Die Gerichtsverhandlung gegen den Hamburger Taxidieb, der den Tod eines jungen Menschen zu verantworten hat, ist auch für Zeugen eine Belastung. Opfer und Hinterbliebene kämpfen immer noch mit den Folgen.
Am Hamburger Landgericht wird der Prozess gegen den Hamburger Todesfahrer fortgesetzt. Er raste in einer Mai-Nacht mit einem gestohlenen Taxi mit 145 Stundenkilometer durch Hamburg und kollidierte frontal mit dem Kleinbus von Taxifahrer Mehmet Yilmaz. Bei dem Unfall starb in Yilmaz‘ Taxi der Fahrgast John B. (26) und ein weiterer, Philipp Z. (24), wurde schwer verletzt. Taxi Times hat mit dem Kollegen Mehmet (57), der den Unfall selber schwer verletzt knapp überlebte und dessen 6-köpfige Familie in der Folge beinahe ihre Existenz verlor, nach dem zweiten Verhandlungstag gesprochen.
Mehmet beschleichen gemischte Gefühle, während der des Mordes angeklagte 25-jährige Ricardas D. scheinbar regungslos an den Verhandlungstagen kurz vor Weihnachten im Gerichtssaal sitzt. Die Anschuldigen wiegen schwer, und Mehmet verspürt Wut. Er sieht aber auch die Hilflosigkeit des jungen Menschen, so viel Leid verursacht zu haben.
Am zweiten Verhandlungstag werden weitere Zeugen vernommen. Mehmet durchlebt den Unfall bei jeder Aussage erneut. „Das ist anstrengend,“ sagt er. Augenzeugen berichten davon, wie sie Erste Hilfe leisteten, bis die Rettungskräfte eintrafen. Wie sie die eingeklemmten Verletzten in den Wracks vorfanden – detailliert. Einer der Zeugen kämpft mit den Tränen, ein Kollege, der mit Fahrgast an Bord wenige Minuten vor dem tödlichen Aufprall von dem Flüchtenden in dem unbeleuchteten Mercedes überholt wurde und beinahe selbst mit diesem zusammengekracht wäre. „So etwas kann auch tödlich enden,“ sagte er in jener Mainacht zu seinem Fahrgast, als der Kombi ungebremst bei Rot über eine Kreuzung donnerte.
Aber die Aussagen zu den letzten Augenblicken, bevor das gestohlene Taxi, gesteuert von Ricardas D., mit 145 Stundenkilometer in Mehmets Vito einschlug, stimmen nicht alle mit dem Gutachten und dem Polizeiprotokoll überein, auch nicht mit seinen bruchstückhaften Erinnerungen. Das verwirrt ihn – er kann sich nicht erinnern, dass er noch einen Versuch unternahm, den Zusammenstoß zu vermeiden, abbremste. Das könne nicht sein, „das ging viel zu schnell.“
Nach Zeugenaussagen ist der Unfallfahrer vielleicht auch nicht absichtlich auf die Gegenfahrbahn gefahren, sondern habe die Kontrolle verloren und ist dann in Folge seiner hohen Geschwindigkeit geschleudert. Ihre Schilderung wirft Fragen auf. Das Gutachten sagt jedoch etwas anderes und wird wohl am Ende überzeugen. Bislang sind Verurteilungen wegen Mordes nach tödlichen Verkehrsunfällen die Ausnahme, und auch hier scheinen die Richter am Vorsatz, den der Staatsanwalt hier sieht, noch zu zweifeln. Der Hergang muss minutiös aufgeklärt werden.
Mehmet fühlt sich nach dem zweiten Verhandlungstag erschöpft. Am Dritten hat er nicht teilgenommen. „Das Freitagsgebet ist wichtiger,“ sagt er und verschluckt dabei einen zweiten Satz. Er berichtet von Komplikationen, die im Nachhinein aufgetreten sind. Eine der Schrauben in seinem Fuß brach bei ihrer Entfernung ab und wird später heraus geholt werden müssen. Auch das Greifen mit der Hand klappt immer noch nicht so, wie gewünscht. Jede Treppe erinnert ihn schmerzhaft an das, was geschehen ist.
Wie Mehmet hat auch sein Fahrgast noch mit den Spätfolgen des Unfalls zu kämpfen. Der 24-jährige Philipp Z. hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten, unter dem er heute noch leidet, zusammen mit der psychischen Belastung. Auch seine körperliche Genesung verzögert sich durch Komplikationen. Und es ist nicht zu ermessen, was die Mutter des verstorbenen John B. durchmachen müsse. Mehmet macht sich Sorgen und er fragt sich, was er tun könnte, „jetzt, vor Weihnachten.“
Wie es Mehmet Yilmaz und seiner Familie nach dem Unfall und vor dem Prozess erging, berichtete Taxi Times in der DACH-Ausgabe vom November. prh
Foto: Mehmet Yilmaz
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