Der Bundesverkehrsminister will für die kostspielige Verbesserung des ÖPNV-Angebots eine stärkere Beteiligung der Länder. Gutachter sehen Einsparmöglichkeiten unter anderem durch Taxi- und Mietwageneinbindung.
Über die Finanzierung des steigenden ÖPNV-Niveaus herrscht Streit in der deutschen Politik. Seit die Ampelkoalition sich auf eine deutliche Verbesserung des ÖPNV-Angebots für alle verständigt hat, um möglichst vielen Bewohnern eine Alternative zum Auto zu bieten, herrscht Uneinigkeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen bzw. Landkreisen. Schon das sogenannte 49-Euro-Ticket, mit dem seit dem 1. Mai bundesweit die meisten Nahverkehrsmittel genutzt werden können, steht auf wackeligen finanziellen Füßen, scheint derzeit aber bis Ende übernächsten Jahres gesichert. Die Kosten wollen Bund und Länder je zur Hälfte tragen. Aus dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) kommen in den Jahren 2023, 2024 und 2025 jeweils 1,5 Milliarden Euro. Die Länder wollen ebenso viel aufbringen. Auch Mehrkosten, so sie entstehen sollten, werden zumindest dieses Jahr hälftig geteilt. Schon für nächstes Jahr wird aber über die Aufteilung möglicher Mehrkosten gestritten.
Gegenwärtig verhandeln Bund, Länder und Kommunen über einen „Ausbau- und Modernisierungspakt“ für den ÖPNV. Zum Finanzbedarf bis 2031 ließ das BMDV kürzlich eine Studie erarbeiten. Das wenig überraschende Ergebnis: Mittel- und langfristig sind zusätzliche Milliarden notwendig.
Verkehrsminister Dr. Volker Wissing will, dass die Länder „jetzt zunächst bei den Verkehrsverbünden und den Vertriebskosten sparen“. Eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes lehnt er ab: „Der Bund hat viel Geld für das Deutschlandticket in die Hand genommen und wir haben auch die Regionalisierungsmittel erhöht.“ Verkehrsminister der Länder kritisierten Wissings Aussagen.
Der FDP-Politiker strebt nun eine Verständigung mit den Ländern darüber an, was diese tun, um das Angebot zu verbessern. Er möchte nicht „permanente Diskussionen“ führen, die Menschen verunsichern und vom Umstieg abhalten. „Dafür braucht es auch das nötige Commitment der Länder, der kommunalen Spitzenverbände und der Verkehrsunternehmen. Der nächste Schritt müssen weitere Reformen sein, auch um mehr Kosteneffizienz zu erreichen.“
Obwohl das ÖPNV-Angebot Sache der Länder ist, wolle Wissing helfen. „Von Bundesseite kann ich heute sagen: Bis 2031 werden wir allein über 110 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel für den ÖPNV zur Verfügung stellen“, so Wissing. Dies sei mehr als die Hälfte des prognostizierten Finanzbedarfs. „In den kommenden Wochen und Monaten gilt es nun zu klären, wie sich Länder und Kommunen an der Ausweitung des Angebots beteiligen und wir dabei auch mal unkonventionelle Vorschläge prüfen“, sagte Wissing.
Auch den Finanzbedarf einer ergänzenden „Mobilitätsgarantie“ in Deutschland hat das Beratungsunternehmen Ramboll in besagter Studie untersucht, um die Daseinsvorsorge des ÖPNV zu stärken. Dabei wurde als Voraussetzung angenommen, jedem Bürger stehe unabhängig vom Wohnort montags bis freitags im Stundentakt von 6 bis 21 Uhr, samstags und sonntags im 2-Stundentakt ein ÖPNV-Anschluss zur Verfügung. „Fahrplanlücken“ und weiße Flecken im Bahnnetz müssten durch Taktbusse und Rufbusse gefüllt werden. Rufbusse würden dann bedarfsgesteuert im fahrplanfreien Flächenbetrieb verkehren. Dafür seien Kosten in Höhe von 718 Millionen Euro im Jahr zu erwarten.
Interessant für das Taxi- und Mietwagengewerbe: Die Kosten ließen sich laut Gutachten absenken, wenn eine solche Mobilitätsgarantie mit „institutionellen Reformen“ einher ginge. Neben einer „Flexibilisierung der Schulanfangszeiten“ wird auch die Verzahnung der bis dato „abgeschotteten Bedarfsverkehrssysteme“ mit der Taxi- und Mietwagenbranche vorgeschlagen.
Studienleiter Thomas Petersen erläuterte: „Der größte Druck bezogen auf Personal-, Fahrzeug und Kapitaleinsatz wird während der Spitzenlasten erzeugt. Gerade im ländlichen Raum ist das eine extreme Herausforderung für Verkehrsunternehmen, weil sie zum Schulstart am Morgen sehr viele Schüler befördern müssen.“ Die Fahrzeuge inklusive Fahrer seien dann den restlichen Tag nicht in gleichem Maße ausgelastet. „Durch eine Flexibilisierung des Unterrichtbeginns könnte zumindest diese Situation entzerrt und die Kosten auf kommunaler Seite gesenkt werden.“
Patrick Meinhardt, Bundesgeschäftsführer des Taxi- und Mietwagenverbands Deutschland e. V. (TMV), sieht den Streit zwischen Bund und Ländern mit großem Missfallen: Sein Verband sehe derzeit nicht den politischen Gestaltungswillen, eine wirkliche Dynamik beim ÖPNV bundesweit zu erreichen. Laut Zahlen aus der Studie wäre für das Deutschland-Ticket im Jahre 2031 ein Zuschuss zwischen 20,7 und 31 Milliarden Euro notwendig. Zudem gebe es für das Deutschlandticket „auch nur eine Finanzierungssicherheit bis 2025 und bei möglichen Mehrkosten nur für dieses Jahr.“
Meinhardt will von seinem Parteifreund Wissing mehr Geld für den ÖPNV einschließlich Taxi: Es brauche eine massive Finanzierungsoffensive und eine deutliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel vor allem zur Herstellung von mehr Mobilitätsgerechtigkeit im ländlichen Raum. „Das Deutschlandticket bringt in all denjenigen Regionen nichts, in denen fast keine Busse fahren. Nur ein Deutschlandticket plus ÖPNV-Taxi ist der verkehrspolitisch richtige Lösungsansatz.“ Gebe es keine verbindliche Klärung in den offenen Finanzierungsfragen, möglichst im Zuge der vorbereitenden Konferenz der Verkehrs- und Straßenbauabteilungsleiter in der kommenden Woche und der Verkehrsministerkonferenz am 11. und 12. Oktober, bleibe der Ausbau- und Modernisierungspakt für den ÖPNV, der im Koalitionsvertrag steht, ein reiner Papiertiger.
Die gegenseitigen Vorwürfe von Bund und Ländern bezeichnet Meinhardt als „vollkommen daneben“. Neben der notwendigen finanziellen Absicherung des Deutschlandtickets müsse insbesondere die Zukunft des ländlichen Raumes zu einem Schwerpunkt gemacht werden. „Wir brauchen eine deutschlandweite ÖPNV-Allianz mit den Taxi- und Mietwagenverbänden zusammen“, so Meinhardt.
ÖPNV wird in der Regel von Ländern und Kommunen bei den beförderungspflichtigen Anbietern bestellt. Der Bund steuert Regionalisierungsmittel bei. Während der Personenfernverkehr eigenwirtschaftlich funktioniert, also abgesehen von der Infrastruktur aus Fahrpreiseinnahmen finanziert wird, muss der Nahverkehr bis auf Taxi und Mietwagen überwiegend von der öffentlichen Hand bezahlt werden, da Fahrgeld nur einen geringen Teil der Kosten für den Linienverkehr deckt. In ländlichen Regionen ist ein akzeptables ÖPNV-Angebot eine besonders große Herausforderung, da eine geringe Bevölkerungsdichte besonders schwache Fahrpreiseinnahmen bedeutet. Das daraus resultierende dünne Linienangebot ist wiederum so unattraktiv, dass Konsumenten den privaten Pkw bevorzugen. Das zu ändern ist ein Milliardenprojekt. ar
Beitragsfoto: Axel Rühle