In London sind schon mehrere Menschen in einem Taxi gegen Corona geimpft worden. Das erscheint kurios und war nur möglich, weil Gesundheitssystem und Impfprogramm in Deutschland und Großbritannien sich grundlegend unterscheiden. Die ungewöhnliche Taxi-Geschichte zeigt: Wo ein Wille ist, ist oft auch ein Weg.
Was ist ein „Impftaxi“? Hört man hierzulande die neue Wortkreation, so handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein Taxi, das gerade den Auftrag hat, einen älteren Fahrgast zum Corona-Impfzentrum oder von dort nach Hause zu fahren. Das bezahlt vielerorts die öffentliche Hand. Den Anfang machte Berlin.
Das alles läuft streng geordnet nach einem organisierten System ab, das sogar ermöglicht, anhand von Listen zu überprüfen, welcher Fahrgast Taxi-Coupon-berechtigt ist und welcher nicht. Manche sehen auch eine Überbürokratisierung, wenn etwa Impfdosen eher entsorgt werden, als dass man sie Personen verabreicht, die eigentlich noch nicht an der Reihe sind, sich aber impfen lassen möchten. In Berlin-Wilmersdorf hat kürzlich ein Mann eine Einladung zum Impfen erhalten, der im Oktober 2020 gestorben ist.
Weniger bürokratisch geht es im Gesundheitswesen Großbritanniens zu. Das System basiert nicht wie bei uns auf einer Sozialversicherung, sondern auf der Wohlfahrtsstaatsidee, so dass alles – außer Zahnarzt, Augenoptiker und den meisten Medikamenten – aus Steuermitteln bezahlt wird und für Patienten kostenlos ist. Das nennt man öffentliche Daseinsvorsorge. Die meisten Ärzte, Pfleger und das technische Personal sind Angestellte beim National Health Service (NHS), einer Art Bundesbehörde, die auch Krankenhäuser betreibt. Das verursacht um 7,9 Prozent weniger Kosten pro Person als in Deutschland, wobei der Altersdurchschnitt dort auch rund fünf Jahre unter dem der Bundesrepublik liegt, und der größere Teil der medizinischen Kosten entsteht im Alter. Die Arztdichte auf der Insel ist deutlich geringer als bei uns, die Lebenserwartung aber ein Jahr höher. Es gibt keine gesetzliche, sondern nur private Krankenversicherungen für Patienten mit höheren Ansprüchen.
Da das britische Gesundheitssystem weniger Rücklagen hatte, traf die Corona-Krise das Land medizinisch härter als Deutschland. Da viel Personal wegen des Brexits abwanderte oder sich infizierte, musste der NHS viele niedrig bezahlte Hilfskräfte und Freiwillige anheuern, wobei man sich im Medizinbereich stufenweise immer höher qualifizieren kann. Geimpft wird sowohl in Arztpraxen als auch in großen Impfzentren. Der Corona-Impfstoff des Pharmakonzerns AstraZeneca wird in Großbritannien schneller verteilt als in allen andern europäischen Ländern. Das Impfprogramm erreicht aber Minderheiten und Randgruppen weniger, obwohl diese häufiger vom Virus betroffen sind, wie aus einer Spiegel-Online-Meldung hervorgeht. An staatlich finanzierte Taxifahrten zum Impfen wie in deutschen Städten und Landkreisen ist nicht zu denken.
Die Londoner Ärztin Sharon Raymond, die sich nicht damit abfinden wollte, dass ethnische Minderheiten und Randgruppen vom Impfprogramm zu wenig erreicht werden, und dass ihre eigenen Patienten sich wegen körperlicher Gebrechen zum Teil den Weg zur Praxis nicht zutrauten, machte sich Gedanken, wie man das Bewusstsein über die Pandemie in die desinteressierte und die gebrechliche Bevölkerung zum Impfen bringen könnte. Um dem ersten Problem zu begegnen, initiierte sie eine Aufklärungskampagne, mit der sie über wahre und falsche Gerüchte informierte und abgehängte Menschen schlicht zu regelmäßigen Arztbesuchen animierte. Sie gewann nicht nur etliche Medizinerkollegen zur Mitarbeit, sondern sogar Geistliche, die in bestimmten ethnischen Gruppen besonders hohes Ansehen genießen.
Dem zweiten Problem begegnete sie auf originelle und besonders altruistische Weise: Sie begann, gebrechliche Patienten mit dem Taxi abholen und in ihre Praxis bringen zu lassen. Im englischen Wort für Impfstoff, „vaccine“, wird das „cc“ wie ein deutsches X ausgesprochen, so dass die Ärztin den sich reimenden Spitznamen „Vaxi Taxi“ prägte. Aus der Spiegel-Meldung geht nicht explizit hervor, wer diese Taxifahrten finanzierte, doch hat sich dazu offenbar eine wachsende Gruppe von Medizinern zusammengefunden. Patienten, die schwach auf den Beinen waren, wurde vom Praxispersonal aus dem Taxi zur Praxis geholfen. Für die Corona-Impfung von gebrechlichen Personen in größerer Anzahl wurden Zelte aufgestellt. Als einmal eine Patientin, die kürzlich von einer schweren Krankheit genesen war und lediglich eine Corona-Impfung erhalten sollte, selbst zum längeren Schlangestehen zu schwach war, kam der Arzt mit der Spritze kurzerhand in das geräumige London-Taxi und impfte die betagte Dame zu ihrer Begeisterung dort. Es blieb nicht der einzige Fall.
Damit war der Name „Vaxi Taxi“ im wörtlichen Sinne wahr geworden. Sharon Raymond sagt, seit ihrer Erfindung des „Vaxi Taxi“ hätten sich etliche Senioren impfen lassen, die den eigenverantwortlichen Weg zur Arztpraxis gescheut hätten. Über diesen Erfolg ist die Ärztin sehr erfreut.
Wie in der Spiegel-Online-Meldung abschließend erzählt wird, ist das Impftaxi inzwischen auch außerhalb der Stadt unterwegs. Die freiwilligen Helfer informieren und versorgen jetzt auch Obdachlose am Stadtrand. ar
Das Beitragsbild ist eine Fotomontage einer Innenansicht eins London-Taxis (Foto: Axel Rühle) und eines frei verfügbaren Bildes einer Krankenschwester vom Online-Portal Pixabay (Foto: Tumiso).