Nach wie vor dürfen Hamburgs Kiezwirte ihre Bars nur mit strengen Auflagen betreiben. Und nach wie vor zeigen einige Hamburger Taxifahrer jeden Samstag ihre „Rollende Solidarität.“ Zum 25. Jubiläum sind auch Taxi-Gäste aus Erfurt und München mitgefahren.
In Hamburg Mitte ist gut was los an diesem Samstag. Viele Straßensperrungen wegen eines Triathlons, zudem eine Kundgebung in unmittelbarer Nachbarschaft zur Reeperbahn. Trotzdem findet Holger noch eine Lücke, um zur Reeperbahn zu gelangen und sich dort an dritter Position bei den Taxis einzureihen, die hier kurz vor 19 Uhr Aufstellung nehmen, um in einem angemeldeten und von der Polizei angeführten Korso zur insgesamt 25. „Rollenden Solidarität“ aufzubrechen.
Holger ist diesmal nicht alleine im Auto, mit ihm fahren ein Redakteur der Taxi Times sowie Thomas Kroker, Vizepräsident des Taxi- und Mietwagenverbands TMV und der Erfurter Taxiunternehmer Andreas Urbanek. Beide hatten zuvor am Treffen der taxierfagruppe teilgenommen.
Ganz vorne steht das Taxi von Henrik, den alle nur „Taxi-Henni“ nennen. Er ist Kiez-Taxifahrer und Organisator der Rollenden Solidarität, die seit Februar mit einer kleinen Unterbrechung jeden Samstag zwischen 19 und 20 Uhr stattfindet. Dabei fahren die Kollegen mit eingeschaltetem Stillen Alarm und mit Warnblinklicht, aber ohne zu hupen, über die Reeperbahn bis in die Gerhardstraße, dort, wo eine Bar neben der anderen anzufinden ist. Darunter auch die bekannte HSV-Bar, dessen Besitzer vor zwei Wochen den Kampf gegen den Krebs verloren hat, weshalb die Kollegen bei ihrer 23. Fahrt aus der Rollenden eine Trauernde Solidarität gemacht haben.
Heute, bei der Jubiläumsfahrt, haben sich bis zum Start um 19 Uhr zehn Taxis eingefunden. Das ist seit der Sommer-Unterbrechung die übliche Teilnehmerzahl. Mittendrin waren es auch mal bis zu 20 Taxis, erzählt Henni, zu der Zeit, als auch das NDR Fernsehen von der Aktion berichtet hatte.
Punkt 19 Uhr geht es einmal die Reeperbahn entlang, dann ein U-Turn und ein Zwischenstopp vor dem Lokal Hooters. Der Wirt hat eine Überraschung vorbereitet. Jeder Taxifahrer bekommt ein Lunchpaket – Pommes mit Chicken und Cola bzw. Wasser, serviert von aufreizend bekleideten Damen und fotografiert von Taxifahrer Volker, der jeden Samstag dafür sorgt, dass Bilder und Videos für bleibende Erinnerungen sorgen.
Vor und im Hooters ist mächtig was los, im Fernsehen wird wenig später das Fußball-Nordderby Bremen gegen HSV übertragen. Es wirkt, als sei längst schon wieder Normalität eingekehrt im Kiez, doch in wenigen Stunden wird der Chef Thomas Stutzki alle seine Gäste nach Hause schicken müssen. Ab 23 Uhr nur mit 2G-Regelung und ohne Alkohol. Ohne Alkohol auf der Reeperbahn ist, wie wenn ein Taxifahrer an Silvester seine Schicht nur mit fünf Liter im Tank absolvieren darf „Ab 22.30 Uhr muss ich anfangen, meine Gäste aus dem Lokal zu werfen oder aber kontrollieren, ob sie geimpft oder genesen sind“, berichtet Stutzki. „Sie kommen ja meist in Gruppen. Drei von fünf sind dann geimpft, also müssen zwei draußen bleiben. Dann gehen aber alle fünf.“
Auch der Taxi-Konvoi zieht weiter, gute fünf Minuten lang, dann ist in der engen Gerhardstraße Endstation. Auch hier steppt der Bär und die Wirte und Stammgäste klatschen Beifall – ein festes Ritual, wenn die Taxis auftauchen. Thomas aus München und Andreas aus Erfurt werden wie Ehrengäste behandelt. Im Februar, als die Taxis erstmals auftauchten, herrschte hier die große Einsamkeit. Nur die Wirte waren damals für eine Stunde bei ihren Kneipen, hatten das Licht angemacht und die Musik aufgedreht – so erzählen es Micky und Odin in einem Spontan-Interview für den YouTube-Kanal von Taxi Times.
Micky hat ihre Bar offen, sie kontrolliert penibel die Einhaltung der Corona-Regeln. Odin Janoske-Kizildag macht gar nicht erst auf, zu unrentabel mit diesen Beschränkungen. Und weil ihn das alles so sehr aufregt, will er selbst dafür sorgen, dass sich politisch etwas ändert. Für den Wahlkreis Hamburg Mitte hat er sich zur Bundestagswahl als parteiloser Direktkandidat aufstellen lassen.
Sein Wahlthema ist klar: Faire Corona-Regeln für alle und faire Taxiregeln für die Taxifahrer. Deren Rollende Solidarität findet er klasse.
Barbesitzer und Taxifahrer sind voneinander abhängig. Sind wegen Corona keine oder weniger Gäste da, haben auch Taxis keine Fahrgäste. Und wenn Gäste da sind, werden Henni und seine Kiez-Taxifahrer benötigt, um sie sicher und zuverlässig zu befördern fahren. „Bei unseren Jungs können wir uns darauf verlassen, dass sie unsere Gäste gut nach Hause bringen, gerade die hoch alkoholisierten. Ohne Umwege oder Abzocke“, schwärmt Micky.
Taxifahrer Franz Alvertis, der gemeinsam mit Henni dafür sorgt, dass auch immer genügend Taxis vor Ort sind, nennt einen weiteren Aspekt, warum die Rollende Solidarität so wichtig ist: „Wenn dein Lieblings-Italiener morgen seinen Laden schließen muss, dann kann man den nicht einfach ersetzen. Und die Traditionskneipen auf dem Kiez natürlich auch nicht. Es braucht Typen wie zum Beispiel Odin, die auf die Problematik in dem Viertel aufmerksam machen, um mit allen Maßnahmen, die dafür erforderlich sind und ohne drohende Pleite durch die Pandemie zu kommen.“
Nach diesem Statement ist es dann auch schon 20 Uhr, dem offiziellen Ende der Demo. Langsam rollen die Taxis wieder davon und noch einmal wird geklatscht. Vor den Kneipen gibt es Beifall von den Wirten und Gästen, aus dem Auto heraus klatschen die Taxifahrer, der letzte im Konvoi verabschiedet sich mit einem kurzen Hupen.
Fünf Mal wollen sie noch fahren, berichtet Henni, nach der 30. Rollenden Solidarität soll Schluss sein. Dann, so hoffen sie alle hier im Kiez, wird hoffentlich wieder alles ohne Einschränkungen ablaufen. jh
Beitragsfoto: Taxi Times