Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einer richtungsweisenden Entscheidung klargestellt, dass gehbehinderte Schüler Anspruch auf die Finanzierung von Taxi-Fahrten haben können. Voraussetzung dafür ist, dass sie nicht zur Schule laufen oder mit dem Fahrrad fahren können und auch kein Schulbus zur Verfügung steht. Der Schulbesuch gehöre zum Recht auf Teilhabe zur Bildung, für das die Behörde im Wege der Eingliederungshilfe unabhängig vom Einkommen der Eltern aufkommen muss.
Geklagt hatten die Eltern eines jungen Mädchens aus dem Münsterland. Dieses war 2017 von der Grundschule auf das Gymnasium gewechselt, welches gut einen Kilometer von ihrer Wohnung entfernt lag. Aufgrund einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer Gelenkbewegung konnte sie den Weg weder zu Fuß noch mit dem Fahrrad zurücklegen.
Bereits während der Grundschulzeit hatten die Eltern der Klägerin einen Taxi-Transport organisiert, um den Schulbesuch zu ermöglichen. Für das fragliche erste Schuljahr in der weiterführenden Schule betrugen die Kosten für den regelmäßigen Taxi-Transport 2.240 Euro. Der zuständige Sozialhilfeträger, der Landkreis Coesfeld, erstattete jedoch lediglich eine Kilometerpauschale von 13 Cent, was insgesamt rund 60 Euro entsprach. Der Landkreis argumentierte, dass es die Verantwortung der Eltern sei, ihren schulpflichtigen Kindern die Teilnahme am Unterricht zu ermöglichen.
Sowohl das Sozialgericht Münster als auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen gaben der Schülerin recht und stellten klar, dass die Eltern nicht verpflichtet seien, ihre Tochter mit dem Auto zur Schule zu bringen. Kinder ohne Beeinträchtigung würden den Schulweg üblicherweise alleine zurücklegen, und diese Möglichkeit müsse auch für beeinträchtigte Kinder gewährleistet werden. Das Bundessozialgericht bestätigte nun diese Entscheidung und betonte, dass die Teilnahme am Schulunterricht zum Recht der Klägerin auf Bildung gehöre. Die anfallenden behinderungsbedingten Mehrkosten seien vom Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe zu übernehmen. Das Einkommen der Eltern sei dabei irrelevant.
Mit dieser Entscheidung hat das BSG sichergestellt, dass behinderte Kinder dieselben Bildungschancen erhalten wie ihre nicht-behinderten Altersgenossen. Um den Unterricht besuchen zu können, müsse die Klägerin zur Schule kommen. Wenn, wie hier, ein Schülerspezialverkehr oder andere Beförderungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stünden, müsse der Sozialhilfeträger daher notfalls auch ein Taxi bezahlen. Mit dieser Entscheidung hat das BSG Kassel (Az: B 8 SO 3/23 R) für die Kostenübernahme bei vielen ähnlich gelagerte Taxi-Beförderungen eine eindeutige rechtliche Basis zulasten der Sozialhilfeträger geschaffen, welche diese offensichtlich vehement abzuwehren versucht hatten. rw
Beitragsfoto: Grafik: Remmer Witte