Mit einem „entschlossenen Schreiben“ an die Politik hat die nordrhein-westfälische Gewerbevertretung die Pläne zu einer Lockerung der Freistellungsverordnung scharf kritisiert.
Nahezu unbemerkt ist mit der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) auch eine Bitte des Bundesrats verknüpft worden, die Bundesregierung möge die Freistellungsverordnung dahingehend überarbeiten, dass ehrenamtliche und „soziale Fahrdienste“ von den Anforderungen des PBefG befreit werden sollten. Auf die fatalen Folgen dieses Vorstoßes hatte bereits der Taxi-Bundesverband BVTM hingewiesen. Nun meldet sich auch der Verband des privaten gewerblichen Straßenpersonenverkehrs Nordrhein-Westfalen VSPV e. V. mit Sitz in Dortmund zu Wort. Die Politik würde damit das Taxi- und Mietwagengewerbe im ländlichen Raum zu Grabe tragen, heißt es in einer heutigen Verlautbarung.
Dezidiert und ausführlich nennt die Gewerbevertretung die Gründe, warum die Bundesregierung dieser Bitte auf keinen Fall nachgeben dürfe. Man habe das gestern auch in einem „entschlossenem Schreiben“ den zuständigen Ministern in Bund und Land sowie den fachlich betroffenen Ausschüssen des Landtags mitgeteilt, sagte Sascha Waltemate, neuer Geschäftsführer des VSPV.
Für ihn ist klar, dass es bei dieser Bitte nur darum gehe, dass Krankenfahrten künftig nicht mehr der Regulierung des PBefG unterliegen. Anstelle von Taxi- und Mietwagenunternehmen würden diese künftig von einem „quasi-gewerblichen Substitut unter dem Deckmantel von Ehrenamt und Gemeinnützigkeit“ durchgeführt werden. Von genau solchen Krankenfahrten seien aber Taxi- und Mietwagenbetriebe im ländlichen Raum wirtschaftlich abhängig. Der Verlust „für diesen elementaren Teil der Einnahmenstruktur der Taxi- und Mietwagenunternehmen wird dazu führen, dass es im ländlichen Raum demnächst heißen wird ‚Kein Anschluss unter dieser Nummer’, wenn man ein Taxi bestellen möchte“, warnt der VSPV.
Damit würde vielerorts das letzte öffentliche Verkehrsmittel wegfallen – was wiederum kontraproduktiv zur politisch geplanten Verkehrswende wäre. „Neben dem Verlust von Arbeitsplätzen und Gewerbesteuereinnahmen in ohnehin strukturschwachen Regionen schneidet man damit die Menschen im ländlichen Raum – etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung – von Mobilitätsstrukturen ab. So kann die Verkehrswende nicht gelingen, denn unter solchen Bedingungen wird niemand auf sein Auto verzichten.“
Neben diesen mobilitätsrelavanten Auswirkungen warnt der VSPV auch vor den gesellschaftlichen Auswirkungen, die von „unerwünscht bis tödlich“ reichen. „Der etablierte Branchenstandard bei Krankenfahrten, insbesondere bei Dialysefahrten, ist – auch ohne dass dies explizit im Beförderungsvertrag vereinbart ist – die Verbringung des Fahrgastes bis zum Behandlungsplatz einschließlich Leistungen wie ein ggfs. erforderliches Wiegen vor und nach der Behandlung, u. U. auch mit und ohne Rollstuhl“, zählt der VSPV die Rundum-Leistungen der Taxi- und Mietwagenbranche auf.
Es stehe nicht zu vermuten, dass ehrenamtliche Fahrdienste mit Beförderungsentgelt, die durch den Vorstoß des Bundesrates begünstigt werden sollen, dies überhaupt und vor allem auch in der geforderten Qualität erbringen. „Das Ergebnis wird sein, dass diese Tätigkeiten wieder durch das Kranken- und Pflegepersonal erbracht werden müssen – was die jüngsten Bemühungen, gerade diesen Personenkreis zu entlasten, völlig konterkariert.“
Auch in punkto Zuverlässigkeit würde man bei ehrenamtlich agierendem Fahrpersonal wohl Abstriche machen müssen. Dialysetermine seien derart eng getaktet, dass selbst geringe Verspätungen enorme Auswirkungen haben, von den lebensbedrohlichen Folgen eines wegen ausgefallener Fahrten verpassten Dialysetermins ganz zu schweigen. „Es fehlt bei Ehrenamtlichen an Zugriffsmöglichkeiten des Anbieters, die ein Unternehmer, der für die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit mit seinem Vermögen einsteht, gegenüber seinen Arbeitnehmern hat. Es fehlt an einer arbeitnehmergleichen Verpflichtung, die Arbeitsleistung zu erbringen, überhaupt zu erscheinen, sich ggfs. krankzumelden usw.“
Last but not least fehle auch den Ehrenamtlichen selbst eine umfassende Absicherung, da ihnen zahlreiche Schutzfunktionen des Arbeitsschutzrechts versagt bleiben. Aus all diesen Gründen ist Sascha Waltemate der Vorstoß aus dem Bundesrat völlig unverständlich. „In den hippen Landeshauptstädten ist man offenkundig sehr weit von der Lebensrealität in weiten Teilen der Flächenländer entfernt, wenn eine derartige Entschließung im Bundesrat nicht nur ohne Gegenstimme bleibt, sondern diese massive Gefährdung des Bestands des Taxi- und Mietwagengewerbes im ländlichen Raum nicht einmal in der Debatte aufgegriffen wird“, moniert der neue VSPV-Geschäftsführer. Und sein im Oktober scheidender Kollege Jörg Beer mahnt eindringlich: „Wenn man den Unternehmen die Einnahmequellen wegnimmt, wird es den Mobilitätsbaustein Taxi auf dem Land zukünftig nicht mehr geben.“ jh
Diese Gespenster der Deregulierung tauchen im Laufe der Zeit immer wieder auf.
Vor Jahrzehnten gab es schon den Versuch durch die sogenannten Minicar ( Fahrzeug war meist der Renault R4) ähnlich Uber das Taxigewerbe zu kannibalisieren. Ähnlich war das Vorgehen der ehrenamtlichen Hilfsdienste wie Johanniter, Malteser oder Rotem Kreuz und anderen Organisationen, die meist mit Zivildienstleistenden Schüler-und Behindertenfahrdienste im freigestellten Verkehr durchzuführen versuchten.
Diese Wiedergängererscheinungen tauchen offenbar immer dann auf, wenn das öffentliche Gedächtnis für die bereits gemachten Erfahrungen zu kurz ist.
Auch hier heisst es zwingend:
WEHRET DEN ANFÄNGEN.
Es war alles schon mal da!
Die Geisel ist Dequalifizierung, unzureichende Ausbildung zu Gunsten vermeintlicher wirtschaftlicher Vorteile.
Aber: Vorteile für wen?