Herrschende Meinung der Rechtsprechung ist eigentlich, dass man sich nicht auf das richtige Blinken anderer Autofahrer verlassen darf. Vielmehr sind weitere Signale des Abbiegens zu beachten. Nach dieser Logik könnte man annehmen, dass es mehr oder weniger egal ist, ob jemand geblinkt hat oder nicht – ist es aber nicht.
„Aber, der hatte doch geblinkt, da dachte ich, ich könnte fahren.“ – „Vergessen Sie es, sie waren wartepflichtig, Sie haben Schuld, Punkt.“ So oder so ähnlich kennen wir eigentlich alle die regelmäßige Auflösung der Haftungsfrage, wenn es kracht, weil jemand geblinkt hat, dann aber trotzdem geradeaus weitergefahren ist.
Das Amtsgericht Homburg interpretiert die Rechtslage allerdings anders (Az. 16 C 65/ 06): In diesem Fall hatte ein Autofahrer an einer Kreuzung rechts geblinkt, war dennoch auf der Straße geradeaus weitergefahren. Eine Autofahrerin, die eigentlich hätte warten müssen, fuhr aus der Seitenstraße auf die Straßenkreuzung. Sie ging davon aus, der Autofahrer würde in die Seitenstraße einbiegen. Laut Urteil des Gerichts haftete der blinkende Autofahrer hier allein, obwohl er der eigentlich Vorfahrtberechtigte war. Begründung dafür sei, dass die Autofahrerin zwar ihre Wartepflicht besonders sorgfältig beachten müsse, allerdings gleichzeitig nicht mit groben Verkehrsverstößen des Vorfahrtberechtigten rechnen müsse.
Auch hinsichtlich des Abbiegens und des Gebrauchs des Blinkers besagt Paragraf 1 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO): „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ Entscheidend ist dann aber Abs. 2: „Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder, mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“ Diese vorangestellten Paragrafen regeln also unabhängig von allen darauffolgenden Detailregelungen, wie Verkehrsteilnehmer grundsätzlich miteinander zu verkehren haben.
Zudem gilt auch in der in der StVO der sogenannte Vertrauensgrundsatz. Er besagt bei unterschiedlicher Ausgestaltung, dass man sich grundsätzlich auf das richtige Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer verlassen können sollte. Dies ist auch naheliegend, denn ohne die Gültigkeit dieses Grundsatzes könnte man sich kaum trauen, sich überhaupt hinter das Steuer eines Autos zu setzen, da Rechtsfahrgebote oder Ampeln, Schilder etc. erst so ihre regelnde Wirkung entfalten können.
Die Essenz dieser Regelungen bewegte dann wohl auch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden 2014 zu der Aussage, wer den Blinker setzt, obwohl er gar nicht abbiegen möchte, verstoße aufgrund seines missverständlichen Verhaltens gegen die o. g. Grundregel der StVO (Az.: 7 U 1876/13).
Allerdings dominierte in der Rechtsprechung bisher die Meinung, dass man sich trotzdem nicht auf das richtige Blinken anderer Autofahrer verlassen sollte. Vielmehr seien weitere Signale des Abbiegens zu beachten, etwa das Verringern der Geschwindigkeit oder das Einordnen auf dem äußeren Fahrstreifen. Denkt man dieses Szenario allerdings zu Ende, so wird klar, dass der in Frage stehende Unfall so wohl auch kaum passieren würde. Wenn jemand lediglich vergessen hat, den Blinker auszuschalten und weiter frohen Mutes und ungebremst geradeaus fährt, werden andere Verkehrsteilnehmer dies in der Regel klar erkennen und sich nicht todesmutig in seine Spur drängen.
Das Problem sind wohl eher zunächst absichtlich Blinkende, die auch abbremsen, sich dann aber umentscheiden und doch weiterfahren. Genau dieses Verhalten aber ist für andere Verkehrsteilnehmer nur schwer auf das mögliche Ergebnis hin zu interpretieren. Und dies führt folgerichtig zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten. Zwar entfällt bei einem Unfall im Kreuzungsbereich mit Wartepflicht nicht der gegebene Vorfahrtverstoß des Wartepflichtigen, allerdings besteht zwischen dem Vorfahrtberechtigten und dem Wartepflichtigen durch den eingeschalteten Blinker eine Vertrauensgrundlage. Dadurch entfällt in dieser konkreten Konstellation das Vorfahrtrecht.
Blinkt der Vorfahrtberechtigte also irreführend und kommt es dadurch zu einem Unfall, da der Wartepflichtige von einem Abbiegen ausgeht, so kam es auch in der Vergangenheit in der Regel zu einer unfallbedingten Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten. Allerdings muss hier der ursprünglich Wartepflichtige überzeugende Beweise für das unfallursächlich irritierende Fehlverhalten des grundsätzlich Vorfahrtberechtigten anbringen können. Dies ist in Homburg offensichtlich so überzeugend geschehen, dass dort der eigentlich Vorfahrtberechtigte sogar eine hundertprozentige Haftung gegenüber dem ursprünglich Wartepflichtigen zu übernehmen hatte.
Aber auch in anderen Fällen kann eine Haftungsverteilung zu Lasten des Wartepflichtigen zwischen einem Drittel und zwei Dritteln gerechtfertigt sein, schon wenn der vorfahrtsberechtigte Fahrer vor dem Zusammenstoß zwar geblinkt, sich darüber hinaus aber nicht tatsächlich wahrnehmbar auf das Abbiegen vorbereitet hat. Solche relativ geringe Mithaftung von nur einem Drittel ist dadurch gerechtfertigt, dass auch bei dem bloßen Betätigen des Blinkers ohne weitere Anzeichen für ein Abbiegen eine Mithaftung (außer der Betriebsgefahr) gegeben ist, da in dieser Situation alleine durch irreführendes Blinken eine erhöhte Gefahr geschaffen wird.
Und die Moral von der Geschichte: Mit dem Setzen des Blinkers gibt der Blinkende ein klares Signal, welches andere Verkehrsteilnehmer durchaus für ihre weiteren Entscheidungen berücksichtigen dürfen. Kann man im Unfallsfalle also bestenfalls durch glaubwürdige Zeugen, durch Spuren oder auch per Dashcam dieses Blinken belegen, dann hat man gute Chancen, einen Teil oder sogar 100 Prozent seines Schadens ersetzt zu bekommen. Einziges Problem ist nur der notwendige Beweis für das irritierende Verhalten des Falschblinkenden. Ist dieser zu erbringen, so gilt die alte Weisheit „der Wartepflichtige hat Schuld“ definitiv nicht mehr. rw
Beitragsbild: Remmer Witte