SPD, Grüne und Linke haben den neuen Koalitionsvertrag für das Land Berlin vorgestellt. Das Taxi spielt an mehreren Stellen eine Rolle, unter anderem bei den Punkten Flughafen, Inklusionsförderung, E-Mobilität und Halteplätze.
Im Berliner Koalitionsvertrag, der gestern von den Parteispitzen der drei alten und neuen Koalitionspartner im Abgeordnetenhaus vorgestellt worden ist, kommt elfmal das Taxi als Wort oder Wortteil vor. Das Taxigewerbe wird als wichtiger ÖPNV-Bestandteil bezeichnet. Auch betreffen mehrere Absätze Themen, die für die Branche relevant sind, etwa Inklusion, Erschließung von Außengebieten mit Rufbussen, Sozialstandards in der individuellen Personenbeförderung und Elektromobilität.
Im Abschnitt „Mobilität“ ist ein kompletter Absatz dem Taxiverkehr gewidmet. Einleitung: „Das Taxiwesen ist ein wichtiger Bestandteil des ÖPNV. Die Koalition wird sich in Verhandlungen mit dem Landkreis Dahme-Spreewald für ein Laderecht aller Berliner Taxen am Flughafen BER einsetzen.“
Die Abkehr vom Verbrennungsmotor will die Koalition gezielt auch im Taxigewerbe vorantreiben, nicht nur durch eine Fortsetzung der Förderung. Auch das Laden soll eines Tages während des Wartens am Halteplatz möglich sein: „Die Nutzung im Betrieb CO2-freier Fahrzeuge wird durch Vorgaben, Förderung und Ausbau der Ladeinfrastruktur an Halteplätzen unterstützt.“
Letzteren kommt aufgrund der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum auch eine besondere Rolle im Konkurrenzkampf gegen die Mietwagenbranche zu, weshalb die Landesverbände sich immer wieder für den Erhalt der Halteplätze eingesetzt haben. Dieses Engagement wird im Koalitionsvertrag gewürdigt: „Mit den Bezirken wird ein Moratorium vereinbart, nach dem bis zur Vorgabe gemeinsam entwickelter qualitativer Kriterien zur Bereitstellung von Taxi-Halteplätzen keine weiteren Halteplätze wegfallen. Eine Ausnahme gilt für Maßnahmen zur Umsetzung des Mobilitätsgesetzes. Bei der Änderung oder Reduzierung von Halteplätzen soll das Taxigewerbe einbezogen werden.“
Ein Missstand, mit dem man in der neuen Legislaturperiode offenbar aufräumen möchte, sind die mangelnden Aktivitäten der Kontrollbehörde: „Die Koalition will das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) stärken und seine Organisationsstrukturen bis Mitte des Jahres 2023 im Rahmen eines Organisationsgutachtens überprüfen.“ Die Stärkung hat bereits beim Personal begonnen (mehr dazu in der kommenden Taxi Times Berlin).
Zudem will der künftige Senat ausgiebig von den neuen Möglichkeiten der PBefG-Novelle Gebrauch machen: „Die Koalition wird den Gestaltungsspielraum der Kommunen […] zum Schutz der Beschäftigten ausschöpfen und klare Regelungen für alle Verkehrsformen und Geschäftsmodelle im öffentlichen Verkehr vorgeben. Für Mietwagen-, gebündelte Bedarfsverkehre und Taxiverkehre wird die Koalition bis Mitte des Jahres 2022 Vorgaben unter anderem zu Sozialstandards, Mindest- und Höchstpreisen, Festpreisen und Anteil barrierefreier Fahrzeuge, Poolingquoten bei Bedarfsverkehren sowie räumlichen und zeitlichen Beschränkungen auf Gebiete mit unzureichendem ÖPNV machen. Dazu wird eine Arbeitsgruppe aus Senatsverwaltung, Koalitionsfraktionen und Verbänden eingerichtet. Das Förderprogramm Inklusionstaxen wird fortgeführt und überarbeitet.“ Den Regelungsbedarf hat der künftige Senat also auf dem Schirm. Doch wird er ein ausgewogenes Regelwerk zustande bringen, das nicht nur Lohndumping bei Fahrern, sondern auch Preisdumping bei den Anbietern abschafft? Nachdem die Forderung des Taxigewerbes nach Mindestpreisen für Mietwagen nicht im PBefG festgesetzt wurde, sondern den Ländern und Kommunen lediglich ermöglicht, sind die Gewerbeverbände weiterhin als Berater gefragt. Was die Festpreise für das Taxigewerbe betrifft, so ist der erste Schritt bereits in die Wege geleitet: Das LABO hat kürzlich Festpreise vom Flughafen zum Alexanderplatz und zum Messegelände vorgeschlagen, worauf die Berliner Taxiverbände mit einem sehr viel weitergehenden Konzept für Festpreiszonen reagiert haben (mehr dazu in der nächsten Taxi Times Berlin).
Die neuen Möglichkeiten der Datennutzung will der künftige Senat ausgiebig nutzen: „Die Koalition schafft die Voraussetzungen, dass alle Anbieter*innen von Mobilitätsdienstleistungen an eine digitale, öffentliche Plattform angebunden werden und anonymisiert planungs-, buchungs- und auslastungsrelevante Daten einspeisen müssen. Angestrebt wird, dass Standards hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Abdeckung, der Beschäftigtenrechte, der Barrierefreiheit, Einrichtungen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und klimaschonender Antriebe verankert werden. Jelbi wird mit dem Ziel, ein durchgehendes Ticketing anzubieten, weiterentwickelt, die Mobilitätshubs sollen weiter ausgebaut werden.“ Keine Frage: Das, was datenhungrige Konzerne oft übertreiben, tun öffentliche Verwaltungen bisher viel zu wenig. Wer das Kundenverhalten nicht auswertet, kann auch kein bedarfsgerechtes Angebot entwickeln. Hier hat Taxi Berlin durch die Jelbi-Kooperation mit der BVG bereits eine wichtige Weiche gestellt.
Ein letztes Mal im Vertragstext taucht das Taxi bei der Elektromobilität auf: „Die Umstellung des Wirtschafts- und Taxiverkehrs auf elektrische Antriebe wird weiter gefördert.“
Ein Satz, der auf die Vorbereitung von On-Demand-Diensten hindeutet, lautet: „Eine Haltestelle mit attraktiver Taktung soll zukünftig nicht weiter als 400 Meter vom Wohnort entfernt sein.“ Wollte man diese Vorgabe für sämtliche Wohnadressen Berlins umsetzen, so wären wohl nicht nur etliche neue Buslinien bzw. Verzweigungen des bestehenden Netzes nötig. Bei der Erschließung von Randgebieten kommen auch kleinere Fahrzeuge ins Spiel. Dazu heißt es im Vertrag: „In untererschlossenen Gebieten mit derzeit schwacher Nachfrage will die Koalition Kleinbusverkehre und Rufbusse ohne taxiähnliche Verkehrsleistung zur Anbindung an das ÖPNV-Netz ausbauen.“
Ein Absatz wenige Seiten weiter dürfte dann spätestens die Alarmglocken im Taxigewerbe klingeln lassen: „Sharing-Angebote können – sinnvoll gesteuert – ein wichtiger Baustein für die Verkehrswende sein. Die Koalition wird eine Regulierung der Sharing-Angebote im Sinne der Verkehrswende einschließlich qualitativer Standards umsetzen und Sharing-Angebote konzessionieren. Durch diese soll eine Ausweitung des Angebots auch außerhalb des S-Bahn- Rings realisiert werden. Die Koalition wird zusammen mit den Bezirken anbieterneutrale Stellplätze auf Parkplätzen und Fahrbahnen ausweisen, die von den Nutzern der Sharing-Angebote zu verwenden sind.“ Wird der Senat hier seinen Fehler, eine neu aus dem Boden gestampfte Flotte („Berlkönig“) statt des Taxigewerbes einzusetzen, korrigieren, oder wird das Taxigewerbe weiterhin staatlich finanziert kannibalisiert werden? Die Formulierung „sinnvoll gesteuert“ ist daher im Sinne eines fairen Wettbewerbs höchst wichtig. Sicherlich lauern Uber, Bolt, Free Now & Co. bereits auf Möglichkeiten, auch Taxihalteplatz-ähnliche Stellflächen für ihre Partner einzurichten. Ob man sich in der Senatsverwaltung dieser Gefahr bewusst ist?
Die Berliner Senatsressorts werden zum Teil neu zugeschnitten. Die Grünen behalten das Ressort, das Regine Günther demnächst abgibt, das um den Bereich Verbraucherschutz erweitert wird. Am Köllnischen Park befindet sich somit künftig die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz und Verbraucherschutz. Als Senator ist der Berliner Grünen-Vorsitzende Werner Graf im Gespräch. Von der Linken bekommt die SPD das Ressort für Stadtentwicklung zurück, das sie bereits von 1996 bis 2016 innehatte. Als Senator im Gespräch ist der Stadtplaner und zeitweise Flughafen-Chef Engelbert Lütke-Daldrup. Von den Grünen übernimmt die SPD die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe in der Martin-Luther-Straße, bis jetzt von Ramona Pop geleitet. Als Sensation gilt die Übernahme des Finanzressorts unter Matthias Kollatz (SPD) in der Klosterstraße durch die Grünen. Die Linke behält die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, wobei Senatorin Elke Breitenbach voraussichtlich von ihrer Parteifreundin Katja Kipping abglöst wird, und die SPD behält das Innenressort unter Andreas Geisel. ar
Beitragsfoto: Collage Axel Rühle