Kommt eine weitere Mindestlohnerhöhung nach der Bundestagswahl? Je nach Parteienkonstellation muss mit 12 Euro gerechnet werden. Bei solchen Summen stellt sich die Frage, ob das Taxi als klassischer Gelegenheitsverkehr inklusive (unbezahlter) Bereitstellung gesellschaftlich noch gewollt ist.
Bei der PBefG-Novelle scheint die Taxibranche gerade noch mal mit einigen schmerzhaften blauen Flecken davongekommen zu sein und Corona ist noch lange nicht vorbei. Nun tauchen die nächsten düsteren Wolken am Taxi-Himmel auf. Mit ihrem aktuellen Wahlprogramm haben sich nach der SPD und den Linken nun auch die Grünen eine zeitnahe Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro auf die Fahne geschrieben. Und da aktuell die christlichen Parteien zumindest schwächeln, lässt sich eine Grün-Rosa-Rote Koalition ohne schwarze Elemente nach dem kommenden September nicht mehr völlig ausschließen. Die logische Konsequenz wären dann zwölf Euro Mindestlohn per sofort.
Zumindest die Mehrwagenunternehmer der Taxibranche sollten sich also wohl lieber heute als morgen ernsthaft mit dem Gedanken auseinsetzen, sich vielleicht schon 2022 oder spätestens 2023 möglicherweise einer weiteren deftigen Mindestlohnerhöhung stellen zu müssen. Sicherlich gibt es niemanden in der Branche, der den Fahrerinnen und Fahrern diesen Lohn nicht gönnt. Schwierig ist es allerdings, sich einen Fahrplan vorstellen, wie Mehrwagenbetriebe solche Lohnverpflichtungen auch erwirtschaften können.
Warum ist das eigentlich so schwierig? Ein Rechenbeispiel: Gehen wir – vereinfacht – davon aus, dass ca. 1/3 davon für Fahrzeugkosten und mögliche Gewinne und 2/3 für Löhne, Lohnnebenkosten, Verwaltung (also auch Löhne), Anschlussgebühren (letztendlich also wiederum Löhne) draufgehen. Eine Mindestlohnerhöhung von derzeit 9,50 Euro auf zukünftig zwölf Euro bedeutet eine Lohnkostenerhöhung um 25%. Entsprechend steigen die Gesamtkosten um ca. 17% (2/3 von 25% = 17%).
Der BVTM stellte vor kurzem in dem ZDF-Beitrag Uber/Taxi fest, dass derzeit in der Taxibranche fürs Überleben wohl durchschnittlich 25 Euro pro Stunde umgesetzt werden müssten. Zukünftig müssten dann also knapp 30 Euro pro Stunde erzielt werden, eben 17 Prozent mehr als bisher, nur um diese erhöhten Lohnkosten auszugleichen. Dazu kämen dann ggf. noch weitere Kostensteigerungen wie die schon klimapolitisch mittelfristig wohl notwendige „Dekarbonisierung“ der Flotten.
Die Branche ist sich sicherlich einig, dass eine erneute drastische Tarifanpassung um mehr als 15 Prozent kaum zu realisieren sein wird, auch wenn die Bevölkerung die Notwendigkeit dafür vielleicht sogar verstehen würde. Taxifahren wird so einfach viel zu teuer und in Konkurrenz zu vielen anderen Verkehren unattraktiv. Und auch wenn sich Uber, Moia und Co. letztendlich demselben Problem stellen müssen, den schwarzen Peter behält das Taxi, weil es mangels Reserven zuerst reagieren muss.
Auch eine bessere Auslastung ist wahrscheinlich keine Option. Nimmt man die oben genannten 25 Euro pro Stunde, dann wird Branchenprofis klar sein, dass für diesen Wert schon jetzt eine sehr gute Auslastung gefahren werden muss. Eine städtische Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h und ein Betriebsergebnis von einem Euro pro Gesamtkilometer ergäbe eine hundertprozentige Auslastung, ist also unrealistisch. 1,50 Euro pro Kilometer ergäben immerhin noch 40 Minuten in Fahrt und nur 20 Minuten pro Stunde am Taxistand, fürs Be- und Entladen, die Fahrzeugpflege etc. Ein solches Ergebnis ist mit sachgerechten Taxitarifen zwar vielleicht machbar, setzt aber eben eine sehr gute Auslastung voraus, die dann wiederum kaum steigerungsfähig ist. Alles sehr simpel gerechnet, aber das Ergebnis passt leider, wenn 25 Euro pro Stunde für gesunde Betriebe notwendig sind.
Autsch, teurer werden geht nicht, effizienter fahren für das klassische Taxi auch kaum noch, hat jemand noch eine andere Idee? Diese Frage muss man dann wohl in erster Linie an die Gesellschaft richten. Hält unsere Gesellschaft es nach wie vor für wünschenswert, dass neben dem Linienbus weiterhin auch Taxis vorm Bahnhof stehen? Denn genau diese umsatzlosen, aber doch zu entlohnenden Bereitstellungszeiten sind es, die den Mehrwagenunternehmern das Genick brechen würden. Und solche Kosten können eben nur gespart werden, wenn sich Auftrag an Auftrag reiht und die Fahrzeuge so wirklich durchgehend ausgelastet sind.
Nur wenn solche Auslastungen durch überwiegende Vorbestellungen auch wirklich planbar werden, geht vielleicht noch einiges auch ohne große Tariferhöhungen. Im Ergebnis ist Taxi dann aber nicht mehr Gelegenheitsverkehr, sondern irgendetwas anderes zwischen Mietwagen, gebündeltem Bedarfsverkehr und Krankenwagen. Bereitstellung Adé.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Bereitstellung ist Luxus! Die Branche muss genau diese Botschaft sehr zügig und so einfach und nachvollziehbar wie möglich aufbereiten und der Politik zur Kenntnis bringen. Taxi will bestimmt nicht Bittsteller sein. Taxi will aber auch nicht wieder in die „semiprofessionelle“ Grauzone zurückgedrängt werden, der es gerade zu entkommen versucht. Und Taxi will nicht dazu gezwungen werden, anstatt auf Mehrwagenunternehmen wieder ausschließlich auf die Selbstausbeutung von Einzelunternehmern setzen zu müssen, die mangels Koordination vielfach leer aneinander vorbeifahren, da sie miteinander konkurrieren. Taxi will Teil der Gesellschaft sein und bleiben, Taxi braucht dazu aber auch den Auftrag derselben, was es denn in erster Linie sein soll.
Wenn die Gesellschaft sich dann wünscht, allen Mitgliedern, insbesondere also auch den schwächeren Mitgliedern, individuelle Haus-zu-Haus bzw. eben auch Bahnhof-zu-Haus-Beförderungen ohne Vorbestellung zur Verfügung zu stellen, dann muss die Gesellschaft sich in der Folge auch auf das Gespräch einlassen, wie diese Leistung legal und ohne Ausbeutung finanzierbar sein kann. Will die Gesellschaft dies dementgegen nicht, dann steht es den bisherigen Risikoträgern, also den Mehrwagenunternehmern, auch zu, dass sie ihren Ausstieg aus dem klassischen Taxigewerbe verlässlich planen können. Mit einem kurzfristigen Mindestlohnbeschluss im Hauruckverfahren – Beschluss im Dezember zum kommenden 1 Januar wie anno 2014/2015 – ist es da sicherlich nicht getan.
Und um Missverständnisse von vornherein zu vermeiden: Dies ist nicht der Ruf nach einer Mindestlohnbefreiung und dies ist auch nicht der Ruf nach Almosen. Wenn denn ggf. mehrheitlich der Wunsch nach einer 25-prozentigen Mindestlohnerhöhung besteht, ist dies vielmehr der Wunsch, das Taxi nötigenfalls in den Chor der anderen Anbieter mit aufzunehmen, die als ÖPNV selbstbewusst staatliche Subventionen in Anspruch nehmen, um ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden. Im Rahmen des Werdegangs der aktuellen PBefG-Novelle wurden solche Modelle ja im Ansatz auch schon diskutiert und eben diesen müsste dann wieder Leben eingehaucht werden.
Die anstehende Verkehrswende ist letztendlich auch das Vehikel zu einer Unterstützung. Steigt der Zeitaufwand, den ich benötige, um einen Fahrgast von A nach B zu bringen, steigen die Kosten dafür, sinkt sie, sinken auch sie. Schaffe ich also 30 km/h statt 25 km/h in einer möglicherweise dekarbonisierten Zukunft aufgrund einer reduzierten privaten Mobilität, ist alles gut. Bis dahin aber muss individuelle Mobilität auch für die Schwächeren der Gesellschaft noch unterstützt werden, wenn denn auch höhere Löhne per sofort gewünscht sind.
Und, ebenfalls um Missverständnisse zu vermeiden, mit Demonstrationen mag im Vorfeld einer solchen denkbaren Mindestlohnerhöhung zwar das Solidaritätsgefühl der Taxler gestreichelt werden, sie können hier aber nicht Mittel zum Zweck der Vermeidung dieser Entwicklung sein. Es kann hier nicht mehr um die Verhinderung von Mindestlohnerhöhungen gehen, die werden kommen oder eben nicht, je nachdem, wie gewählt wird. Es muss hier vielmehr um eine selbstbewusste Zukunftsplanung für das Gewerbe gehen, nötigenfalls eben auch mit der planbaren gesellschaftlichen Ansage: „Sorry, aber ihr seid nicht mehr erwünscht, ihr seid zu teuer“. rw
Beitragsfoto: Witte
An den Verfasser diese Artikels:
Als ich Ihren Artikel hier in der Taxi Times gelesen habe, dachte ich im ersten Moment, mich trittein Elch!
Es war doch gerade das immer stärker werdende Aufkommen von sog. Mehrwagenunternehmen, die unser Gewerbe bei den Finanzbehörden so in Verruf gebracht haben und sich am FA vorbei so richtig die Taschen vollgemacht haben und nicht der kleine Einzelunternehmer.
Angefangen hat das, in dem Sie den Einzelunternehmern zunächst die Fahrer mit höheren Löhnen (%-Beteiligung am Umsatz) abgeworben haben und gleichzeitig dafür gesorgt haben, dass ihre Fahrzeuge 24h 365 Tage im Jahr besetzt waren. Damit kam es doch schon zu den ersten großen Veränderungen im Gewerbe. Plötzlich waren anstelle von 250-300 Taxen 350-400 in der Woche nachst auf der Straße.
Die Unternehmer, die gerne nur nachst gearbeitet haben, haben die dadurch verursachten Umsatzeinbußen natürlich versucht, zu kompensieren und entsprechend jetzt Tagfahrer eingesetzt usw. Wo das geendet hat, wissen wir ja alle: In jeder Großstadt in Deutschland waren am Ende mehr oder minder fast alle Taxen rund um die Uhr im Einsatz!!!
Das Problem daran war nur, dass sich das Fahrgastaufkommen generell in den letzten 30 Jahren nicht entsprechend mit erhöht hat, sondern eher gesunken ist. Dies führte wiederum dazu, dass der Umsatz pro Fahrzeug seit dem immer mehr gesunken ist. Nimmt man dann noch die entsprechenden Kostensteigerungen dazu, war das Abdriften in den „halbseidenen Bereich“ für den Einzelunternehmer quasi vorprogrammiert.
Aber die größte Lüge in ihrem Artikel ist die Aussage, dass jeder Einzelunternehmervöllig UNKOORDINIERT LEER am ebenfalls UNBESETZTEN Kollegen vorbeifährt. Dazu haben sich die Kolleginnen und Kollegen i.d.R. zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen, unter deren Telefonnummer der Kunde vor Ort sein Taxi bestellen kann.
Was Sie hier propagieren, nämlich die Förderung von Großunternehmen als die Zukunft des Taxigewerbes wäre dann genauso der Untergang des Gewerbes wie Uber, Moia & Co, denn dann gäbe es gerade die Vielfalt, die unser Gewerbe über Jahrzente hinweg geprägt hat, nicht mehr. Es gäbe dann je nach Größe der Stadt nur noch 1 bis max. 5 Großunternehmen, nach deren Pfeife dann jeder zu tanzen hat! Ich bin nicht Taxiunternehmer geworden, um nach dem Willen eines anderen meine Arbeit zu verrichten, sondern, weil es in keinem anderen Gewerbe der Welt möglich ist, seine Arbeitszeit so frei bestimmen zu können, wie in unserem!!!
Also, anstatt sich über einen kommenden Mindestlohn von 12,00€/Std. aufzuregen, sollten Sie eigentlich darum bitten, dass dieser schnellst möglich auf 20,00€/Std. angehoben wird, damit sich unser Gewerbe wieder ausschließlich aus Einzelunternehmern zusammensetzt. 2/3 davon werden dann i.d.R. am Tag arbeiten und nach 8-10Std. ihr Taxi vor der Tür abstellen und in den dann wieder wohlverdienten Feierabend gehen und der Rest übernimmt dann wieder die Nachtschicht.
Und was solche Großveranstaltungen wie Oktoberfest, Kantstatter Vasen, Karnevall oder Silvester angeht oder die Wochenenden generell, dafür haben wir genug Altunternehmer, die wir dann als ECHTE AUSHILFEN beschäftigen können und denen wir dann auch den fälligen Mindestlohn zahlen können.
ALSO HÖREN SIE AUF DAMIT, HIER EINEN SOLCHEN MIST ZU PROPAGIEREN !!!
Dies wäre nämlich gleichzeitig auch der Tod von Uber, Moia & Co., denn die brauchen wir dann nicht mehr, weil wir dann auch ohne die endlich wieder genug Geld verdienen würden. Eine App zur Fahrtenvermittlung in Europa reicht völlig aus und heißt bekanntlich Taxi.eu.
Wenn ich leer unterwegs bin, dann in der Regel zu Stammkunden, die auch in unseren Gewerbe tatsächlich vorhanden sind!
Von rum stehen, kann ich nämlich nicht überleben.
Und wenn ich dann in einem Sektor, bei fünf an der Halte stehenden Taxen, einen Funkauftrag bekomme, obwohl ich nicht mal da eingewählt bin, frage ich mich, auf was die vermutlich Angestellte Fahrer warten!?
Ich bin im Taxigewerbe seit 28 Jahren, und frage mich ständig; wozu brauche ich Mehrwagenbetriebe
Die Arbeitszeit wird nicht überwacht, und der Mindestlohn steht nur auf dem Papier. Man sieht es an der Fahrweise der Angestellten, daß immer noch Prozente gezahlt werden.
Was soll also das Gejammer, wenn das nicht kontrolliert wird.
Wie man nachlesen kann, hat eine Untersuchung aus Hamburg ergeben, dass 28% der Schichtzeit mit Fahgästen verbracht werden, der Rest ist Warten. Bei den Plattformanbietern sind es teilweise mehr als 50 Prozent.
Ich habe mich gewundert, dass – als der Mindestlohn aufkam – der damalige BZP-Vorsitzende Müller so vehement für den Mindetslohn eingetreten ist. Es war doch abzusehen, was passieren würde: die Standzeiten müssen als Pausenzeiten gerechnet werden, anders wäre der Luxus des Rumstehens gar nicht zu bezahlen. Dagegen hat die prozentuale Bezahlung Fahrer belohnt, die ihre ganze Erfahrung dafür einsetzen, einen guten Umsatz zu fahren.
In manchen Betrieben anderer Lander läufts noch anders: die Fahrer bezahlen dafür, dass sie die Taxe bekommen. Was an Umsatz darüber hinaus geht bleibt bei ihnen.
Die Lösung des Problems mit dem Mindestlohn, egal in welche Höhe er steigt, wird doch dann wieder so aussehen, daß die Fahrer für die 28 Prozent der Zeit, die sie tatsächlich fahren auch bezahlt werden. Also, wenn sie 3 1/3 Stunden mit Fahrgästen unterwegs sind, haben sie 40 Euro, wenn sie 6 Stunden aktiv fahrend unterwegs sind haben sie 72 Euro (bei einem angenommenen Lohn von 12 Euro). Das kann im Übrigen bei den Plattformbetreibern auch nicht viel anders aussehen.
Ich wüßte gerne das Geheimnis, wie es anders laufen kann – eigentlich müßten sich ja diejenigen, die den Mindestlohn für unser Gewerbe befürwortet haben, sich darüber Gedanken gemacht haben. Man hat das lange Zeit hier in Berlin so gehandhabt, dass man die Anzahl der Taxenkonzessionen nach oben hin gedeckelt hat. Mit dem nunmehr raketenhaften Anstieg der Mietwagenverkehre ist das nicht mehr ganz so einfach. Offenbar will man jetzt den Kommunen mit über 100.000 Einwohnern das Recht einräumen, den Mietwagenverkehr einzuschränken, wenn diese Beförderungen eine bestimmte prozentuale Schwelle aller Beförderungen überschreiten. Ob sich die Mietwagenbetriebe das gefallen lassen werden, ist eine andere spannende Frage: da wird auch Arbeit auf die Gerichte zukommen, wenn solche Beschränkungen in Kraft treten sollten.
Liebe Bettina Franzen,
Du hast alles gesagt, was gesagt werden mußte. Deine Beschreibung der Fehlentwicklungen im Gewerbe sind völlig zutreffend.
Ich würde mir wünsche, daß Du für die TT schreiben würdest.