Immer mehr Verkehrsteilnehmer verhalten sich gemäß einer Logik, die sich auch Kennern der Straßenverkehrsordnung nicht immer erschließt. Daher gehört das zügige Überholen besonders für Profis zum Standardprogramm. Aber ist das immer legal, besonders gegenüber zweirädrigen Verkehrsteilnehmern?
Haben Sie es erkannt? In deutschen Städten taucht vermehrt ein neues Verkehrsschild auf, das das Überholen von einspurigen Fahrzeugen durch mehrspurige Fahrzeuge und Krafträder mit Beiwagen verbietet. Das hier gezeigte Verkehrszeichen 277.1 gibt es seit dem 8.11.2021, es wird aber bisher selten aufgestellt. Bei Missachtung drohen ein Bußgeld von 70 Euro und ein Punkt in Flensburg. Wer hier bei unklarer Verkehrslage mit Gefährdung überholt, kann sich ein Bußgeld von 250 Euro einhandeln und es drohen zwei Punkte in Flensburg. Je nach Tathergang wäre sogar auch ein sofortiges Fahrverbot möglich.
Die altbekannten Überholverbotsschilder 276 und 277 verbieten dagegen ausschließlich mehrspurigen Fahrzeugen wie Pkw, Lkw und Krafträdern mit Beiwagen das Überholen von mehrspurigen Fahrzeugen. Ist links das Piktogramm eines Lkws in Rot abgebildet, dürfen lediglich Lkws nicht überholen. Alternativ kann ein Zusatzschild darauf hinweisen, dass lediglich Fahrzeuge mit über 7,5 t Gesamtgewicht betroffen sind. Einspurige Fahrzeuge dürfen hier somit überholt werden, sofern ein ausreichender Seitenabstand einhaltbar ist und auch eingehalten wird.
Denn schon seit 2020 gilt eine neue Abstandsregelung für Zweiräder. Auch ohne das neue Schild muss demnach beim Überholen von Fahrrädern oder anderen Zweirädern ein Mindestabstand eingehalten werden, innerorts 1,50 Meter, außerorts 2,00 Meter. Bei Nichtbeachtung drohen auch hier Bußgelder ab 70 Euro und Punkte in Flensburg. Bei unklarer Verkehrslage mit Gefährdung wären auch hier schnell bis zu 250 Euro und zwei Punkte möglich.
Und gerade diese Regelung hat es im Ergebnis in sich, denn ein Vergehen ist damit auch von Dritten (Polizeibeamten) leicht erkennbar: Je nach Art der Straße haben Fahrspuren eine Breite von 2,75 bis 3,50 Meter. Ein aktueller Mietwagen oder ein Taxi hat in der Regel eine Breite von ca. 2,00 Metern, mit Außenspiegeln schnell auch mehr. Ein Zweirad mit Fahrer muss inklusive Schwankungsbreite mit circa 0,80 Meter kalkuliert werden. Somit benötigt man schon innerorts eine Breite von mehr als vier Metern, außerorts sogar knapp fünf Meter, um ein Zweirad vorschriftsmäßig überholen zu können. Und das bedeutet, dass Zweiradfahrzeuge in der Regel nur überholt werden dürfen, wenn der Gegenverkehr dies auch zulässt und dessen Fahrspur anteilig mit genutzt werden kann.
Bis zum Jahr 2020 stand nur in der Straßenverkehrsordnung, dass mehrspurige Fahrzeuge beim Überholen eines Zweiradfahrzeugs einen ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten müssen. Was das genau hieß, ließ sich schwer klären. Sofern es zu keinem Schaden beim Zweiradfahrer kam, galt üblicherweise der eingehaltene Abstand als ausreichend. Überquert man heute beim Überholvorgang eines Zweirades aber nicht eindeutig die Mittellinie, kann der Verkehrsverstoß schon dingfest sein. Weicht der Gegenverkehr dann nur leicht aus, um dem Überholenden Raum zu geben, ließe sich das eventuell sogar schon als Nötigung interpretieren, zumindest wenn der Überholvorgang begonnen wurde, bevor es zum Ausweichmanöver des Gegenverkehrs kam. Allein das kurze Überqueren einer durchgezogenen Mittellinie, um den Mindestabstand einzuhalten, kann heute schon mit 30 Euro als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, vormals wäre es vielmehr wohl einfach als rücksichtsvolle Fahrweise interpretiert worden.
Die Idee hinter diesen Neuerungen zum Überholvorgang ist bei dem steigenden Verkehrsgeschehen aber sicherlich sinnvoll, denn gerade Fehleinschätzungen beim Überholen können gravierende Folgen haben. Überholen meint dabei den Verkehrsvorgang, bei dem ein Fahrzeug schneller an einem anderen Fahrzeug vorbeifährt, welches sich in dieselbe Richtung und auf demselben Straßenteil fortbewegt oder verkehrsbedingt wartet. Im Straßenverkehr kommt es beim Überholen oftmals deswegen zu Unfällen, weil Autofahrer Geschwindigkeiten und in der Folge auch die Distanzen falsch einschätzen. Dabei ist das Lastenrad oder das bunte Rennrad eben absolut gleichberechtigt zum geliehenen Sportwagen oder auch Taxi zu sehen.
Gemäß Straßenverkehrsordnung (StVO) gibt es zahlreiche Überholverbote, die vielfach gemäß Paragraf 5 Absatz 3 StVO geregelt sind. Danach ist das Überholen grundsätzlich unzulässig bei unklarer Verkehrslage, auch wenn es nicht durch ein angeordnetes Verkehrszeichen untersagt ist. Aber auch derjenige, der überholt wird, muss Rücksicht auf den Überholenden nehmen und darf gemäß StVO seine Geschwindigkeit während des Überholvorgangs nicht erhöhen.
Ohne Verkehrsschild ist das Überholen gemäß StVO in folgenden Situationen grundsätzlich verboten:
- wenn man sich an einem Fußgängerüberweg befindet,
- wenn ein Bus oder eine Straßenbahn mit Warnblinklicht eine Haltestelle anfährt und hält,
- bei eingeschränkter Sicht infolge der Witterungsbedingungen, wie Nebel, für Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 Tonnen,
- wenn nicht die ganze Überholstrecke überblickt werden kann,
- wenn man nicht wesentlich schneller fahren kann als der zu Überholende, ohne die geltende Höchstgeschwindigkeit zu missachten.
Die StVO regelt im Übrigen auch eindeutig, dass grundsätzlich links zu überholen ist. Innerorts ist es für Kraftfahrzeuge bis drei Tonnen allerdings dann erlaubt, rechts zu überholen, wenn mehrere Fahrstreifen vorhanden sind. Die Fahrspur darf dann frei gewählt werden und dabei darf dann auch auf der rechten schneller gefahren werden als auf der linken Spur. Linksabbieger, die sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben, dürfen ebenfalls auch ohne Fahrstreifenmarkierungen rechts überholt werden, genauso wie an Ampelkreuzungen auch auf unterschiedlichen Richtungsfahrstreifen. Eine weiterte Ausnahme gilt auf Autobahnen und Landstraßen, wo jedoch nur stehender oder zäh fließender Verkehr – maximal 60 km/h – mit einer maximalen Differenzgeschwindigkeit von 20 km/h rechts passiert werden darf.
Vielen Autofahrern unbekannt ist übrigens folgende Vorfahrtsregelung: Wer nach links blinkt und langsamer wird, woraufhin vielleicht der übernächste Nachfahrende dies nicht registriert und zum Überholen ansetzt, der hat diesem Überholenden den Vorrang zu gewähren. Biegt er trotzdem ab, ohne auf den nachkommenden Verkehr zu achten, und es kracht, hat er die Haftung zu übernehmen! Gleiches gilt natürlich auch für den Klassiker, wo durch den fehlenden Rechtsblick beim Rechtsabbiegen auf eine Vorfahrtstraße vielleicht übersehen wird, dass dort gerade ein Fahrzeug – wie vielleicht auch ein Zweirad – überholt wird. Hier ist der Rechtsabbieger auch in der Stadt natürlich ebenfalls wartepflichtig.
Gerade auf der Landstraße, aber auch in der Stadt gilt natürlich letztendlich immer: „Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird“ (Paragraf 1, Abs. 2 StVO). Und diese Regel gilt sicherlich umso mehr für die Profis im Taxi und Mietwagen, denn diese sollten immer viel Platz für die Fehler der Amateure lassen … und die sind eben sowohl im geliehenen Sportwagen als auch auf dem Senioren-E-Bike oder sonst wo zu finden. rw
Beitragsbild: Zeichen 277.1 – Verbot des Überholens von einspurigen Fahrzeugen für mehrspurige Kraftfahrzeuge und Krafträder mit Beiwagen
Bilder aus dem Verkehrszeichenkatalog 2020, DIN-Normen