In den USA kam es kürzlich zu einer Massenkarambolage, weil ein Tesla selbständig, aber ohne Grund eine Vollbremsung eingeleitet hat. Haftet bei solchen Unfällen nach wie vor der Auffahrende? In Deutschland gibt es dazu bereits ein erstes Urteil.
Seit einigen Jahren unterstützen intelligente Systeme die Fahrer moderner Autos in verschiedenster Weise. Tempomaten, Spurhalteassistenten oder Abstandshalter gehören heute vielfach zum Standard. Dazu zählen auch Notbremsassistenten, welche Notbremsungen durchführen, wenn sie die Reaktion der Fahrzeuglenker als zu zaghaft in Relation zum Verkehrsgeschehen interpretieren.
Dies geschieht zum einen, indem eine plötzliche Bremsung von der Fahrzeugtechnik einfach deswegen verstärkt wird, weil die Technik davon ausgeht, dass eine noch etwas stärkere Bremsung wünschenswert wäre. Teilweise trauen sich Fahrzeughersteller inzwischen auch, radargestützte Systeme zu nutzen, um Hindernisse zu erkennen und von sich aus Notbremsungen einzuleiten. Notbremsassistenzsysteme wie der aktive Brems-Assistent von Mercedes oder der „breaking Guard“ von Audi können mit ihrer radargestützten Technologie unglaubliches leisten. Eine autonom eingeleitete Gefahrenbremsung durch das Fahrzeug bzw. seine Assistenzsysteme kann also erhebliche Sach- und Personenschäden verhindern und sogar Leben retten. Auch die Aktualisierung durch proaktive radargestützte Systeme ist begrüßenswert.
Allerdings berichten nicht nur Taxifahrer immer wieder, dass ihr Fahrzeug sie schon einmal unvermittelt in eine gefährliche Situation gebracht hat, weil sie bei ihrem „etwas engeren“ Fahrstil mit vielleicht etwas kräftigeren Kurzbremsungen vom Fahrzeug missverstanden wurden und dieses daraufhin ohne Not im fließenden Verkehr eine Notbremsung hingelegt hat. Vielfach nicken die Fahrer und Fahrgäste dann nur einmal ungewollt nach vorn und hängen kurz in den Gurten.
Es sind aber auf Basis der klassischen Notbremsassistenten schlimmere Szenarien denkbar. Ein besonderer Fall ereignet sich dabei jetzt in Kalifornien, wo eine Verkehrskamera eine solche unmotivierte „Phantombremsung“ eines Tesla tatsächlich dokumentieren konnte. In einem Twitter-Video ist zu sehen, dass es zuvor keinerlei Grund für eine Notbremsung gab und das Fahrzeug trotzdem bis zum Stand herunterbremste. Es kam zu einer Massenkarambolage mit heftigen Schäden und Verletzungen.
Assistenzsysteme können also selbst eine neue, eigene Gefahrenlage schaffen. Leider zeigt die Realität, dass viele Fahrzeuge in unterschiedlichen Situationen Probleme mit der Umgebungswahrnehmung aufweisen und daher Gefahren erkennen, die es nicht gibt. Die Folge: Das Auto leitet eine Vollbremsung ein, obwohl hierzu kein Grund bestanden hat. Die mögliche Konsequenz: ein Auffahrunfall! Dann stellt sich allen Beteiligten in der Regel die gleiche Frage: Wer trägt die Schuld?
Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten und pauschale Schuldzuweisungen werden nicht greifen. Es kommt immer auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an. Die Verantwortung kann sowohl beim Fahrer, beim Hintermann oder ggf. sogar beim Hersteller des Fahrzeugs liegen.
Wer auffährt, ist schuld? Aus Sicht des Vorfahrenden ist die Sachlage in aller Regel zunächst simpel: „Ich habe nicht gebremst, mein Auto hat sich verselbständigt, wer auffährt, hat eben Schuld. Aber auch der Nachfolgende und somit Auffahrende wird fragen: „Wie hätte ich denn damit rechnen sollen, dass das Auto vor mir plötzlich und ohne Grund eine Vollbremsung einleitet? Ich habe genügend Abstand gehalten, mir ist daher nichts vorzuwerfen.“ Beide Ansichten sind nachvollziehbar, helfen also nicht bei der haftungsrechtlichen „Schuldzuweisung“.
Das OLG Frankfurt am Main entschied in einem ähnlich gelagerten Fall eine Haftungsquote von einem Drittel zu Lasten der Bremsenden. Die vorausfahrende Fahrerin konnte nur dabei zusehen, als ihr Fahrzeug eine Phantombremsung eingeleitet hat, die zum Auffahrunfall führte. In der vermeintlichen Gewissheit, den Unfall nicht verschuldet zu haben, klagte die Fahrerin des Mercedes gegen den Fahrer des auffahrenden LKW, bekam aber eine Mitschuld. Grund hierfür war nach Ansicht des OLG, dass die Fahrerin des Mercedes nach § 4 Abs. 1 S. 2 StVO verkehrswidrig gehandelt hat, was bedeutet, dass das OLG der Klägerin eine Mitschuld für ein technisches Versagen des eigenen Fahrzeugs anlastet.
Fahrzeughaltern bliebe hier nur der Versuch, den für sie entstandenen Schaden beim Hersteller des Fahrzeugs einzuklagen, was jedoch mit erheblichen Beweislasten einhergehen würde. Die wiegen schwerer, als man zunächst annimmt, denn selbst im genannten Twitter-Video könnte der betroffene Tesla-Fahrer theoretisch selbst ganz unmotiviert die Vollbremsung hingelegt oder zumindest eingeleitet haben. Und würde der betroffene Fahrzeughalter vielleicht erwähnen, dass ihm dies nicht zum ersten Mal mit seinem Fahrzeug passiert sei, dann würde er gegenüber dem Auffahrenden schnell nicht mehr nur mit einem Drittel, sondern voll haften, da er das Risiko der Wiederholung einer Phantombremsung billigend in Kauf genommen hat.
Bleibt also – wie so oft – nur zu hoffen, dass sich solche Fälle nicht häufen, sondern technisch gelöst werden können, denn bloß, weil unsere Autos inzwischen auch mal ihren eigenen Willen haben und durchsetzen, wollen wir doch bestimmt nicht auf sie verzichten. rw
Beitragsfoto: Screenshot aus einem Twitter-Video