Entspannt cruist man auf der Überholspur an anderen, langsameren Verkehrsteilnehmern vorbei. Plötzlich schert ein langsameres Fahrzeug direkt vor einem aus. Und just in diesem Augenblick nimmt man am Brückengeländer über der Fahrbahn eine Kamera wahr – Abstandsmessung! Ist jetzt der Lappen weg?
Nicht nur überhöhte Geschwindigkeit löst schnell mal einen Bußgeldbescheid aus, auch ein zu geringer Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug kann empfindlich hohe nach sich ziehen. Je nachdem, wie dicht man bei welcher Geschwindigkeit aufgefahren ist, kann ein Abstandsverstoß bis zu 400 Euro Bußgeld, zwei Punkte in Flensburg und zusätzlich ein dreimonatiges Fahrverbot nach sich ziehen. Da fühlen sich gerade Verkehrsprofis schnell zu Unrecht an den Pranger gestellt. Erst recht, wenn es wie oben beschrieben zugetragen hat.
Hier kommt dem Betroffenen allerdings zu Gute, dass die Auswertung der Daten nicht automatisiert vonstattengeht. Anders als bei klassischen Geschwindigkeitsmessungen genügt es nicht, aus einem einzelnen Bild einen momentan zu geringen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zugrunde zu legen, um ein Bußgeld zu verhängen. Denn wie schon erwähnt hat ein zu geringer Abstand seinen Grund oft darin, dass das vordere Fahrzeug unerwartet den Fahrstreifen wechselt und/oder verlangsamt, gerade auch dann, wenn im vorfahrenden Fahrzeug die Kamera des Messsystems entdeckt wird. Von daher muss stets die gesamte Situation über mehrere Sekunden hinweg von einem „geschulten Auge“ betrachtet werden.
Die Sichtung der Beweisvideos findet daher nicht vollautomatisch, sondern durch einen Auswerter statt. Und dieser ist in der Regel zwar hierfür geschult, dennoch kann es durch den „Faktor Mensch“ zu Ungenauigkeiten zum Nachteil eines Betroffenen kommen.
Aus diesem Grund kann im Nachhinein eine Prüfung der Daten durch einen Sachverständigen (die Kosten gehen natürlich zu Lasten des Beschuldigten) zusätzliche Details ermitteln, die vom Auswerter vielleicht nicht berücksichtigt wurden. Bei der polizeilichen Auswertung werden in der Regel nur ein oder zwei Durchschnittswerte für den Abstand und die Geschwindigkeit berechnet, während ein Sachverständiger über die Messstrecke hinweg mittels fotogrammetrischer Auswertung viele Dutzend einzelne Werte berechnen kann, um das Fahrverhalten der beteiligten Fahrzeuge erheblich detaillierter zu bestimmen. So kann ggf. nachgewiesen werden, wenn der Vordermann langsamer wurde. Dies kommt häufig vor, ist bei einer bloßen Betrachtung des Videos aber oft kaum zu sehen. Auch kann auf diese Weise ermittelt werden, ob der Betroffene selbst langsamer wurde, um den notwendigen Abstand wiederherzustellen, was dann zu seinen Gunsten gewertet wird.
Fairerweise muss an dieser Stelle noch angemerkt werden: Für eine erfolgreiche Verteidigung gegen einen solchen Bußgeldbescheid bestehen meist nur dann reale Chancen, wenn der Vorwurf tatsächlich ungerechtfertigt ist. Wurde dagegen wirklich „gedrängelt“, gibt es meist wenig Hilfe. Dann kann man sich die Zeit und die Kosten eines Einspruchs bzw. für einen weiteren Gutachter sparen. rw
Hintergrundinfo: Die Messgeräte werden meist an einer Autobahnbrücke bzw. dem Brückengeländer aufgebaut und auf die darunter liegende Fahrbahn ausgerichtet. Anhand von Markierungen, die zuvor auf der Fahrbahn angebracht wurden, kann der Abstand zweier Fahrzeuge und auch deren Geschwindigkeit berechnet werden. Damit das System funktioniert, muss es mindestens drei Meter über dem Verkehrsgeschehen angebracht sein. Außerdem benötigt es vier fixe Messpunkte plus zwei Kontrollpunkte auf der Fahrbahn. Dafür werden auf der Fahrbahn über eine bestimmte Strecke spezielle Markierungen gesetzt und anschließend vermessen. Diese Markierungen sind häufig in der Nähe von Brücken zu sehen.
Das System besteht aus zwei Kameras. Eine fertigt ein Video vom Verkehrsgeschehen an. Mithilfe des Messrasters lassen sich so mit einer speziellen Software Geschwindigkeit und Abstand der vorbeifahrenden Fahrzeuge ermitteln. Eine zweite Kamera fertigt Aufnahmen vom Gesicht des Fahrers an – diese darf auch tiefer angebracht sein als drei Meter über der Fahrbahn. Bei dieser Messung wird nicht geblitzt – es werden lediglich Videoaufnahmen angefertigt.
Wie bei der Geschwindigkeitsmessung gibt es natürlich auch bei solchen Abstandsmessungen eine Toleranz. Sie liegt bei gemessenen Geschwindigkeiten bis 100 km/h bei drei km/h, bei Geschwindigkeiten über 100 km/h bei drei Prozent. Zusätzlich wird bei dem geschilderten VKS-System noch ein Sicherheitsabschlag von 15 Prozent von dem in 0,8 Sekunden zurückgelegten Fahrweg abgezogen. Dies gilt aber nicht für alle zugelassenen Systeme.
Bußgelder sind vorgesehen, wenn von einem zugrunde gelegten Mindestabstand weniger als die Hälfte eingehalten wird. Je geringer der tatsächliche Abstand und je höher die gefahrene Geschwindigkeit waren, desto höher wird das Bußgeld, die Anzahl der Punkte und die Dauer eines möglichen Fahrverbots. Als Basis für den Mindestabstand nimmt der Bußgeldkatalog den halben Tachowert an: Bei 100 km/h soll also ein Abstand von 50 Metern eingehalten sein.
Fun-Fakt am Rande: Eigentlich gibt es in der Straßenverkehrsordnung gar keine konkrete Angabe, wie groß der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug sein sollte. Sie formuliert dazu lediglich relativ schwammig: „Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Wer vorausfährt, darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.“ Eigentlich ergibt sich also gar keine klare Anweisung, aber auch in den Fahrschulen wird als Richtwert für den Mindestabstand der halbe Tachowert als regelkonform gelehrt. rw
Beitrags-Symbolfoto: Witte