Es war zum Verzweifeln. Frank saß am Bahnhof von Zenica fest – ohne Geld, ohne Papiere und sein Auto war auch weg.
Hätte er sich bloß nicht auf dieses Abenteuer eingelassen, Elvir mit dem Taxi nach Sarajevo zu fahren, um eine Hochzeit zu verhindern. Bei einem Halt in Zenica hatte er sich seine Brieftasche klauen lassen, während Elvir sich mit seinem Taxi aus dem Staub gemacht hatte. Was jetzt? Er musste sich irgendwie nach Sarajevo durchschlagen. Da würde es schon eine Botschaft geben, die ihm weiterhelfen konnte. Und Polizei. Irgendwo dort müsste auch sein Taxi mit dem treulosen Elvir zu finden sein.
Auch wenn Frank keine Ahnung hatte, wie er das alles wieder zusammenbringen sollte. Für den Bus hatte er kein Geld. Also lief er los. Nach etwa fünfzehn Minuten erreichte er eine Tankstelle. Frank hatte seit seiner Jugend nicht mehr getrampt. Es half nichts. Nur so würde er weiter kommen.
Er stellte sich an die Ausfahrt der Tankstelle und hielt den Daumen hoch. Schon nach wenigen Minuten hielt ein verrosteter Kleintransporter. Endlich hatte er etwas Glück!
„Sarajevo, please!“, sagte Frank und sah sich einem unerschöpflichen Wortschwall jener unverständlichen Sprache ausgesetzt, die er schon kannte. Dabei blickte er in das freundliche, leicht verschmitzte, runde Gesicht eines alten Mannes, der neben allerlei Kram eine Schar lebender Hühner transportierte.
Aus dem Wortgewitter konnte Frank nur zwei Worte herausfiltern: „Visoko“ und „dobro“ und nachdem er sich zu erinnern glaubte, dass „dobro“ schlicht „gut“ bedeutet, beschloss er einzusteigen. Auf einem der Straßenschilder erkannte Frank das Wort „Visoko“ wieder. Nun gut, so hätte er zumindest die Hälfte der Strecke von Zenica nach Sarajevo geschafft. Von dort würde er weiter sehen.
Und so fand sich Frank an einer Kreuzung abseits der Landstraße wieder. Dort stand ein großes Schild: „Fondacija archeolski Park: Bosanska Piramida Sunca“ Was sollte das bedeuten? Pyramiden? Hier in Bosnien? Frank war bisher der Meinung gewesen, Pyramiden gehörten nach Ägypten, allenfalls noch nach Südamerika. Aber auf dem Balkan? Vielleicht fand er ja dort jemanden, der ihn nach Sarajevo mitnehmen würde.
Er folgte dem Wegweiser, erklomm eine steile Straße und erreichte eine Ansammlung von Holzbuden, an denen es Souvenirs und Getränke gab. Die angesprochenen Verkäufer deuteten auf einen Pfad, der sich den Berg hinaufschlängelte. So wanderte Frank weiter. Und hatte das Gefühl, plötzlich eine andere Welt zu betreten: eine mit Steinblöcken gepflasterte Straße, freigelegte Quader und Stufen. Was zum Teufel war das?
Langsam dämmerte es ihm: der ganze Hügel ist eine Pyramide! Da kam Frank eine kleine Gruppe Menschen entgegen. Sie wurden von „Indiana Jones“ angeführt, der mal hierhin, mal dorthin deutete und den anderen Anweisungen gab. Frank folgte der Gruppe Richtung Parkplatz. Dort verteilten sich die Leute auf verschiedene Fahrzeuge und waren gerade dabei, sich zu verabschieden.
Frank nahm sich ein Herz und versuchte sein Glück auf Englisch: „Hello. Is somebody going to Sarajevo and can take me there? It would help me a lot.”
Der Mann im Indiana-Jones-Design drehte sich zu ihm um. „Yes, me!“ Dann bot er ihm einen Platz auf dem Beifahrersitz seines schwarzen Toyota an.
Wenige Minuten später ging es los. Sein hilfreicher Fahrer stellte sich als Sam Osmanagic, Entdecker der bosnischen Pyramiden vor. Sind da wirklich Pyramiden, wollte Frank von ihm wissen? Sam lächelte viel wissend. Er habe doch selbst die gepflasterte Straße und die Steinstufen gesehen. Da ist also etwas. Und das ist von Menschenhand errichtet. Sechs Pyramiden hätte er um Visoko herum schon ausfindig gemacht. Und sie seien erst am Anfang der Ausgrabungen.
Frank wollte wissen, wie Sam Osmanagic ausgerechnet auf Pyramiden kam. Sam lenkte den Toyota auf den Pannenstreifen, zeigte auf einen Berg und erklärte, dies sei die bosnische Pyramide der Sonne. Älter und größer als die Pyramiden von Gizeh! Frank folgte dem Finger und war erstaunt, als er auf einen Berg in perfekter Pyramidenform blickte. Sollte da tatsächlich etwas dran sein? Das wäre eine Sensation.
Die Fahrt ging weiter und Frank hatte Gelegenheit, seine Geschichte zu erzählen. Osmanagic hörte ihm aufmerksam zu. „I have an idea.“, sagte er schließlich.
Er fuhr Frank zu einer Pension in der Altstadt und gab ihm einen zwanzig Euro-Schein. Hier könne er für nur zehn Euro übernachten. Der Rest müsste reichen für ein Abendessen und ein Frühstück. „That’s all I can do for you. Don’t pay me back. Just tell the people in Germany about my pyramides, okay?“
Sie verabschieden sich mit festem Händedruck. Frank blickte dem Abenteurer noch eine Zeit lang nach und fasste neuen Mut.