest aus meiner Sicht. Bin ich tatsächlich allein mit dieser Wahrnehmung?
Ein Kommentar von Remmer Witte, Taxi Acht-Elf-Elf
Ich frage mich ja schon seit Monaten, ob ich eigentlich der einzige Arbeitgeber in Deutschland bin, der sich immer noch an der Neuregelung zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) reibt, die seit einem Jahr gültig ist. In meiner Wahrnehmung wurde ein funktionierendes System, bei dem die Aufgaben zwischen Arzt, Arbeitnehmer und Arbeitgeber klar verteilt waren, gegen ein System getauscht, bei dem der Arbeitgeber entweder der Widerling sein muss oder alternativ immer mit dem Risiko leben muss, unberechtigt Lohnfortzahlungen zu leisten, die dann nur auf good-will-Basis von den Arbeitnehmern zurück zu erhalten sind.
Wo ist das Problem? Vormals war es so, dass die Patienten verpflichtet waren, sowohl den Arbeitgeber als auch ihre Krankenkasse zu informieren, wenn sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vom Arzt erhalten hatten. Diese Regelung war natürlich unbestritten vorsintflutlich und eine Digitalisierung stand dieser Verfahrensweise gut zu Gesicht. Nach der Neuregelung stellen die Ärzte nun keine Durchschläge mehr für den Arbeitgeber und die Krankenkasse aus, sondern drucken maximal einen Beleg für den Patienten selber aus. Die Nachricht an die Krankenkasse erfolgt digital über eine eAU.
So weit so digital, aber die Nachricht an den Arbeitgeber erfolgt – aus Datenschutzgründen – eben nicht automatisch, sondern muss von diesem aktiv digital bei der Krankenkasse abgefragt werden. Dazu muss er allerdings nicht nur wissen, dass sein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist, sondern auch, von wann bis wann genau ein Arzt die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. Fehlen diese Daten, bleibt er im Ungewissen, ob der Arbeitnehmer tatsächlich ärztlich arbeitsunfähig geschrieben war oder ob nicht, da die Kasse fehlerhafte Daten weder bestätigen kann noch korrigieren darf. Um zu erfahren, von wann bis wann sein Arbeitnehmer genau ärztlich testiert arbeitsunfähig war, muss er also schon wissen, von wann bis wann sein Arbeitnehmer arbeitsunfähig war – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Gerade im Taxigewerbe mit der 24/7-Betriebspflicht, wo auch nachts, am Wochenende und an allen Feiertagen gearbeitet wird, ist es nicht immer einfach herauszufinden, ob der Kollege schon am Karfreitag oder doch erst am Ostersonntag arbeitsunfähig war. Zusätzlich können auch andere Gründe das Fehlen einer Bestätigung zur Folge haben. Beispielsweise bei Kuren oder Krankenhausaufenthalten fehlt oft die entsprechende Meldung der Institution an die Krankenkasse, der Patient muss dann erst intervenieren, bevor die Meldung dann auf den Weg gebracht wird. Wobei gerade in diesen Fällen, bei welchen in der Folge auch schnell mal die Sechswochenfrist überschritten wird, nach der die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers durch eine Krankengeldzahlung der Krankenkasse ersetzt wird, es durchaus relevant ist, wann genau sich der Unfall sich ereignete und die Arbeitsunfähigkeit begann.
Sind Arbeitnehmer dann entweder aus gesundheitlichen oder auch anderen Gründen nicht so kooperativ wie erwünscht, muss der Arbeitgeber regelrecht detektivische Fähigkeit entwickeln, um nicht mehr Lohnfortzahlung als nötig zu leisten. Größere Betriebe, die über eine eigene Lohnbuchhaltung verfügen, können hier vielleicht noch akribisch genug nachforschen, da sie über die entsprechenden Ressourcen verfügen, aber bei kleineren Betrieben gehen diese Detailnachforschungen schnell im Alltagswust unter.
Wie aber sind die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen eigentlich genau formuliert? Das bundesdeutsche Entgeltfortzahlungsgesetz definiert da nach wie vor sehr eindeutig:
1. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen.
- Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind verpflichtet, … sich eine ärztliche Bescheinigung … aushändigen zu lassen.
- Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die von ihm vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt (lediglich bei Erkrankungen während Auslandsaufenthalten gibt es besondere Regelungen).
Gemäß einer Einigung von Kassenärzten und Krankenkassenspitzenverbänden bekommen Versicherte auf Wunsch immer einen unterschriebenen Ausdruck der Ausfertigung Versicherter und/oder der Ausfertigung Arbeitgeber.
Danach darf der Arbeitgeber also ganz stumpf abwarten, ob die Krankenkasse ihm eine Krankmeldung bestätigt und bis dahin die vielleicht zu erwartende Lohnfortzahlung erst mal einbehalten. Und er darf durchaus darauf bestehen, dass ihm sein Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeit auch schriftlich belegt, ersatzweise für die alte AU auch gern mit einem Foto der neuen eAU, diese auf Wunsch natürlich gern mit geschwärzter Diagnose. Da es nicht im Verschulden des Arbeitnehmers liegen muss, wenn die Bestätigung der Krankenkasse fehlt und auch, weil arbeitsunfähig erkrankten Mitarbeiter nicht immer die Anforderungen der Bürokratie in ihren Handlungen priorisieren, kann arbeitgeberseitige Rechthaberei jedoch schnell zu menschlich kaum vertretbaren finanziellen Härten gegenüber dem Arbeitnehmer führen, wenn auf dieser Basis Löhne einbehalten werden. Dies liegt nicht jedem Arbeitgeber.
Will der Arbeitgeber jedoch nicht der hier beschriebene Widerling sein und zahlt ohne Bestätigung der Krankenkasse aus, bekommt er spätestens dann ein Problem, wenn sich die Arbeitsunfähigkeit in der genannten Dauer dann doch nicht belegen lässt. Zumindest im Niedriglohnsektor besteht nicht die Möglichkeit, zu viel gezahlte Beträge in der nächsten Lohnabrechnung zu verrechnen, da dort zunächst die Pfändungsfreigrenzen zu beachten sind. Diese liegen beispielsweise für einen Arbeitnehmer mit zwei unterhaltspflichtigen Kindern schon bei 2.250 EUR netto. Sind also einige 100 EUR zu viel an einen nicht kooperativen Mitarbeiter mit geringem Einkommen ausgezahlt, sind sie unwiederbringlich futsch, da sie in der Folge zwar zurückgefordert können, aber dann doch nicht einbehalten werden dürfen.
Natürlich ist es richtig, dass sich die meisten Arbeitsunfähigkeiten gemäß der Angaben der Arbeitnehmer eindeutig regeln lassen. Trotzdem kann es nicht sein, dass allein auf Basis dessen, das aus der Bringschuld des Arbeitnehmers eine Holschuld des Arbeitgebers geworden ist, Arbeitgeber im Zweifel aus Gutgläubigkeit Lohnfortzahlungen leisten, die sie eigentlich nicht zu leisten hätten. Lassen Ärzte dann auch noch fälschlicherweise vernehmen, sie müssten gar keine Bescheinigung mehr ausdrucken, das ginge jetzt alles digital und kanzeln unsereinen so automatisch als digitalisierungsfeindlichen Hinterwäldler ab, dann platzt selbst dem digitalisierungsfreundlichsten Taxiunternehmer schnell der Kragen.
Also frage ich mich wie gesagt schon seit längerem, ob ich eigentlich der Einzige bin, der sich hier sinnlos übervorteilt fühlt oder ob gerade in kleineren Betrieben auch andere Lohnbuchhaltungsverantwortliche nicht begreifen können, warum ein Digitalisierungsvorteil für Arzt und Krankenkasse unbedingt zwingend mit einem erheblichen Mehraufwand für die Arbeitgeber verbunden sein muss? rw
Beitragsfoto: Remmer Witte
Es ist mit dem Entgeltfortzahlungsgesetz nicht so einfach wie es scheint und echt tricky.
Vor gar nicht so langer Zeit wurde hier dem §5 noch der Absatz 1a hinzugefügt. Dieser Absatz 1a beinhaltet, dass für gesetzlich Versicherte nicht die Sätze 2 bis 5 aus dem Absatz 1 gelten. Das bedeutet, dass der gesetzlich versicherte Arbeitnehmer lediglich verpflichtet ist, dem Arbeitgebenden seine AU unverzüglich mitzuteilen. Das stellt der Kommentar auch richtig dar.
Die (vermeintliche) Möglichkeit des Arbeitgebenden, die Lohnfortzahlung verweigern zu können, findet sich im §7. Dieser §7 bezieht sich bezüglich der Leistungsverweigerung der Lohnfortzahlung in Absatz 1 unter 1. ausschließlich auf §5, Absatz 1. Wie oben beschrieben gilt aber – aufgrund §5, Absatz 1a – für gesetzlich Versicherte nur der erste Satz aus §5, Absatz 1.
Das bedeutet in der Konsequenz, dass der Arbeitgebende im normalen Regelfall einer AU bei einem gesetzlich versicherten Arbeitnehmer die Lohnfortzahlung nicht/nie verweigern darf, wenn der Arbeitnehmende seiner einzigen Verpflichtung aus §5, Absatz 1, Satz 1 nachkommt: Den Arbeitgebenden unverzüglich über seine AU lediglich zu informieren (!!!) – nicht mehr, nicht weniger.
Die Möglichkeit der Leistungsverweigerung durch den Arbeitgebenden wurde also durch §5, Absatz 1a erheblich eingeschränkt.
Man kann über Sinn und Unsinn dieser Einschränkung jetzt trefflich diskutieren. Ich sehe den Sinn dahinter ganz klar: Wenn der Arbeitgeber in den Sanktionsmöglichkeiten vom Gesetzgeber so eingeschränkt wird, dann ist bei der Lohnfortzahlung in der Vergangenheit wohl zuviel schief gelaufen…
Wer nun glaubt, er könne da was über Änderungen in Arbeitsverträgen zugunsten des Arbeitgebenden verändern, dem sei die Unabdingbarkeitsklausel im §12 des Gesetzes empfohlen.
Danke für diesen beitrag, lieber Taxi-Times-Leser: Tatsächlich warten viele Juristen derzeit darauf, ob auch Paragraf 7 Entgeltfortzahlungsgesetz möglicherweise noch an die eAU-Regelungen angepasst wird und sehen dies als Versäumnis an. Bis dahin mag sich die hier vorgetragene Interpretation zwar irgendwann auch in der Rechtsprechung wiederfinden, noch aber ist sie lediglich eine der möglichen Interpretationen. Die wahrscheinlichere Alternative, dass Arbeitnehmer sich gemäß Paragraf 5, 1a durchaus eine ärztliche Bescheinigung aushändigen lassen müssen, und der Arbeitergeber sich somit auch einen entsprechenden Nachweis vorlegen lassen kann, lässt sich allerdings ebenso aus dem derzeitigen Paragrafen-Konstrukt herauslesen.