Die Europäische Kommission hat einen Gesetzesentwurf vorgestellt, nach dem Uber-Fahrern, Essenskurieren und anderen typischen Scheinselbstständigen ein Arbeitnehmerstatus zustehen soll.
Ein Gemeinschaftsbeitrag von Wim Faber und Remmer Witte.
Die EU-Kommission will, dass Personen, die – in bislang oft prekären Arbeitsverhältnissen – für ein Plattformunternehmen wie Deliveroo oder Uber arbeiten, Angestellte sind und daher Anspruch auf den entsprechenden arbeitsrechtlichen Schutz haben. Plattformanbieter sollen aktiv belegen müssen, dass ihre „Partner“ nicht regulär beschäftigt sind, anderenfalls müssen sie diese anstellen. Dies soll rund 5,5 Millionen Arbeitskräfte innerhalb der EU vor Ausbeutung schützen.
Wenn Plattformbetreiber vorgeben, mit unabhängigen Unternehmern zusammenzuarbeiten, liegt die Beweislast nach Willen des Gremiums künftig bei ihnen. Die Plattformen müssen den Mitarbeitern erklären, wie ihre Algorithmen die Aufgabenverteilung, Bewertung und Entlohnung der Plattformarbeiter steuern – so steht es in einem in dieser Woche präsentierten EU-Richtlinienentwurf. Der Vorschlag geht jetzt an die 27 Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament. Die automatische Gewährung von Arbeitnehmerrechten gegenüber Plattformarbeitern könnte dem Einnahmemodell der – überwiegend amerikanischen – Plattformen die Grundlage entziehen. In verschiedenen europäischen Ländern haben Richter bereits der These, Plattformarbeiter seien selbstständige Unternehmer, eine Absage erteilt.
Die Richtlinie der EU-Kommission enthält eine Kriterienliste, nach der zu prüfen ist, ob sich eine Plattform wie ein Arbeitgeber verhält. Die fünf Kriterien lauten:
- Die Plattform legt die Höhe oder die Obergrenze der Vergütung fest.
- Der Plattform-Betreiber überwacht die Arbeitsausführung elektronisch.
- Für den Plattform-Arbeiter ist es nur bedingt möglich, über Arbeits- und Abwesenheitszeiten frei zu entscheiden. Außerdem kann er nicht frei wählen, ob er die Aufgaben annimmt oder ablehnt oder die Aufgabe wiederum an eigene Arbeitskräfte delegiert.
- Die Plattformen geben den Selbstständigen Kleidung und Verhalten im Kundenkontakt vor.
- Durch die Arbeit auf den Plattformen ist es für die Selbstständigen nicht möglich, auch für andere Anbieter zu arbeiten und sich einen Kundenstamm aufzubauen.
Sind zwei dieser Punkte erfüllt, so gilt eine „Beschäftigungsvermutung“, wie das „Handelsblatt“ meldet. Eine solche Plattform wäre dann ein Arbeitgeber und müsste ihre Arbeitskräfte anstellen. Für diese würde dann der jeweilige nationale Mindestlohn gelten, außerdem hätten sie geregelte Arbeitszeiten, bezahlte Kranken- und Urlaubstage und wären sozialversichert. Die Wandlung der Beschäftigungsverhältnisse werde sich für die Betroffenen lohnen, glaubt die Kommission. Sie schätzt, dass sich insgesamt für diejenigen, die bislang unter Mindestlohn verdienen, Lohnsteigerungen von bis zu 484 Millionen Euro im Jahr ergeben könnten.
Zudem will man dafür sorgen, dass solche Arbeitskräfte besser wissen, wie automatisierte Algorithmen funktionieren, nach denen die Aufgaben verteilt und die Preise angesetzt werden. Ebenso sollen sie Bescheid wissen, auf welche Weise ihre Arbeit getrackt und ausgewertet wird. Darüber hinaus möchte die Kommission das Recht auf kollektive Verhandlungen auch für Solo-Selbstständige durchsetzen. Eigene Leitlinien sollen sicherstellen, dass geltendes Wettbewerbsrecht der EU dem nicht im Wege steht. Dieser Schritt soll auch jenen Menschen helfen, die nach dem Vorschlag nicht als Festangestellte gelten.
Wirtschaftsverbände und Plattform-Anbieter laufen Sturm gegen den Vorschlag: „Wir bedauern den von der Kommission gewählten Ansatz zur Plattformarbeit. Die Kommission hat sich dafür entschieden, eine politische Erklärung abzugeben, anstatt eine ausgewogene Lösung für Plattformen, Arbeitnehmer und ihre Kunden vorzuschlagen“, sagte etwa Markus Beyrer, der Generaldirektor des europäischen Wirtschaftsverbands Business Europe. „Die vorgeschlagene Beschäftigungsvermutung dürfte eine abschreckende Wirkung auf die Möglichkeiten des Einzelnen haben, als Selbstständiger tätig zu werden, und sich negativ auf die Erbringung von Dienstleistungen im Binnenmarkt auswirken.“
Gewerkschaften wie etwa die größte niederländische Gewerkschaft FNV sehen dagegen noch zwei Verbesserungspunkte: „Plattformen werden dies als Werkzeugkasten verwenden, um die Kriterien zu umgehen und trotzdem mit allem durchzukommen. Wenn Sie die Beweislast umkehren, müssen Sie das gleiche mit den Kriterien tun. Eine Plattform sollte also eigentlich Kriterien erfüllen, die beweisen, dass es selbstständige Unternehmer gibt.“ Die FNV freut sich, dass die EU den Ansatz der Plattformarbeiter vorantreibt. Petra Bolster, Mitglied des Vorstands der FNV: „Dieser Vorschlag befasst sich mit dem Missbrauch und der Ausbeutung einer großen Gruppe von Arbeitnehmern. Mittlerweile gibt es 28 Millionen Plattformarbeiter in ganz Europa. Die niederländische Regierung ignorierte es. Wir freuen uns, dass Europa vorankommt.“
Der Vorschlag befasse sich zudem nicht ausreichend mit der algorithmischen Verwaltung. Bolster: „Der Algorithmus registriert alles und bestimmt, welche Bewertung man bekommt und welche Aufgaben. Digitales Management sollte niemals das Arbeitsrecht und das Kündigungsrecht ersetzen. Wir sind der Meinung, dass bei wichtigen Entscheidungen – wie beispielsweise einer Entlassung – immer ein Mensch das Sagen haben sollte. Der Mensch ist kein Roboter, wird aber von einem Algorithmus als solcher behandelt.“
In der FD, einer niederländischen Finanzzeitung, wird die Juristin Maartje Govaert zitiert. Die Leiterin der internationalen Arbeitsmarktpraxis der Anwaltskanzlei Norton Rose Fulbright weist darauf hin, dass die Pläne der EU-Kommission viele Anforderungen enthalten, die die Plattformunternehmen bereits erfüllen – oder zu erfüllen bereit sind. Transparenz über Algorithmen („die Grundlage ihres Erlösmodells“) sei aber problematisch, weil Unternehmen verhindern wollen, dass zu viele Informationen über die Funktionsweise der Algorithmen selbst herauskommen.
Die FNV kämpft seit Jahren gegen Plattformunternehmen, die sich ihren Arbeitgeberpflichten entziehen und Geschäftsrisiken an ihre Mitarbeiter weitergeben, indem sie diese in eine (Schein-)Selbständigkeit zwingen. Die FNV hat diesbezüglich mehrere Klagen erfolgreich geführt und gewonnen, unter anderem gegen Uber und Deliveroo. Bolster: „Der EU-Vorschlag geht also genau wie wir von einem Arbeitsverhältnis aus und kehrt die Beweislast um. Diese Beweislastumkehr ist absolut gerechtfertigt und dringend erforderlich, um das Erlösmodell von Plattformunternehmen zu Lasten ihrer Mitarbeiter zu beenden.“
Der Vorschlag der Kommission geht nun in den Brüsseler Gesetzgebungsprozess. Parlament und Rat müssen in der Folge ihre Position festlegen und sich anschließend auf einen gemeinsamen Ansatz einigen. Falls die Richtlinie angenommen wird, müssen die Mitgliedstaaten sie innerhalb von zwei Jahren in ihr nationales Recht umsetzen. Regierungen dürfen diese zwar verschärfen, aber die Mindestanforderungen der Richtlinie dürfen sie nicht unterschreiten.
Beitragsbild: Remmer Witte