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Eine Boulevard-Schlagzeile und ihre Nebengeschichten

von Jürgen Hartmann
11. Mai 2021
Lesedauer ca. 4 Minuten.
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Eine Boulevard-Schlagzeile und ihre Nebengeschichten
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Ende April zeigte die Berliner Boulevardpresse einen Taxifahrer, der skandalträchtig fragt, wo sein Geld für Impf-Fahrten bleibt – und bei einem Politiker ein offenes Ohr findet. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich ein Bild, das so gar nicht zum Skandal taugt.

Hinweis: Zu dieser Meldung wurde am 23.7.21 eine Gegendarstellung durch den Politiker Marcel Luthe erbeten. Diese finden Sie im Anschluss an diese Meldung.

Die Boulevardpresse hatte am 26. April mal wieder einen kleinen Skandal an der Angel, der zumindest halbwegs dazu taugte, den Empörungsknopf zu drücken. „Berlins Taxifahrer: Wo bleibt unser Geld für die Fahrten zum Corona-Impfzentrum?“ titelte die „BZ“ am 26.3. Das klingt nach Unterschlagung, Veruntreuung, Mahnverfahren.

Was war passiert? Taxifahrer Peter G. hatte sich angeblich geärgert, dass bei der Schwemme an Taxi-Coupons, die derzeit aufgrund der Impf-Fahrten über die Bürotische bei Taxi Berlin gehen, die Bearbeitung doppelt so lange dauert wie sonst. Einen Unterstützer für seine Empörung fand er in dem Berliner Politiker Marcel Luthe, 43, einstiges FDP-Mitglied, jetzt Spitzenkandidat der Freien Wähler. In Wahlkampfzeiten findet sich leichter als sonst ein Politiker mit einem offenen Ohr, der mit der Empörung über einen Missstand, auch wenn es nur ein vermeintlicher ist, gerne mal auf sich aufmerksam macht.

Luthe fragte deshalb offiziell beim Senat Zahlen über die Impf-Fahrten an. Demnach gab es vom 4.Januar bis zum 3. April 434.390 Impffahrten und eine identische Anzahl an Coupons. Rechnerisch sind das 4.827 Fahrten pro Tag, vermittelt über die Taxizentrale Berlin mit der Folge, dass ein Vielfach erhöhter Abrechnungsaufwand nötig ist. Taxi-Berlin-Chef Hermann Waldner spricht in der „BZ“ von einem 50-fachen Wert des Üblichen, wobei fehlerhaft ausgefüllte Coupons die Erstattung verzögern. Die dadurch nötigen Überprüfungen treiben die Dauer laut Waldner besonders in die Höhe. Dass trotz allem die Abrechnung durchschnittlich nur doppelt so lange dauert wie zu normalen Zeiten mit ein paar hundert Coupons am Tag, spricht für Taxi Berlin und ist ganz sicher kein Grund, der Geschäftsführung Vorwürfe zu machen.

Somit weicht Luthe – und in der Folge die „BZ“ auf den Senat als Sündenbock aus, der sich angeblich aus der Verantwortung stehle. Doch auch hier ist die Angriffsfläche augenscheinlich gering: In jeder Behörde dauert das Bearbeiten von Vorgängen, bei denen es um Geld geht, seine Zeit und ist nicht in zwei Tagen erledigt. Bevor dann das Geld an Taxi Berlin geflossen ist, kann kein Taxiunternehmer eine Auszahlung erwarten, da eine Taxifunkgesellschaft, die von den monatlichen Funkgebühren ihrer Teilnehmer lebt, wohl kaum mal eben mit sechs- oder siebenstelligen Beträgen in Vorleistung gehen kann. Laut Waldner wird die Bearbeitungszeit auch – nur ein Beispiel – von einem Unternehmer beklagt, der die Coupons seiner Fahrer aus dem Januar erst Mitte Februar einreicht und dann erwartet, innerhalb einer Woche Geld zu sehen, da die Fahrten ja schließlich bereits bis zu fünf Wochen zurückliegen.

Auch zu dem Berliner Taxiunternehmer Peter G., der sich in der BZ beklagt, gibt es eine dort nicht erwähnte Nebengeschichte. Mit ihm habe es laut Schilderungen von Taxi Berlin an den Impfzentren wiederholt Probleme gegeben, weil sich der Taxifahrer an die dort geltenden Spezialregeln, welche die reibungslose Bewältigung der Impf-Fahrten sicherstellen müssen, nicht halten wollte. Dazu gehört unter anderem, dass jeder Taxifahrer, der einen Impfling absetzt, im Normalfall kurz darauf eine frisch geimpfte Person anvertraut bekommt, um diese sogleich nach Hause zu fahren. Das ist zwischen dem Senat als Auftraggeber und Taxi Berlin als die Firma, die das Leitstellenpersonal stellt, so vereinbart. Da Verzögerungen vermieden werden müssen, ist für Taxifahrer die Hin- und Rückfahrt ein- und derselben Person senatsseitig nicht vorgesehen, schon weil an den Impfzentren kaum Aufstellflächen für wartende Taxen vorhanden sind. Das ist für Fahrer und deren Stammkunden zum Teil unerfreulich, liegt aber nicht im Einflussbereich der Funkgesellschaft, geschweige denn des Leitstellenpersonals.

Wie ein Mitarbeiter der Leitstelle des Impfzentrums in Alt-Treptow berichtet, habe Peter G. mehrmals gegen die Regeln verstoßen und sei Aufforderungen des Sicherheitspersonals nicht nachgekommen, etwa dass er um sein Auto laufen und einer betagten Person beim Aussteigen behilflich sein solle. Immer wieder sei er entgegen den Anweisungen der Leitstelle verbotenerweise in die Martin-Hoffmann-Straße abgebogen, um dort auf seinen Stammfahrgast zu warten – und habe somit die Verkehrssituation erschwert. Schließlich habe er den Leitstellenmitarbeiter nach etlichen freundlichen und zunehmend energischeren Ermahnungen und Sperr-Androhungen auch noch beleidigend angepöbelt. Das habe am 10. März zur kurzzeitigen Verhängung einer Sperre für Fahrten von und zur Arena geführt.

Auch zu dem oben erwähnten Politiker Marcel Luthe gibt es eine Nebengeschichte. Luthe war bis Juni 2020 als innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus tätig und wurde nach seinem Parteiaustritt Spitzenkandidat der „Freien Wähler“. Wie es dazu kam und warum die Freien Wähler in Berlin heillos zerstritten sind, beschreibt ein umfangreicher Artikel des Tagespiegels vom 1. Mai 2021.

Hinzu kommt, dass Luthe aufgrund einer öffentlich getätigten Äußerung, wonach Taxi Berlin das Geld, das den Unternehmern anhand der Impffahrt-Coupons zusteht, „bunkere“, von der Berliner Taxizentrale juristisch abgemahnt wurde und dies nun nicht mehr behaupten darf, da es nicht den Tatsachen entspricht. ar

Anmerkung der Redaktion: All dies lässt die BZ-Geschichte in einem ganz anderen Licht erscheinen. Was bleibt, ist allerdings der Imageschaden für das Berliner Taxigewerbe insgesamt. Peter G. hat mit seiner Vorgehensweise seiner eigenen Branche damit einen Bärendienst erwiesen.

Gegendarstellung

In dem am 11. Mai 2021 unter der Überschrift „Eine Boulevardzeitung und ihre Nebengeschichten“ veröffentlichten Beitrag findet sich unter anderem die Passage: „Im Beitrag vom 11. Mai 2021 heißt es unter anderem: „Hinzu kommt, dass Luthe aufgrund einer öffentlich getätigten Äußerung, wonach Taxi Berlin das Geld, das den Unternehmern anhand der Impffahrt-Coupons zusteht, „bunkere“, von der Berliner Taxizentrale juristisch abgemahnt wurde und dies nun nicht mehr behaupten darf, da es nicht den Tatsachen entspricht.“

Hierzu stelle ich fest: Eine solche Abmahnung gibt es nicht. Mehr als das: Mit Mail vom 22.04.2021 (10:37 Uhr) hat Taxi Berlin den Redaktionen eine Presseinformation zukommen lassen, in der es u.a. wörtlich heisst: „Wir nehmen hiermit Abstand von dem Schreiben, das Sie gestern bezüglich Herrn Marcel Luthe von uns erhalten haben. Bitte betrachten Sie dieses Schreiben als gegenstandslos.“ In einer meinen Rechtsbeistand entsprechend informierenden  Mail (22.04.2021, 15:46 Uhr) der Anwälte von Taxi Berlin wird betont, dass der Absender (anm.: Taxi Berlin) sich voll und ganz von seiner vorigen Äusserung distanziert und diese zurücknimmt.

Anmerkung der Redaktion: Redaktionen sind laut Pressegesetz unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, Gegendarstellungen abzudrucken bzw. zu veröffentlichen. Auszug aus Wikipedia: „Ein Wahrheitsbeweis der Gegendarstellung muss nicht erbracht werden, eine Gegendarstellung ist keine Berichtigung. Somit steht nach einer abgedruckten Gegendarstellung Aussage gegen Aussage, dem Leser ist es nicht möglich, zu wissen, welche Aussage nun richtig ist.“

Beitragsbild: Collage Axel Rühle

Tags: BoulevardImpf-TaxiImpfzentrum
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Jürgen Hartmann

Der Verlagskaufmann und ehemalige Taxiunternehmer gründete 2014, als Reaktion auf die Veränderungen innerhalb des Taxigewerbes, den Taxi Times Verlag. Als Herausgeber etablierte er die Taxi Times Print-Magazine und das Onlineportal Taxi-Times.com mit dem Anspruch, ein Sprachrohr für die Taxibranche zu schaffen.

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Kommentare 1

  1. Joachim Stahlkopf says:
    5 Jahren her

    Hallo, auch ich bin ein Berliner Taxiunternehmer, der über die vom Senat gesponserten Fahrten glücklich ist. Allerdings sollte man den Umstand, der leider sehr spät fließenden Auszahlungen der Coupons nicht herunterspielen. 5 Wochen sind die Regel, für die Auszahlung von eingereichten Coupons!
    Sämtliche Kosten laufen weiter und müssen pünktlich bezahlt werden, wenn dann kein Geld auf dem Konto ist kommen Probleme auf.
    Mein letzter Geldeingang wird hoffentlich Heute sein. Die Bestätigung der von mir am 30.3.2021 eingereichten Coupons habe ich am Samstag den 09.05.2021 bekommen. Es dauert von der Ankündigung bis zur Überweisung dann ca.2 – 3 Tage bis das Geld auf dem Konto ist. Meine letzte Gutschrift von Impffahrten war am 11.4.2021, also wenn man überwiegend die Impflinge fährt ,muss man schon ein wenig Erspartes haben, um die Firmen und die Privatkosten Miete, Versicherungen usw. bedienen zu können.
    Ich kenne Taxibetriebe deren Fahrer auch nur hauptsächlich Impflinge befördern und somit eine große Summe an Coupons bekommen, aber kein Bargeld wie gewohnt! Die Fahrer wollen aber Ihren Lohn, was ja auch korrekt ist, pünktlich bekommen.
    Da muss dann schon Geld vom Privaten herhalten, denn die Coupongutschriften dauern eben ihre Zeit.
    Es gibt nur ein Impfzentrum, wo man unmittelbar nach dem Ausladen einen neuen Fahrgast bekommt, an der Arena. Bei allen anderen heisst es sich wieder anzustellen. 1- 2 Std. Wartezeit!
    Ich finde es auch schade, das man es z.b. an der Messe wieder unterbunden hat das Taxen, die fest von
    Ihren Kunden für eine Beförderung für die Hin und Rückfahrt gebucht waren, dazu gezwungen hat, das Gelände zu verlassen, obwohl genügend Standplätze für die fest gebuchten Taxen vorhanden waren.
    Das ist doch ein wichtiger Faktor im Taxigewerbe sich Stammkunden anzuschaffen und diese zuverlässig zu bedienen.
    Ich fand es zum Teil erbärmlich mit ansehen zu müssen, wie selbst Gehbehinderte mit Rollator oder Sonstigen Gebrechen, mehr oder weniger gezwungen wurden den Messedamm zu überqueren, wenn sie mit ihrem gewählten Taxibetrieb wieder zurückfahren wollten. Ich bin und war meinen treuen Kunden dafür sehr dankbar, das sie diese Umstände in Kauf genommen haben, um mit mir dann wieder Heim zu fahren.
    Das waren und sind nicht vereinzelte Fälle, sondern Hunderte, wenn nicht insgesamt Tausende.
    Das nenne ich einfach Ingnoranz einer Situation.

    Trotz aller Misslichkeiten bin ich dem Senat für diese Impffahrten dankbar.

    Man muss aber die 5 Wochen bis zum Geldeingang trotzdem überbrücken können!!

    Beste Grüße
    Taxibus
    Joachim

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