In der Schadenregulierung von Haftplicht- oder Kaskoschäden versuchen viele Kfz-Versicherer regelmäßig, ihre Zahlungsverpflichtungen zu minimieren. Oder sie zahlen auch bei kleinsten Schäden vermeintlich horrende Summen, welche die Haftpflichtprämien der Versicherten in die Höhe treiben.
Wo dürfen Versicherungen Altschäden oder Vorschäden nutzen, um einen Vorteilsausgleich geltend zu machen und wo müssen sie das sogar?
Das Thema Vorschäden hat im hochkilometerbasierten Taxigewerbe zwei Gesichter, denn zum einen geht es um die Erstattung an das Unternehmen bei unverschuldeten Eigenschäden, zum anderen um die Regulierung für Unfallgegner bei selbstverschuldeten Fremdschäden. Im ersten Fall besteht der Wunsch, sich möglichst keine Abzüge gefallen zu lassen, welche die Instandsetzung des eigenen Fahrzeugs erschweren, im zweiten der Wunsch, keine Kosten in der eigenen Rentabilität für die Versicherung wiederzufinden, die bei der Reparatur des Fremdfahrzeugs vermeintlich unnötigerweise übernommen worden sind.
Grundsätzlich kann ein Geschädigter nach Paragraf 249 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den Betrag verlangen, der notwendig ist, um den Zustand wiederherzustellen, der ohne das schadenstiftende Ereignis bestanden hätte. Dies beinhaltet natürlich auch, dass Geschädigte mögliche Abzüge akzeptieren müssen, wenn instandzusetzende Bauteile am beschädigten Fahrzeug nicht neuwertig oder sogar vorbeschädigt waren. Geschädigte sind hier sogar verpflichtet, auf vorhandene Vorschäden hinzuweisen.
So weit, so gut, bis dahin klingt alles noch nachvollziehbar. Ist es dabei aber nicht möglich, einen Vorschaden, der ohne Teileaustausch lediglich instandgesetzt wurde, zu einem aktuellen Schaden abzugrenzen, so kann im Falle der gemeinsamen Reparatur mit dem zu regulierenden Nachschaden tatsächlich ein sogenannter Vorteilsausgleich, also ein Abzug alt für neu, erfolgen.
Und genau hier öffnen sich natürlich auch die Tore zum Streit. Wie kürzlich auch bei „Markt“, einer Sendung des NDR, dargestellt, sorgen verschiedene Haftpflichtversicherer, insbesondere die HUK-Coburg, vermehrt für große Unzufriedenheit bei den Unfallgeschädigten, weil sie die Regulierung von Unfallschäden mit der Behauptung versagen, dass das Fahrzeug bereits einen Vorschaden gehabt habe. Genau hier muss also gutachterlich sehr genau differenziert werden: Pauschale Abschläge sind hier nicht hinnehmbar, denn eine fachgerechte Reparatur des Vorschadens kann diesen Abzug durchaus auf ein erträgliches Maß reduzieren, wenn vor dem Schaden technisch und optisch kein Austausch der Teile notwendig war.
Zunächst müssen dazu die Begrifflichkeiten definiert werden. Als „Vorschäden“ werden instandgesetzte Schäden definiert, während noch vorhandene Schäden im juristischen Jargon als „Altschäden“ bezeichnet werden. Zwischen diesen Schäden muss also sauber unterschieden werden, was die Herangehensweise der Versicherer jedoch gern unterlässt – und dem Geschädigten gleichzeitig die Verpflichtung zuweist, alternativ eine ordentliche Reparatur nachzuweisen.
Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH 15.10.2019 – VI ZR 377/18) festgestellt, dass ein Geschädigter nicht gehindert ist, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen (was hier wohl der Gutachter sein darf, der den Vorschaden auch berücksichtigt hat). In einer neueren Entscheidung (Urteil vom 6.6.2023, AZ VI ZR 197/21) verfestigte der BGH die Auffassung noch einmal und entkräftet so die bisher pauschal begründeten Ablehnungsschreiben der Kfz-Versicherer.
Ein Reparaturnachweis einer Fachwerkstatt ist also nicht zwingend notwendig, zumal dies insbesondere bei gebraucht erworbenen Fahrzeugen oft auch gar nicht möglich ist. Sogar fiktive Abrechnungen von Vorschäden auf Gutachtenbasis seien akzeptabel, wenn so Funktion und Optik des beschädigten Bauteils gegeben bleiben oder wieder hergestellt wurden. Und sogar erhebliche Gebrauchsspuren, wie sie beispielsweise in Form von Kratzern am Stoßfänger eines sich in Nutzung befindlichen Fahrzeugs üblich sind, stehen einer Regulierung eines unfallbedingten Schadens an diesem Teil nicht unbedingt im Wege. In diesem Fall dürfe sich ein Geschädigter eventuell sogar über einen neuen Stoßfänger ohne Kratzer freuen, falls der Stoßfänger vor dem Schadenereignis noch keine strukturellen Beschädigungen aufwies, er muss dafür nicht einmal zwingend Abzüge hinnehmen.
In einer vielbeachteten Entscheidung urteilte das Landgericht Münster, dass eine Vorteilsanrechnung in Form des Abzugs neu für alt voraussetzt, dass es durch die Schadensbeseitigung zu einer messbaren Vermögensmehrung bei dem Geschädigten gekommen ist. Bei einer Anrechnung muss berücksichtigt werden, dass der Vorteil dem Geschädigten aufgedrängt werde, und daraus ergäben sich für ihn Milderungen (vgl. Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 01.08.2014, Az. 11 U 23/14).
Das LG Münster sah die notwendigen Voraussetzungen als nicht gegeben an und verneinte daher eine Vorteilsanrechnung bzw. einen Abzug neu für alt, denn es fehle an einer messbaren Vermögensmehrung, da es sich bei einem vorderen Stoßfänger um ein solches Fahrzeugteil handele, welches im allgemeinen die Lebensdauer des Fahrzeugs insgesamt nicht erhöht und keiner regelmäßigen Erneuerung bedürfe. Es akzeptierte nicht einmal einen Abzug „neu gegen alt“, da die Voraussetzungen für eine Vorteilsanrechnung aufgrund wiederherstellungsbedingter Wertverbesserung nicht vorlägen, da der Wert des Fahrzeugs durch die Reparatur im Hinblick auf das Alter und die Laufleistung des Unfallfahrzeugs sowie die fehlende Betroffenheit eines Verschleißteils nicht ersichtlich steige. Da es also üblich ist, einen Stoßfänger wegen einiger Kratzer nicht neu lackieren zu lassen, ist man auch nicht dazu gezwungen und darf im Schadenfall trotzdem den Ersatz durch einen neuen Stoßfänger erwarten.
Andersherum aber darf man bei einem über ein paar Kratzer hinausgehenden, auch strukturell vorbeschädigten Stoßfänger auch nicht erwarten, dass dieser im Schadenfall an demselben vollständig ersetzt wird. Dies gilt umso mehr, wenn ein solcher Altschaden zunächst nicht erwähnt und bewertet wurde. In diesem Fall können eventuell sogar die Gutachterkosten verweigert werden, entschied das Amtsgericht Pfaffenhofen (AG-Urteil vom 24.09.2021 – 1 C 7/20). Es ordnete zur Klärung ein weiteres Gutachten an, welches einen erheblichen Vorschaden erkannte, den das erste Gutachten nicht festgestellt hatte. Die Kosten des Privatgutachtens durften hier nicht eingefordert werden, denn das Gutachten müsse notwendigerweise falsch sein und sei infolgedessen ungeeignet, der Beklagten als Abrechnungs- und Prüfungsgrundlage im Hinblick auf den Sachschaden zu dienen. In diesem Fall seien die Kosten des Sachverständigen nicht zu ersetzen. Das Gericht erachtete in der Folge eine regionale Politur der oberflächlichen Schleifspuren sowie eine Justierung der leichten Fehlstellung der Stoßfängerspitze mit einer vorgegebenen Arbeitszeit von einer halben Arbeitsstunde als ausreichend. Schon durch diese vorgesehenen Arbeiten würden alle unfallkausal an diesem Bauteil entstandenen Schäden beseitigt, wogegen die Altschäden zurückblieben. Der Ersatz gegen ein Neuteil, wie von der Klägerin gefordert, sei dafür in jedem Fall nicht notwendig.
Eine solche Abwägung kann sogar dazu führen, dass der Schadenersatz auch bis auf null herabgesetzt werde, entschied das Amtsgericht Mettmann – allerdings schon 2017. Die Klage eines Geschädigten wurde vollständig abgewiesen, da selbst dann, wenn es zu einem geringen Kontakt der Fahrzeuge gekommen sei, kein wirtschaftlicher Schaden beim Kläger eingetreten sei, da das beschädigte Bauteil schon so vorgeschädigt gewesen sei, dass ein Austausch schon zuvor notwendig gewesen sei (www.iww.de / https://www.advok.de/2017/08/11/der-vorschaden-beim-verkehrsunfall/).
Es gibt also keine pauschale Regel, sondern es handelt sich vor allem um eine Frage der Schadenintensität zueinander. Sind die Altschäden tatsächlich nur Lackkratzer und wurden diese durch einen Schädiger auf Grundlage fiktiver Abrechnung (sonst wären sie ja nicht mehr da) entschädigt, hat der Geschädigte Glück. Denn jedes Schadenereignis ist für sich zu betrachten. Sind aber reale Vor- oder Altschäden vorhanden, deren Intensität den Neuschaden überwiegen, muss sich der Geschädigte Abzüge gefallen lassen, hier kann eine Regulierung im Zweifel auch vollständig verwehrt werden. Und so betrachtet wird die aktuelle Rechtsprechung dann auch wieder nachvollziehbar.
Haftpflichtversicherer sind sogar verpflichtet, unberechtigte Forderungen abzuwehren, können aber nicht pauschal Vorschäden mit haftpflichtrelevanten Schäden verrechnen. Im Streitfall muss die Intensität der einzelnen Schäden gegeneinander abgewogen werden. Allerdings ist es oft nicht ganz einfach, auch die Gerichte hier zu der entsprechend differenzierten Betrachtungswiese zu motivieren, wenn Versicherer in der einen oder anderen Richtung ihre Pflichten vernachlässigen. Trotzdem lohnt sich sowohl als Geschädigter als auch als Unfallverursacher immer ein genauer Blick auf die Schadensunterlagen, gerade weil auch hier nach wie vor der alte Spruch gültig bleibt: Vor Gericht und auf hoher See ist alles möglich … rw
Beitragsbild: Montage Remmer Witte