In rund zwei Wochen gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von zwölf Euro. Dies und die hohe Inflation bringt die coronagebeutelten Taxiunternehmen in eine ernste Existenzkrise – auch weil dringend notwendige Tarifanpassungen entweder von der Eichdirektion oder von zu langsam agierenden Behörden hinausgezögert werden. In Baden-Württemberg wurden der Regierungspräsident und der Landesverkehrsminister jetzt zum dringenden Handeln aufgefordert.
Der Gaggenauer Taxiunternehmer Dirk Holl hat in seiner Funktion als Vorsitzender des Taxi-Verband Deutschland Brandbriefe sowohl an Klaus Tappser als auch an Winfried Hermann geschickt. Tappser ist der Präsident des Regierungspräsidiums Tübingen und somit auch für die dortige Eichdirektion zuständig. Holl macht jene Eichdirektion für die monatelangen Verzögerungen bei der Umsetzung bereits beschlossener Anpassungen des Taxitarifs mitverantwortlich.
Seitens vieler Behörden bekomme Holl die Auskunft, dass „allein die Eichdirektion in Tübingen an dem zeitlichen Verzug schuld sei und aktuell die Bearbeitung eines neuen Tarifs bis zu vier Monate dauern kann.“ Die Eichdirektion ist für die Überprüfung der Taxitarife in 35 Land- und neun Stadtkreisen zuständig.
Für den Gaggenauer Taxiunternehmer ist diese Verfahrensdauer nicht nachvollziehbar. „Davon ausgehend, dass ein sehr langsam arbeitender Sachbearbeiter ungefähr einen halben Tag pro Tarifgebiet benötigt, wäre dieser wahrscheinlich nach 22 Werktagen mit der Überprüfung der eingereichten Taxitarife fertig“, rechnet er vor und fordert daher als Konsequenz den Regierungspräsidenten auf, „eine disziplinarische Untersuchung gegenüber allen beteiligten Personen in Ihrem Mess- und Eichwesen einzuleiten und personelle Konsequenzen zu ziehen.“
Um die Verzögerungen sofort zu stoppen, schlägt Holl zudem vor, „unverzüglich sämtliche beantragten Taxitarife vorläufig und auf Widerruf, ohne weitere Prüfung freizugeben, damit die Taxiunternehmerinnen und Taxiunternehmer noch rechtzeitig bis zum 1. Oktober 2022 ihre Fahrpreisanzeiger programmieren können.“
Die Taxitarife könnten dann im Nachgang vom Fachbereich Mess- und Eichwesen überprüft und genehmigt werden, ebenso im Nachgang könnten auch die Taxis geeicht werden. „Nur so ist es möglich, weiteren Schaden von dem Baden-Württembergischen Taxigewerbe femzuhalten“.
Die Problematik der zu langsamen Eichdirektion führt Dirk Holl auch in einem zeitgleichen Schreiben an den Landesverkehrsminister Winfried Hermann auf. Dort allerdings bemängelt er auch das „Chaos“, das derzeit in den meisten der 35 Land- und neun Stadtkreisen in Baden-Württemberg herrsche. Holl berichtet unter anderem von einer vergessenen Anhörung im Ortenaukreis, von einer fehlenden Unterschrift des zuständigen Bürgermeisters in Baden-Baden und von der Weigerung des Schwarzwald-Baar-Kreises, den Taxitarif anzupassen. All diese behördlichen Versäumnisse würden letztendlich dazu führen, dass vielerorts die Tariferhöhungen erst im November, manche sogar erst im Januar in Kraft treten würden.
In Verbindung mit dem neuen gesetzlichen Mindestlohn und der inflationären Kostenentwicklung (wozu auch das Eichamt mit einer Verdoppelung der Gebührensätze für die Konformitätserklärung beiträgt) würden diese Verzögerungen laut Holl letztlich dazu führen, „dass die letzten ehrlich arbeitenden Taxiunternehmer den neuen Mindestlohn nicht bezahlen können und somit vom Markt verschwinden.“ Übrig würden dann nur die Marktbegleiter bleiben, „die schon in der Vergangenheit Steuern und Sozialabgaben verkürzt haben und für die der Mindestlohn nicht von Bedeutung ist.“
Im Hinblick auf die Parteizugehörigkeit des Grünen Verkehrsministers fügt Holl dann noch an, dass damit auch die innovativen Untemehmer verschwinden würden, „die schon heute ihren Fuhrpark auf Nachhaltigkeit ausrichten und auf emissionsfreie Mobilität setzen.“
Als langfristige Konsequenz regt der Gaggenauer Unternehmer an, Tarifverordnungen nicht mehr wie bisher als Aufgabe an die unteren Verkehrsbehörden zu übertragen, sondern stattdessen einen einheitlichen Taxitarif für Baden-Württemberg in Betracht zu ziehen, „der einmalig richtig kalkuliert und jährlich überprüft und ggf. angepasst wird.“ jh
Hinweis der Redaktion: In vielen anderen Regionen ist man mit der Umsetzung der Taxitarifanpassungen schon viel weiter als in Baden-Württemberg. Das zeigt unser Überblick über alle Tarifveränderungen.
Beitrags-Symbolfoto: Remmer Witte
„Marktbegleiter“ – schönes Wort. Werde ich in meinen aktiven Sprachgebrauch übernehmen.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Taxler,
zu dem Artikel „Taxitarif: Nadelöhr Eichdirektion und Behördenversäumnisse“ möchte ich hier ein paar Dinge klarstellen. Der Behauptung, dass das EBBW, also die Eichbehörde Baden-Württemberg die alleinige Verantwortung für die Verzögerung der Tarifanpassungen hat, muss eindeutig widersprochen werden. Herr Holl hat leider nicht richtig recherchiert, sonst hätte er sehr schnell die eigentlichen Probleme erkannt. Ich verdeutliche diese an einem Beispiel: ein neuer Tarif muss vor der Prüfung durch die Eichbehörde vom Taxameter Hersteller zuerst programmiert werden. Somit hat jeder Taxameter, zum Teil jeder Taxameter Typ, ein eigenes Programm. Hinzu kommen noch extra Programme für einen Großraumtarif. Schnell sind 10 – 12 Programme pro Taxentarif zu prüfen. Bei dem Ansatz des Herrn Holl von 4 Stunden einer Programmprüfung ist dies in der Summe eine Woche je Tarifgebiet. Das entscheidende Problem ist aber ein anderes. Hier möchte ich die aktuelle Tarifanpassung im Tarifgebiet Stuttgart/Esslingen zum 01.10.2022 anführen. Der Eichbehörde liegen bis heute (8 Tage vor Inkrafttreten des neuen Tarifes) von 22 benötigten Programmen nur 13 vor.
Was nicht vorhanden ist, kann nicht geprüft werden. Dem ist nichts hinzuzufügen.
T. Geiger