Ein Berliner Boulevardblatt, das eher für wohlwollende Berichterstattung über Uber als über das Taxigewerbe bekannt ist, hat in einem ungewohnt positiven Artikel über ein Erlebnis im Taxi berichtet. Darin wird erstaunlich undogmatisch mit Klischees umgegangen.
Mit Klischees ist es ja so eine Sache. Eine weit verbreitete Form der Desinteressensbekundung besteht in dem Vorschlag eines Zuhörers gegenüber einem Redner, eine als weniger interessant empfundene Thematik nicht dem Zuhörer, sondern „deinem Friseur“ zu erzählen, oder – noch perfider – „deinem Taxifahrer“, und hier liegt ein gewisses Problem: In dem Vorschlag steckt der unausgesprochene Hinweis des Zuhörers, dass dieser durchaus die Möglichkeit hat, sich gegen das Anhören der als weniger interessant empfundenen Thematik zu entscheiden, während ein Friseur, der an seinem Arbeitsplatz gewissermaßen festsitzt, dem Redner vermeintlich wehrlos ausgeliefert ist, solange der Haarschnitt noch nicht vollendet ist bzw. bis der obligatorische finale halbe Liter Duftwasser auf dem Kopf des Redners verteilt ist. (Wahrscheinlich beneiden Friseure Zahnärzte.)
Auf den ersten Blick sehr ähnlich verhält es sich im Taxi während des Zeitraums bis zum Erreichen des Fahrziels bzw. bis zur Vollendung des Kassiervorgangs, denn so lange ist der Taxifahrer dem Mitteilungsbedürfnis des Fahrgastes ausgesetzt bzw. ausgeliefert.
Da solche Situationen, ob Fahrgastplatz im Taxi oder Friseurstuhl, schon allzu oft von mitteilungsbedürftigen Kunden skrupellos ausgenutzt worden sind, haben viele Friseure und Taxifahrer den Spieß längst umgedreht und machen sich die Tatsache zunutze, dass ihr Kunde natürlich ebenso wenig die Möglichkeit hat, sich der Situation zu entziehen. Da es einem Taxifahrer noch weniger möglich ist als einem Friseur, einen Kunden zu knebeln (im Friseursalon wäre immerhin eine Umnutzung des Umhangs mit Befestigung weiter oben denkbar, was mit Anschnallgurten im Taxi gar nicht funktioniert), sind viele Taxifahrer (Friseure natürlich auch) schon lange zum Gegenangriff übergegangen und informieren ihrerseits die Kunden in erschlagenden verbalen Ausführungen über vieles, von dem nicht bekannt ist, wie viel Promille davon innerhalb deren Interessensgebietes liegen.
Gute, aufmerksame, empathische Dienstleister hingegen informieren Fahrgäste im optimalen Fall über Dinge, die sehr wohl deren Interessen betreffen, und damit kommen wir zurück auf den eingangs erwähnten Artikel in dem Berliner Boulevardblatt (wir wollen keinen Namen nennen, aber es ist die „B.Z.“). Da geht es um eine Taxifahrerin, der ein Fahrgast mit Rückenproblemen ins Auto stieg, und der zufällig Redakteur der „B.Z.“ ist. Das erste Anti-Klischee: Die Fahrerin öffnete ohne Aufforderung die Heckklappe, um den Rollator des schmerzgeplagten Mannes in den Kofferraum zu laden.
Nach der Aufforderung, sich „ganz langsam“ hinten reinzusetzen, fuhr sie los und fragte ihren Fahrgast, was er denn habe (zweites Antiklischee; sie textet ihn nicht über das Wetter zu). Da auch sie unter Rückenproblemen litt („kein Wunder bei meinem Job“) habe sie ihm dann eine ausführliche „Therapieberatung“ von Dehn- und Streckübungen über warme Füße bis zu verstärktem Atmen zuteil werden lassen.
Am Ende der Fahrt habe der Redakteur mit dem Gedanken gespielt, gleich wieder umzukehren. „Wozu brauchte ich eigentlich noch einen Mediziner? War doch ohnehin schon alles klar.“ Dass er ein Rezept für Physio-Anwendungen brauchte, habe ihn aber zur Beibehaltung seiner Orthopädiepraxisbesuchsabsicht veranlasst.
Solche Erlebnisse sind es, die beim Fahrgast haften bleiben und ihn veranlassen, positiv über das Taxigewerbe zu sprechen. Es sind die wenigen Prozent positive Erfahrungen zwischen den vielen ärgerlichen Geschichten, die ansonsten gerne über Erlebnisse mit Taxifahrern herumerzählt werden, weil jemand, der zufrieden ist und keinen Grund zur Klage hat, leider allzu oft auch keinen Grund für Lob sieht und schnell wieder vergisst, dass er sehr gut gefahren wurde.
So leitete der Redakteur seinen Artikel gar mit den Worten ein: „Die Zeit ist reif, so denke ich mal, eine Lanze für die Berliner Taxifahrer zu brechen. Es gibt nicht wenige in dieser Berufsgruppe, die befördern nicht nur von A nach B, sondern auch mit Herz.“
Gibt es eine bessere Reklame für einen viel gescholtenen Berufsstand?
Nein. Solche kleinen Dinge sind es, die einen guten Dienstleister von einem schlechten unterscheiden – oder eine Taxifahrerin, wie man sie sich nur wünschen kann, von einem vielleicht typischen Uber-Fahrer. Dass sich solches Verhalten sogar direkt auszahlen kann, verrät der Schlusssatz des B.Z.-Artikels: „Meine Taxifahrerin verabschiedete mich dann mit einem: ,Wünsche gute Besserung, junger Mann.‘ Wobei – junger Mann mit 72 Jahren … Für dieses Kompliment fiel das Trinkgeld dann auch entsprechend aus.“
Leider ist uns die Identität der Taxifahrerin nicht bekannt (falls jemand trotz der schlechten Lichtverhältnisse und der leicht unscharfen Aufnahme die Frau auf dem Foto erkennt: die ist es nicht), ansonsten würden wir ihr im Namen aller unserer Leser danken, denn sie lebt unser Motto in der Praxis: Taxi ist wertvoll. ar
Beitragsbild: Symbolfoto Axel Rühle








