In immer mehr Ländern (zuletzt die Niederlande) laufen Prozesse gegen App-Firmen wegen ihrer scheinselbstständigen Mitarbeiter: Gig-Arbeiter, die offiziell selbstständig sind, aber nur für eine Firma arbeiten und völlig unter deren Kontrolle stehen.
Die App-Firmen argumentieren gerne, dass ihre Arbeiter am liebsten flexibel arbeiten möchten, und kontern mit halbherzigen Lösungen wie Selbstständigkeit mit minimalen Sozialleistungen – und verkaufen Regierungen und der EU diesen „dritten Weg“ als den Weg aus der Sackgasse. Einige App-Firmen wie z. B. JustEat Takeaway und Foodora zeigen jedoch, dass man auch mit Arbeitnehmern ganz unproblematisch und profitabel arbeiten kann.
Die Gesetze sprechen vielerorts eine klare Sprache: Wenn ein Unternehmen die Kontrolle über Personen ausübt, muss es diese Personen als Arbeitnehmer behandeln und die allgemein anerkannten Mindestrechte für Arbeitnehmer einhalten. Die meisten betreffenden Unternehmen behaupten, ihre Mitarbeiter seien selbstständig, wenden aber schamlos skrupellose Formen der Kontrolle an.
Die Apps und die Nutzungsbedingungen von Fahrdienstanbietern legen oft Bedingungen an die Art des verwendeten Fahrzeugs oder der verwendeten Ausrüstung, die Reihenfolge der Aufgaben und den Zugang zum Kunden fest. Viele nutzen ihre App, um Standortdaten, Arbeitszeit und Geschwindigkeit kontinuierlich zu überwachen. Angenommene und abgelehnte Aufträge, Benutzerkommentare und Bewertungen werden verwendet, um die Arbeit zu lenken.
Jetzt haben sich länderübergreifend Gewerkschaftsverbände (darunter die IFT, die Internationale Transportarbeiter-Föderation) deutlich zu Wort gemeldet. Die Verbände fordern von Regierungen weltweit mit Nachdruck faire Rechte für Gig-Arbeiter. „Arbeiter in der Gig Economy werden miserabel behandelt, weil App-basierte Arbeitgeber hinterhältige Definitionen und Schlupflöcher verwenden, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Die Plattformökonomie ist eine Herausforderung für die Arbeitsbedingungen und Rechte aller Arbeitnehmer“, sagen die Verbandsvertreter. Die Gewerkschaften wollen, dass Regierungen auf der ganzen Welt diese Schlupflöcher schließen und App- und Technologieunternehmen dazu drängen, ihren Pflichten gegenüber Arbeitnehmern nachzukommen.
Die Forderungen der Gewerkschaften haben vor allem mit der Auslegung des Arbeitsrechts für Beschäftigte in der Plattformökonomie zu tun. Viele Unternehmen, die Dienstleistungen wie Taxis, Essenslieferungen, Reinigung und Fracht anbieten, behandeln die Menschen, die die Arbeit verrichten, fälschlich als Selbstständige. So vermeiden die Unternehmen im Vergleich zu traditionellen Wettbewerbern Steuern und andere Kosten. Schätzungen über die jährliche Kostenersparnis pro Arbeitnehmer reichen von 6.000 Euro in Spanien bis zu 20.288 Euro in Kalifornien.
„Aber es sind die Menschen, die für diese Unternehmen arbeiten, die darunter leiden“, sagte Stephen Cotton, Generalsekretär der ITF. „Sie reizt die Vorstellung, dass sie im Gegenzug für den Verzicht auf Grundrechte flexibler arbeiten können. Die Idee enthält logische Fehler. Die Arbeit kann sowohl flexibel sein als auch die Menschenrechte unterstützen, und oft sind diejenigen Unternehmen, die die Dinge richtig machen, wirtschaftlich am erfolgreichsten.“
Die ITF begrüßte deswegen auch die Erklärung der G20-Gruppe – die 19 wichtigsten Industriestaaten plus Europäische Union – zu Arbeit und Beschäftigung, in der die grundlegende Rolle des sozialen Dialogs und ein internationaler Ansatz zur Regulierung der Gig Economy anerkannt werden. Insbesondere in Anerkennung der Notwendigkeit von Klarheit über den Beschäftigungsstatus von Plattformarbeitern und Vermeidung ihrer falschen Einstufung und Verpflichtung zu konzertierten Maßnahmen:
„Um das volle Potenzial neuer Technologien auszuschöpfen und die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer zu schützen und zu verbessern, werden wir uns bemühen, unsere regulatorischen Rahmenbedingungen an neue Arbeitsformen anzupassen. Eine besondere Herausforderung bleibt die korrekte Einordnung des Beschäftigungsstatus vieler Personen, die über Plattformen arbeiten, sowie die Transparenz, Privatsphäre, Fairness und Rechenschaftspflicht der algorithmischen Führung und Überwachung. Wir einigen uns auf eine Reihe von G20-Politikoptionen zur Verbesserung des Rechtsrahmens für Fernarbeit und digitale Arbeitsvereinbarungen, die in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern entwickelt und umgesetzt werden sollen.“
Die Apps verwenden Anreize, darunter Kundenbewertungen, vorübergehende Sperren für die Nutzung der App, bedarfsabhängige Belohnungen und Preise sowie Boni für die schnelle Erledigung von Aufgaben. „Indem sie ihre echte Beziehung zu den Mitarbeitern verschleiern, verschaffen sich diese Unternehmen einen unfairen Vorteil und verursachen echtes und unmittelbares Leid. Sowohl die EU als auch die OECD haben sich mit diesem Thema befasst und verstehen seine Auswirkungen. Doch sie sind schwierig zu handhaben. Plattformarbeiter müssen jetzt ihre Rechte schützen“, sagt Cotton.
In diesem Jahr berät die Europäische Union bei der Regulierung von Plattformen und erwägt – wie auch viele Regierungen – eine Regulierung dieser Plattformen. Regierungen müssen jetzt eingreifen und darauf drängen, dass App-Unternehmen ihre Bürger fair behandeln. wf
Beitragsbild: Anders als JustEat Takeaway arbeitet Deliveroo noch mit Scheinselbstständigen. Foto: ITF/Carl Campbell