Diese Woche protestieren frankreichweit Taxi- und Krankenwagenfahrer gegen die Anfang Januar in Kraft tretende Krankenkassenreform, die sie als Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz und als Zumutung für die Fahrgäste ansehen.
Bei Krankenfahrten mit sitzenden Patienten soll in Frankreich ab kommendem Jahr Pooling zur Anwendung kommen – bei drastisch verschlechterter Vergütung für die Beförderer. Taxi- und Krankentransportfahrer und die Unternehmen befürchten nicht nur längere Wartezeiten, große Umwege und weitere Unannehmlichkeiten für ihre Kundschaft, sondern auch ein dramatisches Zusammenschmelzen ihrer Gewinne, die ein wirtschaftliches Arbeiten extrem erschwert.
In Paris gab es deshalb bereits letzte Woche eine Protestaktion (Taxi Times berichtete). Auch aus dem Großraum Lyon wurden Blockaden gemeldet. Auf mehreren Zufahrtsstraßen zu der südostfranzösischen Metropole wurde der Verkehr ausgebremst. Am Eingang eines Krankenhauses wurden bei einer Kundgebung Flugblätter mit der Überschrift „Medizinischer Transport in Gefahr“ verteilt – ohne den Betrieb zu erschweren.
Für heute war in Frankreich ab dem frühen Morgen eine Welle von Protesten angekündigt: Taxifahrer und Fahrer „leichter Krankenfahrzeuge“ wollen auf die Straße gehen. Im Zuge von „Opérations escargots“ (Schneckenoperationen) wollen sie den Straßenverkehr in zahlreichen Regionen lahmlegen.
Die Krankenversicherung ist in Frankreich staatlich organisiert – ähnlich wie in Deutschland die Rentenversicherung: Alle zahlen in eine allgemeine Kasse ein, die nationale Krankenversicherung (CNAM), und können zusätzlich private Versicherungen abschließen. Die CNAM vergibt auch die Aufträge für Krankenfahrten. Das Gesamtvolumen der Krankenbeförderungen umfasst derzeit in Frankreich rund 6 Milliarden Euro im Jahr. Patienten haben darauf Anspruch unter anderem zu Beginn und Ende eines vollstationären, teilstationären oder ambulanten Krankenhausaufenthaltes, bei Behandlungen und Pflege im Zusammenhang mit Langzeiterkrankungen, bei Behinderungen oder Beeinträchtigungen bei der Fortbewegung, die in den Richtlinien für die Verschreibung von Transporten definiert sind, sowie bei erforderlichen Fahrten zu über 150 Kilometern entfernten Einrichtungen. Im dünner besiedelten Frankreich besteht in ländlichen Regionen ein wesentlich schlechteres Linienverkehrsangebot als in Deutschland.
Eine ehemalige Patientin berichtet gegenüber Taxi Times, sie habe vor Jahren einen Krankentransport in eine etwa 180 Kilometer entfernte Klinik in Bordeaux (und später zurück) in Anspruch nehmen müssen, für die der Transportdienst damals eine Vergütung von 1,60 Euro je Kilometer, also 576 Euro für beide Touren zusammen, erhalten habe. Heute liegt die Vergütung für Krankenfahrten bei 1,67 Euro pro Kilometer. Im Zuge der Reform soll sie auf 0,98 Euro pro Kilometer gekürzt werden.
Zudem bringt die Reform tiefgreifende Änderungen im täglichen Arbeitsablauf der Fahrer und deutliche Qualitätseinbußen für die Fahrgäste mit sich. So sollen sitzende Patienten künftig nicht mehr nur einzeln, wie im Taxi üblich, sondern häufig gesammelt transportiert werden. Die Folge werden längere Warte- und Fahrzeiten sowie des öfteren Umwege von bis zu 30 Kilometern sein. Die Wartezeit bei solchen gepoolten Krankenfahrten soll auf 45 Minuten begrenzt werden.
Das französische Online-Portal „nachrichten.fr“ spricht von einem klassischen Konflikt zwischen Effizienzsteigerung und menschlicher Würde: „Wer will schon, wenn er krank ist, lange Umwege in Kauf nehmen müssen“, fragen die Redakteure rhetorisch.
Der Präsident des Verbands der unabhängigen Taxis der Rhône (FTI69), Abdel Green, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, was die Reform für das Taxigewerbe bedeutet: „Wir werden nicht nur sehr lange warten, um das Auto zu füllen, und Touren fahren, die kein Ende nehmen, sondern auch den Service verschlechtern, den wir seit Jahren mit den Patienten aufgebaut haben.“ Man fühle sich zum Teil mit Paketdienstleistern gleichgesetzt. Dabei seien Krankenfahrten mehr als gewöhnliche Taxifahrten: „Der Patient ist nicht jemand, den Sie zum Flughafen, in einen Nachtclub oder zum Friseur bringen. Es ist jemand, der sich auf Sie freut, weil Sie vielleicht der einzige Mensch sind, den er in der Woche sieht, und es ist ein Ausflug für ihn. Er erzählt Ihnen von seinen kleinen Wehwehchen, er erzählt Ihnen von seiner kleinen Familie, Sie bringen ihn ins Krankenhaus und manchmal helfen Sie ihm sogar beim Anziehen, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird.“
Diese Woche sollen die Proteste gut organisiert in zahlreichen Teilen des Landes fortgesetzt werden. Das Staatsgebiet einschließlich der Überseegebiete ist in 18 Regionen unterteilt, die wiederum aus insgesamt 101 Départements bestehen. Nach Angaben der Fédération Nationale du Taxi (FNDT), dem französischen Pendant zum deutschen BVTM, werden in mindestens 30 Départements Blockaden und Taxikorsos im Schneckentempo erwartet.
In der südöstlichen Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, die am Mittelmeer liegt und an Italien grenzt, soll der Protest bereits morgens um sechs beginnen, indem Taxikolonnen von drei Einkaufszentren aus in Richtung der Autobahn A7 aufbrechen, die in nördlicher Richtung nach Lyon führt. Massive Verkehrsbehinderungen werden in beiden Richtungen erwartet. Die Präfektur hat Kraftfahrern geraten, den Bereich nach Möglichkeit weiträumig zu umfahren.
Die Präfektur des Rhône-Gebiets, deren Hauptstadt Lyon ist, hat sich ebenfalls auf den Protest vorbereitet. Bereits seit Mitternacht kommt der sogenannte Palomar-Plan zur Anwendung, um den Verkehr so gut wie möglich zu regeln. Dennoch wird befürchtet, dass die geplanten Blockaden an den Zufahrten zur Metropole Lyon und ihren Krankenhäusern den Verkehr erheblich beeinträchtigen. Die Behörden warnten die Demonstranten bereits vorab, dass eine vollständige Blockade von Krankenhauseingängen nicht toleriert werde. So weit waren die Protestler allerdings letzte Woche nicht gegangen.
In der südwestlichen Region Nouvelle-Aquitaine, am Atlantik liegend und an Spanien grenzend, sind kleinere Aktionen geplant. Im Département Deux-Sèvres soll eine Kolonne von 50 Taxis wichtige Straßen und Kreisverkehre lahmlegen und symbolisch vor den Büros der Krankenkasse in Niort demonstrieren.
Frankreich ist bekannt für seine Protestkultur, doch die angekündigten Maßnahmen stellen Behörden und Bevölkerung auf die Probe. Die Präfekten der betroffenen Regionen appellieren an die Verkehrsteilnehmer, geplante Fahrten zu verschieben oder alternative Routen zu wählen. Zugleich wird die Frage gestellt, wie weit das Recht auf Protest gehen darf.
Das Portal „nachrichten.fr“ meint, es wäre ein Fehler, diese Proteste als bloßes Anliegen einer Berufsgruppe abzutun. „Die geplanten Reformen zeigen, wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitssystem ist – und wie schnell Einsparungen auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden können. Für Taxifahrer, die täglich Kranke und Verletzte transportieren, steht viel auf dem Spiel. Aber auch für die Patienten könnte die Reform deutliche Einschnitte bedeuten.
Vielleicht sollten wir uns eine Frage stellen: Wie viel ist uns der Schutz und die Würde von Patienten wirklich wert?“ Man müsse abwarten, ob die Regierung darauf hört. ar
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