Als vor zwei Wochen in München der Vergewaltigungsprozess gegen einen Personenbeförderer begann, schrieben alle Medien – auch Taxi Times – fälschlicherweise von einem Taxifahrer. Mittlerweile ist klar, dass die Tat in einem Mietwagen begangen wurde, der über die App „Free Now“ bestellt worden war. Doch wie konnte es zu der falschen Begrifflichkeit kommen? Wir haben nachgeforscht.
Der Prozess war öffentlich und zugehört haben auch Redakteure diverser Tageszeitungen sowie ein Journalist der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Sie bekommen im Gerichtssaal immer wieder die Begriffe Taxi und Taxifahrer zu hören, also verwenden sie diese Begriffe auch in der anschließenden Berichterstattung. Die Ursache liegt in der Anklageschrift, wie die Pressestelle des Landgerichts München I gegenüber Taxi Times bestätigte: „Die Anklageschrift erwähnt, dass die Geschädigte ‚über die App FreeNow ein Taxi’ bestellt habe. Nach dem Anklagesachverhalt hat sich die Tat auch im PKW zugetragen, der an mehreren Stellen als ‚Taxi’ bezeichnet wird.“
Das Wort Taxi in der Anklageschrift ist objektiv falsch, da die Vergewaltigung, um die es in dem Prozess geht, nicht im Taxi (§ 47 PBefG), sondern in einem Mietwagen (§ 49 PBefG) begangen wurde. Ein Taxi spielt in der Sache keine Rolle – eigentlich, denn dadurch, dass in der Anklageschrift dieser juristisch falsche Begriff verwendet worden war, kam eine enorme Rufschädigung des Taxigewerbes in Gang: Der juristisch falsche Begriff fand – von keinem der beteiligten Juristen beanstandet – Eingang in die Gerichtsverhandlung, und plötzlich wurde öffentlich davon gesprochen, dass der Angeklagte Taxifahrer sei. Diese Falschaussage übernahm denn auch die Deutsche Presse-Agentur GmbH (dpa), die größte Nachrichtenagentur Deutschlands, der laut Wikipedia „praktisch alle deutschen Rundfunkanstalten und Tageszeitungen mit Vollredaktion angeschlossen“ sind. Da dpa-Meldungen als seriös und gründlich recherchiert gelten, ist es in vielen Redaktionen Usus, diese ohne redaktionelle Weiterbearbeitung zu veröffentlichen.
Die Medien berichteten über das Thema und schrieben, es sei ein Taxifahrer, der angeklagt ist, seinen Fahrgast, eine junge, betrunkene Frau, die auf der Rückbank eingeschlafen war, auf einem verlassenen Supermarktparkplatz vergewaltigt zu haben. Allen voran hatte die „Bild“-Zeitung eine Sensation: Unter der Überschrift „Taxifahrer soll Kundin vergewaltigt haben“ heißt es unter anderem: „… und bestellte um 10 Uhr morgens über die App „Free Now“ ein Taxi – mit Sercan S. als Fahrer.“ Auch Die Zeit, inFranken, Ingolstadt-Today, idowa, die Münchner Abendzeitung, Merkur tz, Radio Mainwelle und vermutlich weitere Medien schrieben von einem Taxifahrer statt von einem Mietwagenfahrer. Manche von Ihnen berichteten als Zuhörer der Gerichtsverhandlung, andere hatten die dpa-Meldung übernommen.
Einer, der es aufgrund von Zweifeln genauer wissen wollte und nachforschte, war Thomas Kroker, Vorstand der Taxi München eG und Vorsitzender des Landesverbandes Bayerischer Taxi- und Mietwagenunternehmen e. V. Er versuchte, die Taxibestellung, die der Gewalttat zugrunde lag, im System seiner Funkzentrale zu finden – vergeblich. Auch beim IsarFunk lag keine entsprechende Bestellung vor. Auf Nachfrage bei der Polizei wurde Kroker bestätigt, dass das Auto, in dem die Tat sich abgespielt hatte, kein Taxi war, sondern ein schwarzer Opel – ein Mietwagen im Dienste des Fahrdienstanbieters Free Now.
Kroker intervenierte also unter anderem bei der „Bild“-Zeitung. Auch Taxi Times erhielt umgehend Rückmeldung von Kroker und korrigierte die Angaben in der betreffenden Onlinemeldung. Von da an recherchierten Kroker und Taxi Times in enger Absprache parallel nach dem Ursprung der falschen Begrifflichkeit. Parallel machte Kroker auch die Redaktion der dpa auf den Fehler aufmerksam. Daraufhin informierte die dpa sämtliche angeschlossenen Medien über den Fehler und veröffentlichte eine Berichtigung: „In einer früheren Version des Artikels war von einem ‚Taxi’ die Rede. Die Begriffe Taxi und Taxifahrer wurden aus der Berichterstattung gestrichen. Die Begriffe fielen in der Anklageschrift, allerdings erklärte die Staatsanwaltschaft später, dass es sich nicht um ein Taxi im klassischen Sinn gehandelt habe.“
Dieser Satz wurde immerhin von den Nachrichtenportalen „Zeit“ und „Radio Mainwelle“ übernommen, die in der eigentlichen Originalmeldung denn auch die Begriffe Taxi und Taxifahrer herausgenommen haben. Sie schreiben nun von einem „Fahrer“, einem „Auto“ und einem „Online-Fahrdienstvermittler“. Das Wort Mietwagen verwenden sie nach wie vor nicht.
Der Prozess gegen den mutmaßlichen Vergewaltiger läuft noch, als weitere Verhandlungstage sind der 30.06.2023, 05.07.2023, 11.07.2023 und 12.07.2023 angesetzt. Hier wäre es nun geboten, dass bei diesen Sitzungen die Begriffe Taxi und Taxifahrer aus dem mündlichen Sprachgebrauch während der Verhandlung verschwinden. Taxi Times hat sowohl bei der zuständigen Staatsanwaltschaft I als auch bei der Presstelle des Gerichts angefragt, ob man sich dazu veransasst sieht. Eine Antwort steht bis dato noch aus. Spätetens am 30.6., beim nächsten Verhandlungstag, wird sich zeigen, ob die Intervention des Taxigewerbes erfolgreich war. Es wäre das Mindeste, was man dem Taxigewerbe schuldig wäre. ar
Anmerkung der Redaktion: Aus Sicht der Frau, um die es in dem Gerichtsverfahren vor dem Münchner Landgericht geht, ist die Diskussion darum, ob es ein Taxifahrer oder ein Mietwagenfahrer war, sicherlich unbedeutend angesichts dessen, was sie laut Anklageschrift erleiden musste. Doch das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, und es soll nichts relativiert werden. Auch, wenn es ungleich größeres Unrecht gibt, muss ein in seiner Existenz bedrohtes Gewerbe sich gegen eine – gewollte oder fahrlässige – Rufschädigung zur Wehr setzen.
Beitragsbild: Symbolfoto Axel Rühle