Beim Rückblick auf die Ereignisse und Nachrichten dieser Woche stelle ich fest, dass mir besonders die Begriffe „le cristal“ und „Spiri“ im Kopf hängengeblieben sind. Zwei Begriffe, die ich gedanklich automatisch mit „Allygator“ verknüpfe. Alle drei Begriffe stehen für neue, innovative Car-Sharing-Modelle, mit Ansätzen, die über die bisherige Angebotspalette hinausgehen, bei denen oft auch neuartige strombetriebene Fahrzeugkonzepte zum Einsatz kommen sollen.
Eine Menge Leute machen sich Gedanken über urbane Mobilität der Zukunft und sie entdecken, dass es zwischen der Massenbeförderung im ÖPNV (Bus + Bahn) und der Individualbeförderung (Taxi, Mietwagen + Car-Sharing) noch eine Zwischenlösung geben könnte. Ich nenne es mal „individualisierte Gruppenbeförderung“.
Die neue Digitaltechnik macht es möglich, spontane Fahrtwünsche zu sammeln und zusammenzulegen. Letzteres natürlich nur bei entsprechend hoher Anzahl an Nutzern.
Nun werden Sie zu Recht sagen, dass solche Ideen doch nichts Neues seien, es solche Angebote schon seit 2-3 Jahren gibt. Stimmt, aber keiner dieser ersten Player konnte bisher bahnbrechende Erfolge aufweisen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass solche Ideen nicht von 0 auf 100 die Schallmauer durchbrechen, sondern erst langsam ins Bewusstsein der Nutzer dringen müssen.
Genau das passiert im Moment. Mit jeder weiteren Berichterstattung in den Medien steigt die Bereitschaft, es doch einmal auszuprobieren. Inzwischen kennt fast jeder irgendjemanden im Freundes- oder Kollegenkreis, der das bereits erfolgreich ausprobiert hat. Damit steigt die Neugier, es jetzt endlich auch mal selbst kennenzulernen. Allygator musste sich über mangelnde Bestellungen nicht beklagen, als man vor rund sechs Wochen mit Dumpingpreisen eine erste Testphase in Berlin startete.
Für mich sind das klare Zeichen, dass die „individualisierte Gruppenbeförderung“ bald ganz normal sein wird. Als Alternative, die komfortabler ist als Bus + Bahn und günstiger als die Individualbeförderung.
Die spannende Frage ist: Wer wird der Anbieter solcher Fahrten sein? Irgendwelche Start-Ups, finanziell gepusht von Konzernen und Heuschrecken-Fonds, die alle glauben, im Personenbeförderungsgewerbe lassen sich Milliarden verdienen? Oder etwa doch das Taxigewerbe? In Wien läuft seit ein paar Monaten ein Pilotprojekt. Mein geschätzter Kollege einer Wettbewerbszeitschrift, die ebenfalls den Namen Taxi im Titel trägt, zitiert in einer Meldung von dieser Woche den Mitarbeiter des Marktführers von Taxivermittlungssystemen. Dort könne man rein technisch gesehen das Taxi-Sharing durchaus abbilden, erzählt der Experte. In Wien scheitere es jedoch konkret an der gerechten Aufteilung der Anfahrtspauschale auf alle Fahrgäste.
Für mich ist das kaum vorstellbar, dass sich für dieses Problem kein Algorithmus definieren lässt. Ich fürchte eher, dass der Wille fehlt, weniger beim Systemanbieter, als vielmehr bei den Taxizentralen. Letztes Jahr durfte ich im Rahmen des Eurocab, dem Treffen europäischer Taxizentralenchefs, einen Workshop zum Thema AST und Taxi-Sharing moderieren. Da wurde bereits der Start des Wiener Pilotprojekts angekündigt, doch war damals zu hören, dass man es „nur“ mache, um die Forderung der Lokalpolitik nach umweltfreundlichen Lösungen zu erfüllen. Andere Zentralenchefs dachten an den Geschäftskunden, der niemals das Taxi teilen würde, weil die Fahrt erstens sowieso sein Arbeitgeber bezahlt und er zweitens seine wichtigen Telefonate ohne fremde Zuhörer machen will.
Mich erinnern solche Aussagen ganz fatal an die Zeit, als die ersten App-Anbieter die Taxiverbände und Zentralen besuchten, um ihnen die Idee einer Taxi-App schmackhaft zu machen. Damals wollte sich keiner vorstellen, dass es junge Leute (und inzwischen altersübergreifend jede Generation) ganz besonders schick finden würden, zur Taxibestellung einfach auf einen Knopf zu drücken. Eine fatale Fehleinschätzung, wie wir heute wissen, und die Geburtsstunde von mytaxi in Deutschland und von Uber in Amerika.
Man sollte einen Fehler nicht zweimal machen. Projekte wie „le cristal“, „Spiri“ und „Allygator“ kann das Taxigewerbe auch. Packen wir´s an! jh
Ich bin seit 25 Jahren Chef einer Taxizentrale in Leipzig. Und es stimmt zumindest für uns keinesfalls, dass wir das „Taxiteilen“ nicht gern schon längst anbieten würden. Wir wissen, dass wir mit der Zeit gehen und diese Leistungen anbieten müssen. Auch wenn wir uns diese Dumpingpreise selbstverständlich nicht leisten können. Hier in Leipzig ist inzwischen „Clever Shuttle“ mit einer Sondergenehmigung zur Erprobung neuer Verkehrsformen nach PBefG mit Sammelmietwagen unterwegs, die massiv durch die DB AG finanziert werden. Auch wenn wir diese „Sponsoren“ nicht haben, würden wir dem gern etwas entgegensetzen und warten daher schon lange auf die Ergebnise aus Wien und eine entsprechende Lösung. Der Spruch ist nicht neu und nicht von mir, aber er stimmt: „Wenn wir nicht mit der Zeit gehen, gehen wir mit der Zeit“!
Zu den App-Angeboten muss ich allerdings feststellen, dass wir nicht diese Idee oder Lösung abgelehnt haben, sondern den Wunsch dieser App-Anbieter, die uns so weggenommenen Fahraufträge zukünftig von ihnen zurückzukaufen.