Die rot-rot-grüne Landesregierung beginnt auf den letzten Drücker ihrer Legislaturperiode, einen Punkt aus der Koalitionsvereinbarung umzusetzen – in der ersten Phase aber nur Umbau light.
„Das Umfeld des Humboldtforums wird verkehrsberuhigt und der Straßenraum bis zum Brandenburger Tor fußgängerfreundlich umgestaltet. Dabei wird der motorisierte Individualverkehr unterbunden zugunsten des Umweltverbundes.“ So heißt es in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD, Linke und Grünen von 2016 (Taxi Times Berlin berichtete). Von einer Umsetzung in die Tat ist bisher nichts zu sehen.
Berliner Zeitung und Tagesspiegel berichten nun aber von konkreten Plänen der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) zur Umgestaltung einer der bekanntesten Alleen Berlins: Die Straße Unter den Linden verläuft vom östlichen Ende des Pariser Platzes bis zur Schloßbrücke am Ufer des Spreekanals. Ihre Fahrbahnen sind auf zwei Dritteln der Länge recht marode.
Verkehrssenatorin Regine Günther stellte am Montag die Pläne für „ein eminent wichtiges Projekt“ vor, mit dem sie „Grün stärken“ und Fläche entsiegeln will. Die Straße solle ein „attraktiver Stadtraum werden, vor allem für die Zu-Fuß-Gehenden.“ Der Grad an versiegelter, also zugebauter oder asphaltierter Fläche, die das natürliche Versickern von Wasser verhindert, ist weltweit tatsächlich ein ökologisches Problem in der Stadtentwicklung.
Die vollständige Umsetzung des Vorhabens soll aber erst im Zuge einer zweiten Umbauphase spätestens 2028 erfolgen. Die erste Phase, die bereits kurz nach der Wahl (In berlin wird der Senat am 26. September parallel zur Bundestagswahl gewählt) beginnen soll, beinhaltet „nur“ eine Umgestaltung der Straße mit Veränderung der Fahrbahnaufteilung – zugunsten der Radfahrer und auf Kosten der Kfz. Die jetzige Aufteilung beinhaltet pro Fahrtrichtung je zwei Kfz-Fahrspuren à drei Meter, eine Bus-, Taxi- und Fahrradspur und eine Park- bzw. Mehrzweckspur. Die Bus-, Taxi- und Fahrradspur ist 4,20 Meter breit und ermöglicht schon jetzt das Überholen von Radfahrern durch Taxis und Busse.
Bereits im Oktober soll die bestehende Aufteilung aufgehoben werden. Für die nächsten Jahre wird es dann je Richtung nur noch eine Fahrspur für den motorisierten Individualverkehr, eine 3,25 Meter breite Bus- und Taxispur, eine ebenso breite Fahrradspur und einen Mehrzweck-Randstreifen geben, der nur als Ladezone, Abstellplatz für Fahrräder, E-Scooter, Carsharing-Autos und für Fahrzeuge von Behinderten sowie für Haltestellen der Linien- und Stadtrundfahrtbusse dienen wird.
Durch die Wegnahme je eines Fahrsteifens erwartet die SenUVK keinen zusätzlichen Stau, da die Straße laut Verkehrszählungen mit nur rund 19.000 Fahrzeugen täglich gering belastet ist. Dabei erfüllt Unter den Linden eine doppelte Bundesstraßen-Funktion: Ihr Verlauf ist Teil sowohl der B 2 als auch der B 5. Die vergleichsweise geringe Fahrzeugfrequenz ist dem innerstädtischen Verlauf der Bundesstraßen mit zahlreichen Knicks, beispielsweise im Zuge der Umfahrung des Brandenburger Tors, geschuldet.
Eine noch drastischere Änderung würde die für 2028 oder früher geplante zweite Umbauphase bedeuten. Dabei wird es im Unterschied zur ersten Phase eine Bürgerbeteiligung geben. Die Planung, für die es noch mehrere Varianten gibt, beinhaltet einen Wegfall des letzten freien Fahrstreifens je Richtung (im Beitragsbild zu sehen) zu Gunsten des Fußgängerverkehrs. Auf der Busspur, der einzig verbleibenden Kraftfahrspur, sind dann außer Bussen und Taxis ausschließlich Liefer- und Ausflugsverkehr sowie Müll-, Liefer- und Einsatzfahrzeuge erlaubt – und somit weder Privatautos noch Mietwagen. Die Fahrradspur wächst nochmals geringfügig in der Breite. Die Gehwege werden von 7 auf 10,55 Meter verbreitert und die Mittelpromenade von 17,50 auf über 20 Meter. Auch weitere Baumreihen sind vorgesehen. Die Denkmalschutzbehörde besteht auf der ausschließlichen Pflanzung von Kaiserlinden, während man sich bei der SenUVK verschiedene Lindenarten sowie eine Nussbaumart wünscht.
Was im Falle einer Umsetzung der kühnen Pläne mit den Querstraßen des Prachtboulevards geschieht, ist noch unklar. Am östlichen Ende stellt sich zudem die Frage, was mit dem Schloßplatz bzw. der Karl-Liebknecht-Straße geschehen soll, da diese drei Straßen einen Straßenzug mit nur kleinen bzw. ohne Querstraßen als Trennung bilden.
Für die größte der Querstraßen gibt es allerdings bereits Pläne: In der Friedrichstraße, die auf einem weiter südlich gelegenen Abschnitt bereits seit Monaten als Versuchsfeld für eine sehr kurzfristig und ohne Bürgerbeteiligung umgesetzte und höchst umstrittene Sperrung für den Kraftverkehr dient, sollen nach grünen Vorstellungen die Autos ebenfalls dauerhaft ausgesperrt werden.
Die Pläne, die die grüne Verkehrssenatorin erneut im Alleingang durchsetzt, werden sowohl von der größten Oppositionspartei CDU als auch vom Koalitionspartner SPD zum Teil scharf kritisiert. Der Berliner CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner bemängelt die fehlende Bürgerbeteiligung für die erste Umbauphase und hält die künftige Gestaltung für „einer Millionenmetropole nicht angemessen“. Er forderte Günther auf, die Umgestaltung zu stoppen. Max Landro von der SPD kritisierte, ohne Verkehrskonzept für die Berliner Mitte seien die Pläne „Stückwerk“. Eine Überlastung der parallel verlaufenden Leipziger Straße sei zu befürchten.
Fraglich sind zudem zwei weitere Dinge: zum einen, ob das Bundesverkehrsministerium die zweite Phase widerstandslos durchwinken wird, denn bei Bundesstraßen hat grundsätzlich der Bund das Sagen. Verkehrssenatorin Günther und ihre Planer streben daher an, bestimmte Bundesstraßenabschnitte innerhalb Berlins – am liebsten alle – zu Stadtstraßen herabstufen zu lassen, um alleine auf Landesebene entscheiden zu können. Zum anderen hat die Umgestaltung eine erhebliche Veränderung des Erscheinungsbildes zur Folge, und die Berliner Denkmalschutzbehörde ist nach den Erfahrungen seit der Wende mal über alle Maßen tolerant, mal geradezu kleinkariert streng bei jeglichen städtebaulichen Umbaumaßnahmen, gerade bei alten, historisch bedeutenden Bauten.
Die 1.275 Meter lange, schnurgerade Straße Unter den Linden ist die wahrscheinlich historisch bedeutendste Straße Berlins, hat ihre Wurzeln als mittelalterlicher Reitweg im 15. Jahrhundert und verfügt heute über zahlreiche prominente Anlieger: Hotel Adlon, Russische und ungarische Botschaft, zwei Nebengebäude des Bundestags, Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, Mercedes-Automobilforum, Staatsbibliothek, ZDF-Hauptstadtstudio, Humboldt-Universität, Bebelplatz mit Bücherverbrennungsdenkmal, Staatsoper, Deutsches Historisches Museum u.v.m.
Zudem hat die Straße seit einigen Monaten zwei von drei neuen, extravagant gestalteten U-Bahnhöfen der Verbindung zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz, die als weitere Sehenswürdigkeiten gelten. Seit deren Fertigstellung ist die Straße nach langer Durststrecke nun keine Baustelle mehr. Von den ursprünglichen Linden sind laut SenUVK nach dem U-Bahn-Bau nur noch rund 25 Prozent „gesund und zukunftsfähig“. Die Linden sollen daher mit Nussbäumen ergänzt werden, um eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel und eine höhere Aufenthaltsqualität zu erzielen. ar
Beitragsbild: Simulation der SenUVK/Eve Images