Die Berliner Grünen haben Ideen zur Zukunft des Verkehrs diskutiert: mehr ÖPNV-Anreiz wie „Mobilitäts-Ticket“, größeres „Rufbus“-Gebiet, mehr „Kiezblocks“ und „Parklets“, weniger Parkplätze, mehr Grün, weg vom Verbrenner
Eine neue Idee zur Beförderung der Verkehrswende, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, die die Berliner Grünen mittelfristig umsetzen wollen, ist die Einführung eines „Multi-Mobilitäts-Tickets“. Zusätzlich zu den im bisherigen Monatsabo enthaltenen Angeboten wie Bus und Bahn soll es auch die Nutzung des Taxis sowie von Sharing-Angeboten, etwa von Leihautos und Zweirädern, enthalten. Werner Graf, der während der Koalitionsverhandlungen letztes Jahr auch als Verkehrssenator im Gespräch war und gemeinsam mit Silke Gebel der Fraktion vorsitzt, brachte in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ vor einem Monat das Motto „Eine Reise, ein Preis, in einer Flat“ ins Spiel. Er möchte, „dass wir das bis zum Ende der Legislaturperiode hinbekommen“. Nähere Angaben, etwa in welchem Umfang jeder Monatskarten-Besitzer Taxifahrten gesponsert bekommt, sind noch nicht gemacht worden. Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) wird von derselben Zeitung zitiert: „Wir brauchen Tarife, die den Umstieg erleichtern und wo die Angebote an der Jelbi-Station schon mit drin sind. Da werden wir den Fokus drauf legen.“
Verkehrsexperten warnen indes davor, die Verkehrsteilnehmer in öffentliche Verkehrsmittel zu drängen, die für den entsprechenden Zuwachs gar nicht ausgelegt sind. Auch der Grünen-Abgeordnete Stefan Ziller meint, es sei „schon wenig“, was man bisher bei der Verkehrswende erreicht habe. „Wir haben in Berlin bislang kein Konzept, wie man die Rushhour hinkriegt“, zitiert ihn der „Tagesspiegel“. Die Fahrzeuge von BVG und S-Bahn hätten zu wenig Kapazitäten. Auch der Ausbau des Radwegenetzes, der häufig zu Lasten des Kraftverkehrs geschieht, geht einigen zu schnell zu weit, weshalb etwa die CDU ihn auf Bezirksebene zum Teil bremst.
Bereits dieses Jahr soll das geplante Rufbus-System in Teilen von Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick starten – ohne Einbeziehung der Taxiflotte. Nach neuesten Ideen der Grünen soll das Bediengebiet doppelt bis dreimal so groß werden wie bisher geplant. Dafür sollen im Doppelhaushalt 2022/23, über den bereits verhandelt wird, noch schnell die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden.
An vielen Stellen in Berlin sind die Auswirkungen grüner Verkehrspolitik zu sehen: breitere und Tag und Nacht geltende Busspuren, mehr und breitere Fahrradspuren, weniger Fahrspuren und Parkplätze für Autos, explodierende Parkgebühren, Planung und Bau weiterer Straßenbahnstrecken. Dieser Umbau zu Gunsten umweltfreundlicherer Verkehrsarten wird zum Teil begrüßt, zum Teil wird kritisiert, er schieße über das Ziel hinaus, wenn etwa direkt neben Radwegen dennoch zwei Meter breite Fahrradspuren markiert werden, wo bis dato Platz für parkende Fahrzeuge bestand.
Grundsätzlich fordert die grüne Abgeordnetenhausfraktion zudem, von fossilen Energien wegzukommen, und das lässt sich unter anderem durch weniger privaten Pkw-Verkehr erreichen. Um auch mehr positive Anreize vom Umstieg vom Privat-Pkw auf Fahrrad, Bus und Bahn zu schaffen, wollen die Berliner Grünen nicht nur das Monatskarten-Abo im ÖPNV attraktiver machen, etwa durch kostenlose Fahrradmitnahme, erweiterte Personenmitnahme oder Ausweitung auf das Umland an Wochenenden ohne Aufpreis.
Des weiteren will die Grünen-Fraktion weiter in größerer Anzahl Parkplätze beseitigen. Alleine im Bezirk Mitte sollen in den nächsten fünf Jahren 20.000 der 80.000 Parkplätze beseitigt werden. Einen kleinen Teil der Parkplätze wollen die Grünen durch „Parklets“ ersetzen. Das sind hölzerne Sitzgruppen auf der Fahrbahn. Zur Idee dahinter zitiert der „Tagesspiegel“ Verkehrssenatorin Bettina Jarasch: „Wo vorher der Platz von einem Auto blockiert wurde, können sich nun Anwohnende an grünen Oasen erfreuen und dort verweilen.“ Da die Verweilqualität direkt an den Fahrspuren von stark frequentierten Straßen wie etwa der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg allerdings gering ist, werden die Sitzmöbel häufig nicht zum Sitzen genutzt, sondern liegen brach oder werden zum Müllentsorgen missbraucht. Anders ist es nach Beobachtungen des „Tagesspiegel“ am Petersburger Platz in Friedrichshain, wo anstelle der viel befahrenen Petersburger Straße, die zunächst vorgesehen war, eine ruhige Seitenstraße ausgewählt wurde, so dass die Straßenmöbel gut angenommen werden, wenngleich sie bei Autofahrern, gerade in Gebieten mit Parkplatzknappheit, naturgemäß selten Begeisterung hervorrufen.
Zudem sollen weitere Häuserblockgruppen zu „Kiezblocks“ beruhigt werden. Das heißt, dass durch Poller und Diagonalsperren die Durchfahrt verhindert wird, so dass hauptsächlich noch Anwohner die Seitenstraßen nutzen. Ein Beispiel ist der Friedrichshainer „Samariter-Kiez“ zwischen Frankfurter Allee, Proskauer Straße, Eldenaer Straße und Ringbahntrasse, wo die Maßnahmen zu einem deutlich geringeren Lärmpegel geführt haben. Graf will dabei die grünen Verkehrsstadträte in den Bezirken – acht an der Zahl – besser unterstützen. So sollen die Maßnahmen zur Not auch bei Gegenwind durchgesetzt werden, wie derzeit in Alt-Treptow, wo kürzlich mit rot-grün-roter Mehrheit der nächste Kiezblock im „Karl-Kunger-Kiez“ in Alt-Treptow beschlossen worden ist – gegen die Stimmen von CDU, FDP und AfD, denen unter anderem die Kosten für den Bezirk zu hoch erscheinen, und obwohl laut „Tagesspiegel“ bei einer von der Linken beauftragten Umfrage eine Mehrheit der Anwohner sich „gegen den Wegfall von Parkplätzen und für den Weiterbau der A 100 ausgesprochen“ hatte.
Auch der für Kfz gesperrte Abschnitt der Friedrichstraße wird entgegen Protesten nicht wieder geöffnet – im Gegenteil: Auch die Fahrräder sollen hier zugunsten einer reinen Fußgängerzone verschwinden. Rad- und Autofahrer müssen sich dann unter anderem die Charlottenstraße teilen.
Einen Teil der grünen Pläne bezeichnet der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Stephan Machulik, als „Luftschlösser“. In einem Gespräch mit der „Berliner Zeitung“ verwies er auf den gemeinsamen Koalitionsvertrag, in dem keines dieser Ziele genannt werde. ar
Beitragsbild: Fotocollage Axel Rühle