Im Ringen um die EU-Richtlinie zeichnet sich ein Kompromiss ab: Möglicherweise dürfen EU-Länder künftig ihre eigenen Beschäftigungsvoraussetzungen festlegen. Unkomplizierter macht das die Sache nicht.
Obwohl am letzten Donnerstag, dem 8. Februar, nach einem ersten Scheitern doch noch eine neue vorläufige Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU über die Plattformarbeitsrichtlinie erreicht wurde (so, wie es schon einmal am 21.12.2023 der Fall war, es dann aber doch zu einem Rückzug kam), bleibt abzuwarten, ob die Mitgliedsstaaten am kommenden Mittwoch, dem 14. Februar, noch rechtzeitig vor den EU-Parlamentswahlen eine endgültige Einigung erzielen.
Weil die EU-Länder sich schon zweimal nicht auf eine EU-weite Regelung einigen konnten, wurde jetzt ein Kompromiss ausgehandelt: EU-Mitgliedsstaaten sollen nun ihre eigene Beschäftigungsdefinitionen für Plattformarbeiter festlegen dürfen. Folge: In jedem Land ginge dann der Rechtsstreit über den Beschäftigungsstatus der Plattformarbeiter auf nationaler Ebene weiter.
„Wir können sicher sein, dass dieses Gesetz den Rechtsstreit nicht beenden wird”, kommentierte das in Plattformarbeiterfragen extrem gut informierte Londoner Portal „The Gig Economy Project“: „Sobald die Länder ihre eigenen Beschäftigungsvoraussetzungen festlegen, müssen sie damit rechnen, dass diese von den Gewerkschaften getestet werden, wenn sie schwach sind, und von Plattformen, wenn sie stark sind.” Seit drei Jahren macht sich die Lobbygruppe Taxis4SmartMobility dafür stark, Selbstständige, die sich bei Taxizentralen angeschlossen haben, wie es im Taxigewerbe üblich ist, von der EU-Plattformarbeiterrichtlinie auszunehmen. Mit dem sich abzeichnenden Kompromiss, den man „Plattformarbeiterrichtlinie Light“ nennen kann, verlagert sich dieser Streit ebenfalls auf nationale Ebene.
Im Klartext bedeutet das, dass der gleiche Streit, der in den letzten drei Jahren in Brüssel geführt wurde (welche Kriterien, wie viele Kriterien, und ob es überhaupt Kriterien geben soll, oder nur eine allgemeine Vermutung), sich nun in den Hauptstädten der EU-Mitgliedsstaaten fortsetzen wird. Der Kampf wird in dem Moment beginnen, da diese „Plattformrichtlinie light“ angenommen wird.
Bis jetzt gab es noch keine endgültige Version der Plattformarbeiterrichtlinie nach den „Trilog“-Verhandlungen am Donnerstag. Stattdessen wird dafür auf den Text der belgischen EU-Präsidentschaft vom 3. Februar zurückgegriffen.
Wie sieht die „Plattformarbeiterrichtlinie light“ aus? Erstens: Es gibt keine Indikatoren und Schwellenwerte mehr, um den Beschäftigungsstatus von Plattformarbeitern EU-weit zu bestimmen. An ihre Stelle tritt eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, eine widerlegbare rechtliche Vermutung der Beschäftigung in der Plattformwirtschaft aufzustellen, und die Anforderung, dass ein solches Gesetz auf „Tatsachen basieren muss, die eine Kontrolle und Richtung gemäß nationalem Recht, Tarifverträgen oder Praxis belegen – in den Mitgliedstaaten und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EU-Gerichtshofs“.
In einer Erläuterung dieser Änderungen in der Einleitung zum Text macht der belgische Ratsvorsitz unmissverständlich klar, was dies bedeutet: „Infolgedessen gibt es im Text der Richtlinie keine harmonisierten Bedingungen für die Auslösung der Rechtsvermutung. Es ist für die Mitgliedstaaten festzulegen, welche Tatsachen, die auf Kontrolle und Weisung schließen lassen, für die Zwecke der Auslösung der gesetzlichen Vermutung vorliegen müssen.“
Damit ist die Plattform-Arbeitsrichtlinie zu einer „Richtlinie light“ geworden. Sie legt wegen der kontunuierlichen internen Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Mitgliedern lediglich einen Rahmen dafür fest, wie über den Beschäftigungsstatus entschieden werden sollte. Sie präzisiert nicht, wie dieser Inhalt aussehen müsste. Es war ursprünglich die Absicht der Europäischen Kommission, die Arbeitsnormen in der Plattformökonomie in der gesamten Europäischen Union zu harmonisieren. Dieser Absicht wird die Richtlinie nun nicht gerecht.
Falls am 14. Februar Rat und Parlament die „Richtlinie light“ ratifizieren, bedeutet das für die Befürworter der Gig-Arbeiterrechte nicht nur Negatives. Verschiedene EU-Medien erinnern daran, „dass es viel schlimmer hätte kommen können. Wenn der Vorschlag des Rates für eine Nichtvermutung der Beschäftigungsvermutung letzte Woche in den Verhandlungen vom Parlament angenommen worden wäre, hätte er eine so hohe Hürde für die Auslösung des Beschäftigungsstatus festlegen können, dass dies die in Hunderten von Gerichtsverfahren in ganz Europa etablierte Rechtsprechung untergraben hätte.” Denn es war geurteilt worden, dass es sich bei diesen Gig-Arbeitern um Arbeitnehmer handelt. Es bestand die reale Gefahr eines Gesetzes, dass die Beschäftigungsrechte von Plattformarbeitern aktiv hätte beeinträchtigen können. Dies wurde offenbar vermieden.
Darüber hinaus beinhaltet der neue Text – wie auch vorhergehende Texte – eine Umkehr der Beweislast, so dass es in allen 27 Mitgliedsstaaten Sache der Plattformanbieter sein wird, den Fall vor Gericht zu bringen, wenn beispielsweise eine Arbeitsaufsichtsbehörde feststellt, dass eine Gruppe von Plattformarbeitern eigentlich Arbeitnehmer sind. Dies ist von Bedeutung, da beispielsweise in Belgien, wo derzeit eine Beschäftigungsvermutung, aber keine Umkehr der Beweislast gilt, kein Mechanismus vorhanden ist, mit dem die Plattformen zur Rechenschaft gezogen werden können, ohne dass Regierung und/oder Gewerkschaften ein langwieriges rechtliches Verfahren durchfechten müssen.
Zum Dritten, und sehr wichtig, bleibt der Text zum algorithmischen Management, der unter der spanischen Präsidentschaft vereinbart wurde, intakt. Arbeitnehmer und Gewerkschaftsvertreter haben das Recht, zu erfahren, welche automatisierten Systeme verwendet werden, welche Informationen über sie gesammelt werden und wie Entscheidungen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getroffen werden, einschließlich der Bewertung ihrer Leistung. Auf diese neuen algorithmischen Rechte kann – zumindest theoretisch – unabhängig vom Beschäftigungsstatus zugegriffen werden. Das ist ein erheblicher Fortschritt für alle Plattformarbeiter.
Der große Nachteil des Abkommens besteht darin, dass die Gesetzgeber von Mitgliedsstaaten, deren Regierungen den Arbeitnehmerrechten in der Plattformwirtschaft feindlich gegenüberstehen, nun über einen recht großen Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Beschäftigungsvermutung verfügen.
Ihnen werden aber gewisse Grenzen gesetzt: Die Europäische Kommission wird die Einführung der Beschäftigungsvermutung jedes Landes und entsprechender Gesetze prüfen. Sind sie im Hinblick auf die Realität von Arbeitsverhältnissen in konkret festzustellenden Fällen zu weit von der Norm entfernt, so könnte das Gesetz vom EuGH rechtskräftig für ungültig erklärt werden. Es ist jedoch nicht klar, ob diese Grenzwerte ausreichen würden, um eine Regierung, die entschlossen ist, Uber-freundliche Gesetze zu erlassen, in die Schranken zu weisen. wf
Beitragsfoto: Wim Faber