Diese Meldung ist am 14.10. aktualisiert worden. Siehe unten.
Die größte niederländische Gewerkschaft hatte Uber verklagt, scheinselbstständige Fahrer als Angestellte einzustufen. Heute erging das Urteil gegen Uber.
Das Urteil des Amsterdamer Richters im Fall der niederländischen Gewerkschaft FNV gegen Uber Nederland sei ein großer Sieg für die Rechte der Fahrer, sagte die Gewerkschaft in einer ersten Reaktion, nachdem der Richter heute Morgen zu Gunsten der Gewerkschaft entschieden hat.
Ob Uber Berufung einlegt, ist noch nicht bekannt. In einem Interview gestern sagte der Uber-Chef für Nord-Ost-Europa, Maurits Schönfeld: „Es hängt davon ab, welche Folgen das Urteil für die Position der Fahrer hat. Wenn sie zu stark betroffen sind, werden wir sicherlich Berufung einlegen.” Der General Manager fügte hinzu „dass man mit Uber auch über Versicherungen und Altersvorsorge reden kann.”
Die Gewerkschaft ist nicht überzeugt: „Dieses Urteil zeigt, was wir seit Jahren sagen: Uber ist Arbeitgeber und die Fahrer sind Angestellte, daher muss sich Uber an den nationalen Tarifvertrag für Taxibeförderung halten,” sagte Zakaria Boufangacha, Vizepräsident der FNV. „Es ist auch ein Signal an die Politik in Den Haag, dass diese Art von Konstruktionen illegal sind und das neue Gesetz ‘Flexarbeit’ daher durchgesetzt werden muss.“
Im Dezember 2020 hatte die FNV (Federatie Nederlandse Vakbeweging) Uber verklagt, weil die Fahrer zu wenig verdienen und kaum Rechte auf Sozialversicherungen wie Krankengeld haben. Uber betrachtet die Fahrer, die über ihre App arbeiten, als Selbstständige. Dazu malt Schönfeld ein sonniges Portrait von der heilen Uber-Welt: „Diese Fahrer möchten montags mit der Uber-App arbeiten und dienstags zum Strand fahren, weil das Wetter schön ist. Am Mittwoch mit einem Taxi fahren, am Donnerstag früher aufhören, um ihr Kind von der Schule abzuholen“, sagt Schönfeld. „Das will der Fahrer selbst bestimmen – und will deshalb unabhängig sein und nicht als Angestellter bei einem Taxiunternehmen arbeiten.” Dass die Uber-Fahrer lange Tage und stundenlang fahren müssen, um noch nicht einmal den Mindestlohn zu erzielen, ist in der Uber-Zentrale scheinbar nicht bekannt.
Der Richter hat in seinem heutigen Urteil der ‘Selbstständigkeit der Uber-Fahrer’ widersprochen. Boufangacha: „Echte Selbstständige können ihren Tarif selbst festlegen und bestimmen, wie sie ihre Arbeit machen. Dies ist bei Fahrern, die für Uber fahren, nicht der Fall. Uber bestimmt den Stundensatz, wer auf die App zugreifen kann oder nicht, wer welche Fahrt bekommt und wie die Fahrten durchgeführt werden.“
Aufgrund des Urteils werden die Uber-Fahrer nun automatisch bei Uber angestellt, und das Taxiunternehmen muss die Fahrer gemäß dem nationalen Tarifvertrag für Taxibeförderung bezahlen und behandeln. Dadurch erhalten sie beispielsweise mehr Lohn und mehr Rechte bei Kündigung oder Krankheit. „Alles Dinge, die in einem Land wie unserem nicht mehr als normal sein sollten. Es ist empörend, dass die Regierung sich den Uber-Praktiken nicht widersetzt hat“, sagte Boufangacha. Die niederländische rechts-liberale Regierung zögert schon seit Jahren ein Gesetz zur ‘Flexarbeit’ hinaus.
Uber-Manager Schönfeld macht sich Sorgen. „In wessen Interesse führt die FNV diesen Prozess eigentlich? Nicht für die Fahrer. Wir stehen seit der Anhörung im Juni mit vielen Fahrern in Kontakt. Und wir haben von niemandem gehört, wirklich von niemandem, dass er seine Unabhängigkeit verlieren will.“
„Ja, das kennen wir schon,” sagt Amrit Sewgobind vom FNV, der sagt, er habe Kontakt zu Hunderten von Uber-Fahrern gehabt. „Immer, wenn etwas schief geht, engagiert sich Uber plötzlich sehr für seine Fahrer. Dann werden sie zu Interviews eingeladen, um ihre Meinung zu äußern. Sie äußern ihre Beschwerden – und hören dann nie wieder davon.“
Diese Beschwerden gehen weiter, sagt Sewgobind. Viele Fahrer fühlen sich durch die Uber-App – die kaum Raum für eigene Entscheidungen lässt – unter Druck gesetzt. Wenn sie sich nicht so verhalten, wie Uber es will, fallen sie aus dem System. Die Tarife von Uber sind niedrig und die Fahrer haben nicht die Freiheit, sie selbst anzupassen. „Ein großes Ärgernis ist auch, dass sie im Voraus nicht wissen, wie viel ihnen eine bestimmte Fahrt bringen wird.“
FNV und Uber sind sich nicht einig, ob ein Fahrer mit Uber genug verdienen kann. 24 Euro pro Stunde seien durchaus erreichbar, sagt Uber, trotz der 25 Prozent Provision, die das Unternehmen bei jeder Fahrt abzieht. Der FNV geht aufgrund der jährlichen Fahrerübersichten von knapp über 11 Euro pro Stunde aus – weit unter dem Tariflohn des Taxigewerbes.
Laut FNV passt dieses Urteil zum zunehmenden Widerstand in der Gesellschaft gegen Scheinselbstständigkeit und die damit verbundene Ausbeutung. FNV ging schon mehrere Plattformen an, die von diesen Konstruktionen profitieren. Die Gewerkschaft hat kürzlich eine Berufung gegen Deliveroo gewonnen, dessen ‘Rider’ jetzt auch als Angestellte eingestuft werden müssen.
Auch die Auswüchse flexibler Arbeitszeiten werden von der Politik zunehmend abgelehnt. Dagegen sprach sich auch die Politik im vergangenen Jahr aus. Im Juni empfahl der SER, ein Gremium in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten sind, Arbeitnehmer mit einem Stundenlohn unter 30 bis 35 Euro automatisch als Arbeitnehmer einzustufen und nicht als Selbständige zu betrachten.
In Amsterdam, im Herzen der europäischen Uber-Organisation, wo Uber aus Steuergründen auch sein europäisches Hauptquartier hat, dürfte diese Gerichtsentscheidung – gerade nach dem Urteil des Obersten Gerichtes in Großbritannien, wo 70.000 Uber-Fahrer einen ähnlichen Status (‘worker’) zugesprochen bekamen – international für großen Wirbel sorgen. Unklar ist, wie viele Uber-Fahrer in den Niederlanden direkt betroffen sind. In Amsterdam sind es schätzungsweise 4.000. Auch in anderen Städten der Niederlande fährt Uber, aber nur mit wenigen Fahrern.
Letzte Meldung: Uber hat noch heute angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. wf
Aktualisierung vom 14. Oktober:
Wenige Wochen nach dem Urteil des Amsterdamer Gerichts, dass Uber-Fahrer als Arbeitnehmer bezeichnet werden müssen (Uber hatte gleich Berufung eingelegt), belegte eine Umfrage unter 1.271 Plattformarbeitern in den Niederlanden, dass sie lieber ohne Vertrag arbeiten würden. Kein Wunder: Die Studie war von Plattformen wie Deliveroo, Helpling, Roamler, Temper, Uber und YoungOnes in Auftrag gegeben worden. Die Mehrheit der Befragten zieht „Freiheit und Flexibilität” einer Festanstellung vor, arbeitet lieber über eine Plattform und bevorzugt flexible Arbeitszeiten gegenüber festen Arbeitszeiten.
Die Studie ist eine späte Reaktion auf eine Empfehlung des niederländischen Sozialwirtschaftsrates, in der sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften die neue Regierung auffordern, Scheinselbstständigkeit zu bekämpfen. So soll es beispielsweise einen Mindeststundensatz, ein Ende des Selbständigenabzugs und eine obligatorische Berufsunfähigkeitsversicherung geben. Daher sollten Plattformarbeiter angestellt werden. wf
Beitragsbild: Demonstranten der Gewerkschaft FNV fordern ein ‚gleiches Spielfeld‘ (auch „Level playing field“ genannt). Foto: FNV