Die Gesetzesnovelle ist durch. Die Große Koalition und Bündnis 90/Grüne hatten sich so weit geeinigt, dass eine Mehrheit gegen die drei größten Oppositionsfraktionen stand. Vor der finalen Abstimmung über die Änderung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) am vergangenen Freitag erhielten alle Fraktionen die Gelegenheit, letztmalig Stellung zu nehmen. Dabei machten mehrere Abgeordnete des Bundestags deutlich, wer künftig die größte Verantwortung für einen fairen Wettbewerb zwischen Taxi-, Mietwagen und Poolingverkehren trägt.
Der 5. März 2021 war für die Personenbeförderung in Deutschland ein Meilenstein. Dementsprechend erleichtert zeigten sich viele Redner vor der finalen Bundestagsabstimmung über die PBefG-Novelle. Die gut 70-minütige Aussprache bestand aus vier Rednern der CDU/CSU-Fraktion, drei der SPD und je zwei aller anderen Fraktionen.
Taxi Times fasst nachfolgend die wichtigstern Statements zusammen. Die vom Bundestagsfernsehen aufgezeichneten Redebeiträge wurden in diesen Beitrag jweils ungekürzt eingebettet.
Erster Redner war Alois Rainer, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion (der allerdings weder im Verkehrsausschuss sitzt noch der Findungskommission angehörte). Rainer fasste kurz die Zielsetzung, den zweijährigen Werdegang und das inhaltliche Ergebnis der Novelle zusammen, wobei er auch die Proteste des Taxigewerbes erwähnte. Der CSU-Politiker sprach von einer Gemeinschaftsleistung, die auch gelungen sei. Er dankte allen, die mitgewirkt haben, sowohl in den Bundestagsfraktionen als auch in den Ländern und Kommunen.
Dirk Spaniel, AfD-Obmann im Verkehrsausschuss, bezeichnete die Novelle als Flickschusterei, geprägt von politischer Feigheit, da wichtige Entscheidungen an die Kommunen verschoben würden. Zudem vermisse er Chancengleichheit zwischen den Anbietern, wichtige Sozialstandards bei Vermittlungsdienstleistern und sprachliche Mindestanforderungen an Fahrer. Rückkehrpflicht und ungleiche Mehrwertsteuer lehnte er ab.
Sören Bartol, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, sprach in Bezug auf das PBefG von einer Art „Grundgesetz der Personenbeförderung“ und nannte die Novelle eine notwendige Änderung, die sich sehen lassen könne. Für die Fülle an Änderungen sei die Dauer von zwei Jahren nicht hoch. Nicht nur die Digitalisierung sei Triebfeder der Mobilitätswende, auch neu entstandene, unregulierte Verkehrsangebote bedrohten etablierte Verkehrsangebote und damit einen funktionierenden Personenverkehrsmarkt. Er hob die bevorstehende Funktion der Kommunen bei der Steuerung hervor. Auch seine Fraktion vermisse Vorgaben von Sozialstandards und regte dazu die Beauftragung eines Gutachtens an.
Torsten Herbst, FDP-Obmann im Verkehrsausschuss, sieht in der Novelle alles andere als einen Aufbruch in das Digitalzeitalter. Sie sei überbürokratisiert und wettbewerbsfeindlich und unterdrücke Innovationen. Großer Verlierer seien die Verbraucher, die künftig zu wenig Auswahl hätten. Einmal mehr wiederholte Herbst, ebenso wie Dirk Spaniel, die wissenschaftlich widerlegte Behauptung, die Rückkehrpflicht verursache mehr Leerfahrten. Von einer Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer rückte er überraschend ab.
Sabine Leidig (Linke) vermisst für den ÖPNV mehr Aufmerksamkeit, bessere Angebote und mehr Geld vom Bund, und die Voraussetzungen dafür sieht sie in der Novelle nicht. Sie ordne die Daseinsvorsorge dem Markt unter. Rosinenpickerei durch Großkonzerne werde nicht verhindert, so dass die Bequemlichkeit der einen durch prekäre Arbeitsbedingungen der anderen ermöglicht werde.
Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher und Obmann im Verkehrsausschuss für Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete den erzielten „tragfähigen Kompromiss“ als „wichtig für die gesamte Branche und die Fahrgäste“. Auch der Protest der Fahrerinnen und Fahrer habe das bewirkt. Das Taxigewerbe werde mit dem gefundenen Kompromiss bestehen. Die Städte und Kommunen rief Gelbhaar auf, von ihrem neuen Spielraum und der Verantwortung intensiv Gebrauch zu machen.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sprach von einer schwierigen Debatte, einem klassischen Kompromiss und einem Durchbruch. Er freute sich über die erzielte Einigkeit auch mit den Grünen. Man schaffe jetzt einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen, wo jeder Platz habe. Der FDP warf er vor, großes Verständnis für die Taxi-Proteste gezeigt zu haben, im Bundestag aber ganz anders argumentiert zu haben.
Wolfgang Wiehle (AfD), Mitglied im Verkehrsausschuss, kritisierte, die prinzipiell wichtige Regulierung von Anbietern wie Uber führe aufgrund der Verantwortlichkeit der Kommunen zu einem noch weniger überschaubaren Flickenteppich, da es überall andere Regeln geben werde. Bewährte Angebote wie das Taxi müssen erhalten bleiben. Fahrern müsse man ausreichende Deutschkenntnisse abverlangen. Das Taxigewerbe dürfe nicht durch ruinösen Wettbewerb aus dem Markt gedrängt werden. Rückkehrpflicht und Vorbestellfrist bezeichnete er aber im Widerspruch dazu als kundenfeindlichen Anachronismus. Zum Umgang mit Daten erläuterte er einen Änderungsantrag seiner Fraktion.
Detlef Müller, Berichterstatter bei der PBefG-Novelle für die SPD, der seine Positionen am Vortag im Taxi-Times-Exklusiv-Interview dargelegt hatte, bezeichnete den ÖPNV als Rückgrat des Personenverkehrs, den neue Mobilitätsformen nur ergänzen können. Er zählte eine Reihe von Nachbesserungen auf, die er und andere am Entwurf durchgesetzt hatten, und wies etliche Kritikpunkte als unberechtigt zurück.
Oliver Luksic, Sprecher der FDP-Fraktion im Verkehrsausschuss, bezeichnete ähnlich wie sein Parteifreund Herbst die Novelle als Innovationsbremse statt Fortschrittsbeschleuniger. Auch er leugnete wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswirkungen der Rückkehrpflicht. Er prophezeite neuen Abstimmungsbedarf innerhalb von Monaten.
Thomas Lutze, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linken, würdigte die von Müller angesprochenen Korrekturen, forderte die Koalition jedoch ironisch auf, konsequenterweise gleich das ganze Taxigewerbe abzuschaffen. Das Taxigewerbe als integralem ÖPNV-Bestandteil einer Konkurrenz ohne Regularien auszusetzen, sei unzumutbar. Er warnte leidenschaftlich vor einer Entwicklung wie in den USA, wo er selbst Städte mit zerstörtem ÖPNV erlebt habe.
Cem Özdemir (Bündnis 90/Grüne), Vorsitzender des Verkehrsausschusses, dankte vielen Gruppen und Einzelpersonen für deren Mitwirkung am erzielten Kompromiss. Lutze entgegnete er, er habe mit dem BVTM gesprochen und viel Dank aus dem Taxigewerbe erhalten. Lutze entgegnete per Zwischenmeldung, er habe mit denselben Leuten aus dem Taxigewerbe gesprochen, und dieses könne den Grünen allenfalls dankbar dafür sein, das Schlimmste abgewendet und aus einem „völlig unterirdischen“ Gesetzentwurf einen „nicht mehr ganz so unterirdischen“ gemacht zu haben.
Michael Donth (CDU) bedankte sich wie seine Vorredner für die sehr konstruktiven Debatten, die zu einem guten Kompromiss geführt haben, weshalb ihm ein Stein vom Herzen falle. Nun müsse man beginnen, die Mobilitätsdatenverordnung auszuarbeiten. Er mahnte eine konsequente Ahndung von – besonders in Berlin zu sehenden – Rechtsverstößen an, was durch die neue Kontrollierbarkeit erleichtert werde. Die Kommunen ermunterte er, ihren neuen Gestaltungsspielraum zu nutzen.
Kirsten Lühmann, scheidende SPD-Abgeordnete und Obfrau im Verkehrsausschuss sowie Mitglied im Unterausschuss Kommunales, wies auf die großen Unterschiede der Verkehrsangebote in Großstadt und Dorf hin. Die Verkehrswende brauche einen attraktiveren ÖPNV, wofür das neue Gesetz die Weichen stellen würde. Noch konkreter als ihre Vorredner rief sie Städte, Kommunen und Kreistage auf, von Regelungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen.
Ulrich Lange (CSU) bemerkte als letzter Redner, nach einer Stunde sei nun alles gesagt über ein „hervorragendes Gesetz“, und dankte seinerseits allen, die daran mitgewirkt hatten. Die Kritik der FDP wies er zurück: Mit „reinem Markt“ sei kein guter ÖPNV zu machen.
Anschließend wurde kurz über einen Änderungsantrag der FDP abgestimmt, der bei Enthaltung der AfD durch die Mehrheit aus den vier anderen Fraktionen abgelehnt wurde.
Dann endlich wurde – ebenso kurz und formal – über den Gesetzesentwurf zur PBefG-Novelle abgestimmt. Erwartungsgemäß stimmten CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Grüne für den Antrag und AfD, FDP und Linke dagegen, womit der Gesetzesentwurf angenommen war.
Weitere Änderungs- und Entschließungsanträge der AfD, der FDP und der Linken wurden ebenfalls kurz und knapp abgelehnt, bevor direkt und quasi im selben Atemzug die nächste Debatte begann.
Fazit: Ein Kompromiss, zu dem jede beteiligte Fraktion einen mindestens ebenso guten Beitrag geleistet hat wie die anderen, und den jede nicht beteiligte Fraktion möglicherweise mindestens ebenso gut hinbekommen hätte, kann nicht völlig unausgewogen sein. ar
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