Der belgische Taxiverband fordert seit Längerem die Einbindung des Gewerbes in öffentliche Verkehrsangebote. Nun steht eine kleine Revolution bevor.
Im Zeitalter nachhaltigen Denkens für den Klimaschutz werden überall Forderungen laut, bestehende Fahrzeugflotten für Personenverkehr einzusetzen, statt immer neue zu schaffen. Für den deutschen Bundesverband Taxi und Mietwagen hatte erst gestern Geschäftsführer Michael Oppermann anlässlich des ÖPNV-Sondergipfels der deutschen Verkehrsminister „mehr Flexibilität und Effizienz bei der Einrichtung neuer Mobilitätsangebote – gerade auch für den ländlichen Raum” gefordert. Das Taxi stehe als Partner von Bus und Bahn bereit. „On-Demand-Verkehr muss mit dem Taxi nicht erst neu erfunden werden.“
Ähnliche Töne sind bei Kollegen überall in Europa zu hören – besonders in Brüssel: „Warum dauert es hier in Belgien so lange, bis das Taxi im öffentlichen Verkehr eingesetzt wird? Im europäischen Vergleich hinken wir hoffnungslos hinterher.” Diese Frage hat kürzlich Pierre Steenberghen, Geschäftsführer des belgischen Taxiverbandes GTL, in einem Interview mit unseren Kollegen vom niederländisch-belgischen Fachmagazin „Personenvervoer” in den Raum gestellt. „Ich bin jetzt seit fünfzehn Jahren in der Taxibranche tätig und habe mich vom ersten Tag an für die Nutzung des Taxis im öffentlichen Verkehr eingesetzt. Ich sehe oft in den Niederlanden Beispiele, wie das Taxigewerbe dort im ÖPNV operiert.”
Entsprechend hat sich das belgische Taxigewerbe mehrmals beim flämischen ÖPNV-Unternehmen De Lijn („Die Linie”), bis vor kurzem ‘Mobilitätsmanager’ von Flandern, gemeldet. „Um flexibler, bedarfsgerechter und effizienter zu arbeiten, ist ein Mentalitätswandel dringend erforderlich,” pflichtet Steenberghen seinem deutschen Amtskollegen Oppermann bei. „Aber das wird hier in Belgien bislang von allen Seiten verhindert. Ich weiß nicht, warum.”
Eine gute Nachricht für das Taxigewerbe ist, dass 2023 eine gravierende Änderung im flämischen öffentlichen Verkehr bevorsteht: Das ÖPNV-Unternehmen De Lijn zieht sich aus der Fläche zurück und eine neue Mobilitätsaufgabe beginnt, wobei das Taxi eine größere Rolle auf dem Land spielen soll. Das gilt als kleine Revolution, „aber die Signale sind noch nicht alle auf grün,” sagt Steenberghen.
Ebenfalls positiv ist, dass das belgische Taxigewerbe nach jahrelanger Lobbyarbeit nun auch in der sonderpädagogischen Schülerbeförderung eingesetzt wird. Etwa 5.500 der 40.000 Kinder in 318 Schulen verbrachten bis vor kurzem täglich drei Stunden im Bus für Hin- und Rückfahrt. Die Medien deckten diese leidige Gechichte auf, woraufhin die flämische Verkehrsministerin umgehend 11 Millionen Euro zur Verfügung stellte, um die „Mobilitätsnot” zu lindern. Dabei band sie auch das Taxigewerbe ein. Das ÖPNV- Unternehmen De Lijn koordinierte und plante die Fahrten zwar, aber der Taxiverband fand innerhalb weniger Tage Taxi-Kontraktpartner in ganz Flandern.
„Die Schulkinder werden jetzt überall per Bus, Reisebus, Taxi und Minibus befördert. Wir sind als Branche mit diese Lösung sehr zufrieden“, sagt Steenberghen. „Kleinbusse und Taxis nehmen diese Aufgabe flexibler, kostengünstiger und effizienter wahr”, so der Verbandsgeschäftsführer. „Wir versuchen schon seit geraumer Zeit, die Dinge hier in Bewegung zu bringen. Ich weiß auch nicht, warum man nicht schon früher auf kleinere Fahrzeuge und flexiblere Lösungen umgestiegen ist. Es hat weder mit dem finanziellen Aspekt zu tun noch mit den Ansprüchen der Schüler. Es hätte schon vor langer Zeit passieren sollen. Darauf haben wir jedenfalls lange gewartet.“
Die Mobilitätsrevolution in der Fläche, die Schaffung der „Basiserreichbarkeit”, soll 2023 eintreten. Bus und Zug bilden dabei den überregionalen Rahmen, ÖPNV und sogenannte FlexTaxis für Ältere und Mobilitätsbehinderte und für diejenigen, die keine Möglichkeit haben, sich selber zu den zentralen Mobilitätsknoten zu begeben, bedienen die Kunden in der Fläche. Für die Koordinationszentrale für ganz Flandern wurde das amerikanisch-israelische Ridepooling-Unternehmen Via Transportation, Inc. gewählt, das weltweit Beförderungsdienste organisiert, unter anderem in Berlin den „Berlkönig”.
In dem riesigen belgischen Experiment läuft die Planung allerdings nicht ganz perfekt: „Es geht alles in die richtige Richtung”, so Steenberghen. „Aber es sieht so aus, als würde alles auf den Endspurt zusteuern. Jede Verzögerung ist eine zu viel für mich.“ Obwohl die flämische Regierung die Umsetzung für 2023 anpeilt, „versuchen einige Leute, es noch weiter hinauszuschieben”, seufzt Steenberghen. Aber 2024 finden Parlamentswahlen in Belgien statt. Das Gewerbe hofft, dass die Schülerbeförderung und die neue Mobilität auf dem Land sowohl für das Taxigewerbe als auch für den ÖPNV bis dahin als Herausforderung angenommen werden. wf
Beitragsfoto: Wim Faber