Als zum 1. Januar der Mindestlohn eingeführt wurde, wurde gleichzeitig eine wissenschaftliche Überprüfung seiner Auswirkungen festgelegt („Evaluierung“). Diese liegt nun vor und führt bei einem Punkt das Taxigewerbe sogar als „Spitzenreiter“ auf, was durchaus zu hinterfragen ist.
Zu seiner Einführung am Jahresbeginn 2015 war der Mindestlohn der Aufreger schlechthin. Viele Betroffene erwarteten katastrophale Auswirkungen – nicht nur für die Taxibranche. Knapp sechs Jahre nach dem Mindestlohnstart hat nur das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) Ende Dezember 2020 einen 150 Seiten starken „Gesamtbericht zur Evaluation des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns nach § 23 Mindestlohngesetz“ veröffentlicht, welcher versucht, die bisher feststellbaren Auswirkungen aus den verschiedensten Blickwinkels zu beleuchten.
Um es vorweg zu nehmen, im Fazit stellt der Bericht fest, dass sich das Instrument Mindestlohn bewährt habe, da tatsächlich höhere Stundenlöhne im Niedriglohnsektor gezahlt wurden, ohne dass sich dies auf die Beschäftigungszahlen ausgewirkt habe. Auswirkungen seien allerdings zum einen durch Arbeitszeitverkürzungen und zum anderen durch Preiserhöhungen festzustellen gewesen. In der Folge habe der Mindestlohn nicht unbedingt auch positive Auswirkungen auf das Monats- bzw. Haushaltseinkommen der betroffenen Beschäftigten. Darüber hinaus lasse sich aber auch nicht feststellen, dass die Einführung des Mindestlohns auch höher dotierte Beschäftigungen mit einem „Spillover-Effekt“ betroffen habe, im Klartext hat der Mindestlohn also keine Lohninflation ausgelöst.
Zusätzlich beobachtet der Bericht diverse Umgehungspraktiken, deren Ausmaß sich allerdings nicht valide quantifizieren lasse, da die Zollbehörden dies nicht lückenlos prüfen können. An dieser Stelle macht es dann aus Branchensicht natürlich Sinn, noch einmal genauer nachzuschauen, was die Berichterstatter denn im Detail so erarbeitet haben.
Auch hier das Fazit wieder vorweg: Der Bericht erhebt nur wenige Details zu diesen Umgehungspraktiken, nennt allerdings eine unkorrekte Ausführung der Arbeitszeiterfassung als gängigste Praxis. Ein möglicher Zusammenhang zwischen der festgestellten Gesamtarbeitszeitverkürzung und dieser Praktiken wird zwar optional in den Raum gestellt, kann aber nicht wirklich belegt werden. Trotzdem stellt der Bericht klar, dass dies eine Option ist, denn es gäbe bisher keine eindeutigen Ergebnisse, ob die festgestellte Arbeitszeitanpassung die tatsächliche Arbeitszeit überhaupt beträfe.
Branchenspezifisch interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht immerhin eine Grafik, die zeigt, dass nur ca. sieben bis acht Prozent der Taxler soloselbständig sind und somit über 90 Prozent der Fahrerinnen und Fahrer als Aushilfen oder in Teil- oder Vollzeit angestellt sind. Immerhin wird hier aber weder für die Taxibranche noch andere Wirtschaftszweige festgestellt, dass der Mindestlohn zu Entlassungen und folgenden möglichen Scheinselbständigkeiten geführt hat.
Der Bericht versucht hier, potentielle Dynamiken zwischen Soloselbständigkeiten, geringfügigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen infolge der Mindestlohneinführung zu finden, scheitert aber auch hier größtenteils im Nebel der erhobenen Zahlen.
Bezüglich der Prüfungswahrscheinlichkeit stellt der Bericht im Übrigen fest, dass die FKS (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) des Zolls im Jahr 2019 insgesamt 7.000 Verfahren auf Basis von Mindestlohnverstößen eingeleitet habe. Wenn man hier davon ausgeht, dass ein Mindestlohnverfahren selten allein kommt, haben die Rentenversicherungsträger wahrscheinlich eine ähnlich Quote, wobei für diese leider nicht die Anzahl der Verfahren, sondern nur die Anzahl der Betriebe pro Jahr nennt (1.200 Betriebe), in denen Verfahren eingeleitet wurden.
Im detaillierten Studium fällt einem dann eine weitere Grafik irritierend ins Auge, die belegt, dass in der Taxibranche zwar nur zwei Prozent aller Niedriglöhner in Deutschland beschäftigt, aber immerhin ca. 70% dieser Beschäftigungsverhältnisse vom Mindestlohn profitiert haben, so viele wie in keinem anderen Wirtschaftszweig!
Rang 3 wird hier mit ca. 50 Prozent von der Gastronomie und Rang 4 mit 40 Prozent von Kurier- und Paketdiensten belegt. Konservativ betrachtet wird diese „Tabellenführung“ vielleicht etwas durch Trinkgelder relativiert, die von den Beschäftigten in Taxi und Gastronomie ja zusätzlich zum Mindestlohn eingenommen werden, hier aber nicht berücksichtigt wurden. Branchenüblichen Berechnungen zufolge (zehn Prozent Trinkgeld) egalisiert allein das Trinkgeld auf diese Weise die hier errechnete Einkommensdifferenz, zumindest zum Kurier- und Paketgewerbe, denn dieses Zusatzviertel ihres Einkommens fällt für Kurierfahrer so nicht an.
Andererseits generiert Trinkgeld aber auch ganz klar keine Rente, da es eben nicht zum sozialversicherungspflichtigen Einkommen gehört. Und so lässt sich diese „Tabellenführung“ dann eben leider doch nicht so einfach relativieren. Ob nun ein unterschiedlicher Bargeldanteil bei den Einnahmen noch weitere Relativierungen zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen zulässt und wie groß die internen Schwankungen innerhalb der einzelnen Branchen ist, lässt der Bericht natürlich zwangsläufig dahin gestellt, allerdings wäre vielleicht hier eine möglich Erklärung für dise irritierende Grafik zu finden.
Wer selber stöbern will findet die 153-seitige Evaluierung hier. Die in diesem Beitrag abgebildeten Graphiken sind auf den Seiten 113 und 32.
Schlussbemerkung: Der Vollständigkeit halber sei noch auf die Tatsache hingewiesen, dass der aktuelle Forschungsbericht die Betrachtung der inzwischen schon erfolgten Mindestlohnanpassungen fehlt. Diesbezüglich müssen wir uns wohl noch weitere sechs Jahre gedulden. rw
Besonders interessant wäre zu erfahren, wie es im Bereich der Mietwagen aussieht. Dort ist ein besonders schwarzes Dunkelfeld in Hinsicht Nachweis von Arbeits-und Einsatzzeit anzunehmen.
Auf diesen Gedanken hat mich der VLD gebracht, als ich vernahm, er wünscht sich die Abschaffung der Wegstreckenzähler und damit indirekt althergebrachte Zettelwirtschaft für die Aufzeichnungspflichten.
Wie plump ist das denn!