In den USA droht eine neue Eskalationsstufe der Disruption: Der Fahrdienst Empower ignoriert in Washington D.C. jegliche gesetzliche Vorgaben. Die Stadt reagiert mit Millionenstrafen, der Anbieter kontert mit arrangierten Demos und baut über soziale Medien massiv Druck auf.
Ein vor fünf Jahren gegründeter Fahrdienst, der örtlich bisher auf eine einzige Stadt beschränkt ist, die US-Hauptstadt Washington D.C., hat sich zumindest dort zur ernsthaften Konkurrenz für Uber und Lyft entwickelt. Das Startup heißt Empower (englisch für ermächtigen) und führt laut New York Times bereits 100.000 Personenbeförderungen wöchentlich in Washington D. C. durch – ein Marktanteil von immerhin zehn Prozent, mehr als das Taxigewerbe dort noch hat.
Am 19. September 2024 versammelte sich eine kleine Gruppe von 40 Fahrern und Unterstützern des neuen Fahrdienstes vor dem DC-Ratsgebäude am Freedom Plaza, einer Freifläche unweit des Weißen Hauses. Ziel des Protests war die Ernennung von Jonathan Rogers zum Direktor des Department of For-Hire Vehicles (DFHV) der Stadt, einer Behörde, die eine nicht allzu strenge Aufsicht über Mietwagenunternehmen ausübt. Demonstranten hielten Schilder mit der Aufschrift „Unterstützen Sie Fahrer, löschen Sie Uber, laden Sie Empower herunter“ und „DFHV verdient 191.000 US-Dollar pro Jahr – kein Wunder, dass ihnen erschwingliche Fahrten egal sind.“
Der Fahrdienst Empower erschien Anfang 2020 im District of Columbia (D.C.), so die dort übliche Bezeichnung der US-Hauptstadt Washington, am Markt. Seitdem hat der DFHV das Unternehmen wiederholt wegen illegaler Geschäftstätigkeit angeprangert. Als Interimsdirektor des DFHV hat Rogers diese Haltung beibehalten. Im Dezember 2023 erließ der DFHV eine Unterlassungserklärung, in der er die Fahrgäste daran erinnerte, dass Empower „nicht beim DFHV registriert und nicht berechtigt ist, als Mitfahranbieter im Bezirk aufzutreten.“ Der DFHV begann mit der Beschlagnahme von Fahrzeugen und verhängte gegen Empower wegen illegalen Betriebs Geldstrafen, die sich bis jetzt auf über 100 Millionen US-Dollar summiert haben. Der DFHV riet der Öffentlichkeit außerdem von der Nutzung von Empower ab und verwies auf mögliche „negative Folgen für die Passagiere“ – das typische Reden um den heißen Brei in dem Land, in dem konkrete Vorwürfe allzu häufig Millionenklagen nach sich ziehen.
Dann verklagte die Generalstaatsanwaltschaft der Stadt den Fahrdienst wegen „öffentlicher Schädigung“ einschließlich eines Angriffs eines Fahrers auf einen Fahrgast. Der Stadtrat schloss sich an und kündigte eine Untersuchung der „unerlaubten Operationen“ von Empower an.
Diese Versuche, Empower einzudämmen, haben laut dem linken Magazin „Jacobin“ zu einer Eskalation geführt, die der Pattsituation zwischen dem DC und Uber vor gut zehn Jahren ähnelt. Empower präsentiert sich als günstigere, fahrerfreundlichere Alternative zu Uber und wirft der Stadt vor, das Monopol des älteren Unternehmens auf Mitfahrdienste zu schützen. In Wirklichkeit aber habe Empower die Weltanschauung von Uber übernommen und das Drehbuch von Uber umgesetzt und treibe das Modell der Gig Economy auf eine neue Spitze. „Empower ist die logische und gefährliche Schlussfolgerung aus den Siegen von Uber im DC und auf der ganzen Welt“, so das Magazin.
Im DC müssen sich alle Fahrdienstanbieter bei der Stadt registrieren lassen, damit der DFHV eine Reihe von Mindestvorschriften für die öffentliche Sicherheit und den Verbraucherschutz gewährleisten kann. Die Aufgaben des DFHV bestehen unter anderem in der Sicherstellung des Versicherungsschutzes für Fahrgäste, Hintergrundüberprüfungen von Fahrern, Durchsetzung von Regeln gegen Rassendiskriminierung, Überwachung der Steuerzahlungen auf Fahrten und der Erhebung von Daten über die Fahrten. Mit Hilfe der städtischen Beamten wird sichergestellt, „dass Unternehmen auch barrierefreie Apps für Menschen mit Behinderungen bereitstellen“ und dass Unternehmen „den gesamten Bezirk bedienen“.
Empower hat sich geweigert, sich bei der Aufsichtsbehörde zu registrieren. Geschäftsführer Josh Sear hat dem DFHV wiederholt mitgeteilt, dass seine Fahrer ordnungsgemäß überprüft werden. Das neuartige Geschäftsmodell werde falsch verstanden. Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten Uber und Lyft funktioniere das Geschäftsmodell von Empower so, dass das Unternehmen den Fahrern nicht alle möglichen Provisionen und sonstiges vom Fahrpreis abziehe. Alles gehe an die Fahrer. Stattdessen nutzt Empower ein Abonnementmodell, bei dem Fahrer eine variable monatliche Gebühr (zwischen 50 und 450 US-Dollar) für den Zugriff auf die Plattform und eine weitere Gebühr für den Zugriff auf ihre Gehaltsschecks zahlen.
Empower behauptet, man sei nicht verpflichtet, sich beim DFHV zu registrieren, da das Geschäftsmodell nicht „die Art von vertraglichem Arbeitsverhältnis“ beinhalte, bei dem man überhaupt von einem richtigen Vertragsverhältnis zwischen dem Fahrdienst und „seinen Abonnenten“ sprechen könne. Gerichte in Washington D.C. haben diese Behauptung jedoch zurückgewiesen und entschieden, dass Empower tatsächlich „ein privates Fahrzeugvermietungsunternehmen ist, das den Vorschriften des DFHV unterliegt“.
Angesichts dieser Niederlage versucht Empower nun, eine Schlüsselstrategie der frühen Silicon-Valley-Disruptoren (also Uber und Lyft) anzuwenden, um wenigstens Imagepunkte zu sammeln. Die „Notwendigkeit“, Druck auf die Regulierungsbehörden auszuüben, führte zu einer – wenn auch begrenzten – Social-Media-Kampagne und dem eingangs erwähnten Protest auf dem Freedom Plaza.
Empower-Geschäftsführer Josh Sear machte sich über die Stadtregierung lustig und warf dem D.C. vor, er fürchte, „dass eine strenge demokratische Kontrolle ein Hindernis für seine Agenda darstellen würde“. Obwohl die Stadt Bußgelder in Höhe von Hunderten Millionen Dollar verhängt hatte, behauptete Sear in einer Pressemitteilung, sein Angebot, 90 Dollar für die Aktualisierung der Zoom-Lizenz des Distrikts zu zahlen, sei nicht angenommen worden. Die Konfrontationstaktiken von Empower gegen die Stadtregierung wurden fortgesetzt. Ihr Beharren darauf, dass Empower sich registrieren lassen und sich an die Gesetze halten muss, wurde als arbeitnehmerfeindliche Haltung dargestellt.
Solche Anschuldigungen zeigen nach Ansicht von Forschern, mit welcher Selbstverständlichkeit die absurd anmutenden Narrative der Gig Economy verfochten werden. Viele Empower-Fahrer haben erklärt, dass sie auf die Plattform gekommen seien, nachdem sie zu Unrecht und willkürlich von Uber oder Lyft suspendiert worden seien; Fälle von unfairer „Deaktivierung“, wie grundlose Fahrersperren beschönigend genannt werden, kommen tatsächlich häufig vor. Folglich machen Autofahrer die Stadt dafür verantwortlich, dass sie ihnen mit der Regulierung von Empower Arbeitsmöglichkeiten wegnehme.
Bei vielen Einwohnern von Washington D.C. rufen diese Ereignisse ein Déjà-vu-Gefühl hervor. Ein ähnlicher Prozess spielte sich ab, als Uber vor über zehn Jahren in den Markt der Stadt eintrat. 2012 scheiterte ein angeblicher demokratischer Aufschwung zur Unterstützung des innovativen und disruptiven Modells von Uber an der „Agenda“ des sogenannten „Big Taxi“ und „Big Gouvernment“. Durch den Sieg von Uber über den DC Council im Jahr 2012 wurden seine Aktivitäten in der Stadt völlig zu seinen eigenen Bedingungen legalisiert. Man könnte also berechtigterweise fragen, wie es der Washington Examiner getan hat: „Wen kümmert es, wenn das billigere Empower in DC nicht reguliert ist?“ Uber und Lyft haben das gleiche getan.“ Hier scheint sich die Geschichte zu wiederholen.
Auch der Markteintritt des 2009 gegründeten Fahrdienstes Uber lief illegal ab. Der Vorgänger des DFHV, die DC Taxicab Commission, reagierte auf Uber ähnlich, wie es heute der DFHV mit Empower tun muss: mit der wenig wirksamen Durchsetzung von Vorschriften. Fahrzeuge wurden beschlagnahmt und Geldstrafen verhängt. Im Jahr 2012 nahm der DC Council das illegale Vorgehen von Uber direkt ins Visier und versuchte, Mindestbeförderungsentgelte festzulegen, die die örtliche Taxibranche vor Preisunterschreitungen schützen würden, sowie die Anforderung, dass Uber 10 Prozent seiner Flotte für Rollstuhlfahrer zugänglich machen muss.
Ubers Reaktion auf diese frühen Regulierungsversuche war verheerend erfolgreich. In den 24 Stunden vor der Abstimmung des DC Council über den Gesetzesvorschlag stiftete Uber seine Kunden und „Fahrpartner“ dazu an, den DC Council mit 50.000 E-Mails und 37.000 Tweets zu überschwemmen, die sich gegen die kommunale Regulierung aussprachen. Die Kunden von Uber überhäuften den DC Council mit Stellungnahmen, in denen sie den Zustand der – tatsächlich sehr unbeliebten – Taxis anprangerten, die oft veraltet und unzuverlässig seien. Viele warfen dem Taxigewerbe Rassismus vor, da es sich regelmäßig weigere, dunkelhäutige Personen zu befördern oder in bestimmte Viertel zu fahren.
Die größte Tragödie beim Markteintritt von Uber sehen Forscher nicht in der Tätigkeit an sich, sondern darin, dass Uber sich als Lösung für eine Reihe gesellschaftlicher Probleme aufspielte, die die Stadt versäumt hatte anzugehen: Uber konnte behaupten, man biete eine Lösung für die Rassenungleichheit in der Stadt, indem man sowohl farbige Menschen beschäftigte als auch die ärmsten Viertel der Stadt bediente. Uber tauchte oft auf, wenn Taxis vorbeifuhren und das Metrorail-System von Washington DC kurz vor dem Zusammenbruch stand. Technologieunternehmen wie Uber versprachen, Daten zu nutzen, um sofortige und unpolitische Lösungen für tief verwurzelte städtische Probleme zu schaffen, während die Stadtverwaltung träge und ineffizient wirkte. Uber versprach eine strahlende neue Zukunft und die Stadt könnte sich in ihrem spiegelnden Glanz sonnen.
Wozu Ubers Geschäftsmodell, das nur mit Rechtsverstößen funktioniert, aber in Wahrheit geführt hat, sieht man seit einigen Jahren: Ausbeutung von Fahrern, vollere Straßen und eine Verdrängung des Taxigewerbes. In Außenbereichen vieler amerikanischer Städte können Fahrgäste sich gar nicht mehr abholen lassen, weil Fahrten von Uber-Fahrern abgelehnt werden, es aber zugleich keine Taxis mehr gibt. Dass die gleichen Probleme sich in Europa zusammenbrauen, wollen neoliberale Gig-Economy-Begeisterte noch immer nicht sehen.
Mit seiner Reaktion auf die anfänglichen Regulierungsversuche durch den Staat wurde Uber zum Vorreiter der „Clicktivism“-Strategie (Aktivismus durch eine Vielzahl von Klicks), denn die digitale Schmutzkampagne hatte Erfolg: Mindestpreis- und Zugänglichkeitsforderungen wurden vom Gesetzgeber verworfen. So entstand eine Art Drehbuch, das andere Heuschreckenunternehmen heute im Umgang mit „widerspenstigen“ Regulierungsbehörden auf der ganzen Welt anwenden, wie die Autoren des „Jacobin“-Artikels feststellen. Heute wende Empower dieses Drehbuch allerdings gegen Uber selbst an: Empower versuche, Uber in seinem frühkapitalistischen Gebaren zu übertrumpfen. ar
Beitragsbild: Washington D.C.; Symbolfoto: Pixabay (dougison)
Tja, zu solchen Auswüchsen führt halt Kapitalismus. Es wird nicht besser werden….