Seit Montag letzter Woche hat die Taxi-Times-Redaktion einen vollelektrischen Nio ET7 als Testwagen. Über die Eindrücke einer ersten Testfahrt berichten Simon Günnewig und Jürgen Hartmann.
Montag, 29. Januar 2024. Die Taxi-Times-Redakteure Simon Günnewig und Jürgen Hartmann sind auf dem Weg nach Morschen nahe Kassel zum Workshop „Mehr Umsatz für Taxi- und Mietwagenbetriebe“. Sie machen Zwischenstation in Frankfurt, um im Frankfurter Nio-Showroom einen Nio ET7 als Testwagen in Empfang zu nehmen. Vorher kann man im Showroom das komplette Produktportfolio der Chinesen zu sehen war. Die Modellpalette umfasst zwei SUVs, zwei Limousinen und einen Kombi. Sie fahren allesamt mit Strom.
Rund 70.000 brutto kostet der Nio ET7. Damit bewegt sich die chinesische Marke im Luxussegment. Das Luxusambiente wird schon beim ersten Einsteigen deutlich. Rund 20 Minuten benötigt der Nio-Experte, um wenigstens die wichtigen Features dieses Wagens zu erklären. Angefangen von der für vier der fünf Sitzplätze individuell einstellbaren Massagefunktion, Sitzheizung und Sitzbelüftung über die Einstellung der einzelnen Fahrmodi bis zum KI-gestützten Sprachassistenten.
Nio ist seit Oktober 2023 auf dem deutschen Markt und baut sich gerade nach und nach eine Infrastruktur auf. Wenn das Auto einen Werkstattbedarf hat, teilt einem der Hersteller den Standort der nächstgelegenen freien Nio-zertifizierten Werkstatt mit.
Ein Werkstatt-Stopp war bei der nun folgenden ersten Testfahrt natürlich nicht nötig und auch der Zwischenladestopp hätte nicht sein müssen, denn der auf 80 Prozent vollgeladene Akku hätte laut Anzeige für über 400 Kilometer Fahrtstrecke gereicht.
Da zu einer ersten Fahrt aber auch zwingend ein Ladetest gehört, wurde bereits bei einem State-of-Charge (SoC=Akku-Ladezustand) von 46 Prozent nachgeladen. Dabei fiel auf, dass an der Schnellladesäule nur 84 Kilowatt Strom floss. Die Säule hätte deutlich mehr ermöglicht.
So blieb Zeit für erste Sitzproben im großzügig angelegten Fond, in dem man problemlos auch Fahrgäste jenseits der 1,90-Meter-Marke unterbringt. Die beiden Reisekoffer der Redakteure inklusive Zusatztaschen ließen sich im Kofferraum verstauen. Genügend Platz also für die zum Ambiente passenden Business-Touren. Da allerdings die Vertiefung im Kofferraum ebenso fehlt wie die Mulden im Seitenbereich, könnte es bei der Unterbringung eines klappbaren Rollstuhls durchaus eng werden. Für klassische Krankenfahrten zum (schlecht bezahlten) Kassenpreis ist der Nio ET7 aber sowieso oversized. Das ganze Ambiente dieses Luxuswagens dürfte dagegen viele Business-Fahrgäste zu Stammkunden werden lassen.
Hinter dem Lenkrad fühlt man sich sowieso mehr als Chauffeur, denn als Taxifahrer. Dafür ist neben dem leisen Fahrgeräusch auch das gesamte Ambiente der Limousine verantwortlich. Für das tolle Raumgefühl zeichnet sich beispielsweise das großzügige Panoramadach verantwortlich und mit mehr als 650 PS kann der Wagen auch in jeder Situation souverän bewegt werden. Die Fahrgäste sitzen fast unerreichbar entfernt auf der Rücksitzbank und genießen die außergewöhnliche Beinfreiheit.
Schwierig war die Nutzung des Navis, deren maßstabsverzerrte Abbildung permanent zu Fehleinschätzungen der Entfernung führte, bei der man abbiegen sollte. Das hatte bis zum Eintreffen in Morschen die eine oder anderen „Ehrenrunde“ zur Folge. Auch die zu genauen Angaben der Entfernung konnten den Fahrer verwirren. Wer kann schon 637 Meter einschätzen.
Vor dem Seminar-Hotel in Morschen ist den beiden Taxi-Times-Redakteuren dann allerdings das passiert, was jedem Taxifahrer mit diesem Fahrzeug passieren dürfte: Der fragende Blick der anderen, was denn dies für eine Marke ist. Auch die bereits angereisten Taxi- und Mietwagenunternehmer für den Workshop hatten diese Fragezeichen in den Augen. Entsprechend groß war nach der Aufklärung die Neugier auf eine Erstbesichtigung.
Die Workshop-Teilnehmer waren von dem Wagen und seinen Leistungsdaten sichtlich beeindruckt. Beim Kofferraum hörte die Begeisterung allerdings auf. Im direkten Vergleich mit Tesla wurde neben dem Kofferraumvolumen ganz besonders auch die kleine Heckklappe moniert. Allerdings wurden die anwesenden Unternehmer hellhörig, als sie sich über das Akkumietsystem informierten, denn „gerade für den Wiederverkauf ist das sehr interessant und das Risiko eines defekten Akkus existiert nicht.“
Eine konkrete Nutzungsidee hatte auch Jens Marggraf. Der Macher des Podcast von Taxi to Go und im Verbund mit Babett Mahnert Hauptakteur des Workshops kann sich gut vorstellen, dass Taxibetriebe ihr Grundstück zur Verfügung stellen könnten, damit Nio eine seiner Wechselstationen für die öffentliche Nutzung errichten könnte. Sofern solche Grundstücke an nahen gelegenen Autobahnen liegen, würde das sicherlich in das Anforderungsprofil von Nio passen.
Hintergrund dieser Überlegungen: Nio-Modelle sind eigentlich auf einen Akku-Wechsel ausgelegt. Beim ET7 sind wahlweise ein 75 oder ein 100 kW Akku verbaut, die man mit einer monatlichen Abschlagzahlung mieten kann. Für Nio ist das ein Geschäft mit Zukunft, obwohl man den Akku auch kaufen kann. Für den Taxiunternehmer kann das von großem Vorteil sein, denn ein defekter Akku, der gerne mit 20.000 Euro oder mehr in Rechnung gestellt wird, kann die Kalkulation bei einem Wagen komplett ruinieren. Das unternehmerische Risiko wird durch Battery-as-a-Service (BaaS) also deutlich reduziert. Der positive Nebeneffekt dürfte auch ein guter Wiederverkaufswert sein.
Nio muss den flächendeckenden Aufbau dieser Wechselstationen erst noch bewerkstelligen. Bisher sind neun solcher Stationen in Betrieb. In naher Zukunft werden acht weitere Power Swap Stations (PSS) in Bayern, NRW, Hessen, Brandenburg und Sachsen ihren Betrieb aufnehmen. Über den Batteriewechsel werden die Redakteure dann in ihrem Testbericht in der nächsten Printausgabe der Taxi Times berichten. Darin verraten sie dann auch, warum der Nio ET7, der brutto eigentlich rund 70.000 Euro kostet, für Taxi- und Mietwagen bis Ende März nur knapp mehr als 40.000 Euro netto kostet.
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Beitragsfoto: Nio ET7 beim Ladestop